# taz.de -- Inge Hannemann über Linke-Parteiaustritt: „Da muss man hart blei… | |
> Inge Hannemann, Deutschlands bekannteste Hartz-IV-Kritikerin, ist aus der | |
> Linken ausgetreten. Sie sieht die Hinwendung zu Rot-Rot-Grün kritisch. | |
Bild: Das war einmal: Inge Hannemann im Wahlkampf für die Linke 2017. Jetzt tr… | |
taz: Frau Hannemann, Sie sind wohl Deutschlands bekannteste | |
Hartz-IV-Kritikerin. Nun verlassen Sie die Anti-Hartz-IV-Partei Die Linke. | |
Was ist denn da geschehen? | |
Inge Hannemann: Es gab nicht den einen ausschlaggebenden Moment für die | |
Entscheidung. Das hat sich insbesondere in den letzten Monaten für mich | |
gezeigt. Mein Eindruck ist, dass die Partei das Thema nicht mehr wirklich | |
anfassen will. Man hat eine Reihe von Themen wie Anti-Rassismus-Arbeit, | |
Gender oder Mieten groß gespielt. Die sind natürlich ebenso wichtig und | |
dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Nur Hartz IV und Menschen, | |
die aus vielen Gründen dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung stehen, | |
spielen leider keine zentrale Rolle mehr. Und ich denke, das ist auch so | |
gewollt. | |
Aber gerade mit der [1][nun scheidenden Parteichefin Katja Kipping] hatte | |
das Thema ja eine sehr prominente Fürsprecherin? | |
Ja, Katja Kipping nehme ich explizit aus. Sie ist auf Bundesebene aber auch | |
die Einzige, die noch regelmäßig in die Plattenbauten geht und sich noch | |
vor Jobcenter stellt. Sie ist sehr engagiert. Aber auch sie kommt mit dem | |
Thema in der zerstrittenen Partei nicht wirklich durch, das Thema spielt | |
sich an der Spitze unter „ferner liefen“ ab. | |
Hat der absehbare Wechsel an der Spitze eine Rolle gespielt? | |
Dass Katja Kipping nicht mehr antritt, war abzusehen und hat mich nicht | |
überrascht. Was durchaus eine Rolle gespielt hat, war das [2][Interview] | |
ihrer möglichen Nachfolgerin Susanne Hennig-Wellsow im Spiegel. Da musste | |
ich mich erst einmal hinsetzen. Wie sie da unverhohlene Avancen an den | |
SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz macht, das fand ich ziemlich heftig. Aus | |
dem gesamten Interview las ich heraus: unbedingt [3][Rot-Rot-Grün] – um | |
jeden Preis. | |
Allerdings formuliert sie dort auch Haltelinien. | |
Aber nicht bei Hartz IV. [4][Gegenüber dem Freitag] hat sie bereits | |
gezeigt, wie wenig wichtig ihr das Thema ist. Da erklärte sie, dass die | |
thüringische Landesregierung die Abschaffung von Hartz IV nicht einmal | |
versprechen will. Das ist falsch und zeigt für mich, dass das Thema keine | |
große Bedeutung mehr hat. Denn man kann sehr wohl auch auf Landesebene, | |
beispielsweise über Bundesratsinitiativen, darauf hinwirken. | |
Rot-Rot-Grün wäre für Sie keine Option? | |
Wenn es um jeden Preis ist, nicht. Generell sehe ich, dass dort, wo die | |
Linke regiert oder sich auf Regierungen vorbereitet, ausgerechnet das Thema | |
Grundsicherung ganz schnell hintenrunterfällt. Bevor man da in einen Streit | |
mit der SPD reingeht, einigt man sich lieber auf schlechte Kompromisse – | |
und das auf Kosten der Erwerbslosen. | |
Zum Beispiel in Bremen, wo man nur noch das Ende der Sanktionen für | |
Haushalte mit Kindern in den Koalitionsvertrag hineingeschrieben hat. Statt | |
ein klares Nein wird nur noch das Ziel verfolgt, Sanktionen bei Hartz IV zu | |
senken. Ich sehe auch die Abwendung von dem Thema auf Bundesebene dadurch | |
bedingt, dass man sich in Richtung Rot-Rot-Grün positionieren will. | |
Die Abschaffung von Hartz IV muss für die Linke eine rote Linie sein? | |
Die Betroffenen leben jetzt seit fast 16 Jahren damit. Die können nicht | |
mehr. Bei Hartz IV muss man als Linke hart bleiben. | |
Ist das nicht unrealistisch? | |
Klar, Kompromisse gehören dazu. Aber es geht hier um eine zentrale Frage, | |
wie man linke, emanzipatorische Politik macht – da können wir nicht unsere | |
Werte verkaufen. Konkret heißt das: Regelsatz hoch, Sanktionen abschaffen | |
und wirkliche Alternativen zum jetzigen System der Jobcenter. Die Linke | |
muss den Menschen an sich in den Blick nehmen und darf seinen Wert nicht | |
davon abhängig machen, ob er Erwerbsarbeit nachgeht. Das macht schon die | |
SPD. | |
Wie erleben Erwerbslose die Linke? | |
Die haben inzwischen oft große Skepsis entwickelt. Das sieht man zum | |
Beispiel auch daran, wie viel weniger Erwerbslose die Linke noch wählen im | |
Vergleich zu noch vor einigen Jahren. Das ist ein Alarmsignal für die | |
Linke. Aber es hat mich schon überrascht, wie viel Zustimmung ich bekommen | |
habe, als ich meinen Austritt öffentlich gemacht habe. Mit dem Ausmaß habe | |
ich nicht gerechnet. | |
11 Sep 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Katja-Kipping-ueber-ihre-Zukunft/!5706455 | |
[2] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/susanne-hennig-wellsow-zum-regie… | |
[3] /Richtungsdebatte-in-der-Linkspartei/!5708311 | |
[4] https://www.freitag.de/autoren/elsa-koester/tschakka-endlich-linkes-regieren | |
## AUTOREN | |
Alina Leimbach | |
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