# taz.de -- Razzia in Flüchtlingsunterkunft: Polizei ignoriert Gerichtsurteil | |
> Polizist*innen haben Wohnungen der Flüchtlingsunterkunft Neugraben ohne | |
> richterlichen Beschluss durchsucht. Nach einem neuen Urteil ist das | |
> verboten. | |
Bild: Leichter Einstieg für die Staatsmacht: Feuertreppen in der Flüchtlingsu… | |
Hamburg taz | Kaum ist das [1][Urteil zu Wohnungsdurchsuchungen von | |
Flüchtlingsunterkünften] gesprochen, wird es auch schon gebrochen: | |
Vergangene Woche haben Mitarbeiter*innen der Hamburger Ausländerbehörde mit | |
Polizist*innen Wohnungen in der Flüchtlingsunterkunft Neugraben durchsucht | |
– ohne Durchsuchungsbeschluss. | |
Die Beamt*innen waren auf der Suche nach einer Frau und ihren zwei Kindern, | |
die auf richterlichen Beschluss zur Abschiebung nach Serbien abgeholt | |
werden sollten. Hierfür erhielt die Ausländerbehörde Hamburg vom | |
Heimbetreiber Deutsches Rotes Kreuz (DRK)den Schlüssel zur Wohnung der | |
Gesuchten. Als die Beamt*innen die gesuchte Mutter nicht in ihrer Wohnung | |
antrafen, suchten sie bei den Nachbar*innen weiter. | |
Ab diesem Punkt gehen die Darstellungen auseinander: Radima Velagić (30) | |
berichtet, deutlich mehr als zehn Polizist*innen hätten plötzlich auf der | |
Feuertreppe vor der gemeinschaftlichen Küchentür gestanden und die | |
Wohnräume ohne Ankündigung oder Erlaubnis betreten. | |
Die Ausländerbehörde stellt das anders dar: Die Beamt*innen hätten sich | |
vorgestellt und ihr Anliegen erklärt. Sie seien daraufhin hineingebeten | |
worden. „Die Wohnung wurde ausdrücklich mit der Billigung und auf Einladung | |
der Bewohner betreten“, behauptet Behördensprecher Matthias Krumm. Einen | |
Durchsuchungsbeschluss, so viel ist sicher, hatte die Polizei für diese | |
Wohnung nicht. | |
Auch eine weitere Nachbarin hat den „Besuch“ anders in Erinnerung: „Das | |
waren keine normalen Polizisten. Sie waren in Schwarz gekleidet, mit hohen | |
Stiefeln“, beschreibt die 19-jährige Mutter sichtlich geschockt die | |
Uniformierten. „Ich habe total Angst bekommen. Es war, als hätten wir | |
jemand getötet.“ Die Beamt*innen verlangten ihre Papiere und die | |
Geburtsurkunde ihres Kindes, um auszuschließen, dass es sich um die | |
gesuchten Personen handelt. Dabei hatten die Polizist*innen Bilder und | |
Daten der gesuchten Frau bei sich, anhand derer man hätte ausschließen | |
können, dass es sich dabei um die 19-Jährige handelte. Dennoch wurden ihre | |
Dokumente und die ihres Kindes überprüft, sogar mehrfach, wie die | |
Ausländerbehörde bestätigt. | |
Kleiderschränke und sogar den Kühlschrank hätten die Beamt*innen nach der | |
gesuchten Person inspiziert – in der Wohnung der Nachbarn. „Sie haben auch | |
in den Backofen geschaut“, sagt Velagić. Im Zuge der Durchsuchung seien sie | |
auch in Zimmer mit schlafenden Kindern gestürmt, darunter auch in das, in | |
dem die Tochter von Velagić schlief. Die Dreijährige leide an einer | |
chronischen Herzerkrankung und an psychischen Traumata, so die Mutter. Ihre | |
Bitten, die Tochter in Ruhe schlafen zu lassen, habe die Polizei ignoriert. | |
Stattdessen habe einer der Beamten dem Kind ohne Ankündigung die Bettdecke | |
weggezogen, woraufhin es angefangen habe zu schreien. | |
Die Ausländerbehörde bestreitet das. „Eine Durchsuchung gegen den Willen | |
der Betroffenen fand nicht statt“, schreibt Behördensprecher Krumm. „Zu | |
keiner Zeit wurden (schlafenden) Kindern oder Erwachsenen die Bettdecke | |
weggezogen.“ Überhaupt hätten die Beamt*innen nur zwei Erwachsene und ein | |
Kind angetroffen. | |
Velagić hingegen sagt, die Polizist*innen hätten ihren Weckdienst bei | |
weiteren Kindern fortgesetzt. Mindestens drei Familien seien von der Razzia | |
betroffen gewesen. „Ich bin jetzt seit vier Jahren hier, aber so was habe | |
ich noch nie erlebt.“ | |
Die 19-jährige Mutter sollte auf Verlangen eines Beamten eine | |
abgeschlossene Tür zur privaten Räumlichkeit eines weiteren Bewohners | |
öffnen. Als sie erklärte, dass es sich nicht um ihren Raum handele und sie | |
deswegen auch keinen Schlüssel besitze, hätten die Polizisten die | |
Räumlichkeiten verlassen, um in benachbarten Unterkünften weiterzusuchen. | |
Laut einem Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 18. August | |
ist das Durchsuchen von Wohnungen zum Zweck einer Abschiebung ohne | |
richterlichen Durchsuchungsbeschluss verboten. Das Urteil bezieht sich auf | |
einen Fall aus dem Jahr 2017, bei dem sich die Polizei ohne gerichtlichen | |
Beschluss Zugang zur Wohnung einer irakischen Familie verschafft hatte, um | |
diese für die Abschiebung mitzunehmen. | |
## Beratungsstelle erwägt Klage | |
Im Fall von Neugraben hat die Polizei laut DRK lediglich für die | |
Durchsuchung der Wohnung der Gesuchten einen richterlichen Beschluss | |
vorgelegt, nicht aber für die Nachbarwohnungen. Da die Polizei außerhalb | |
der Dienstzeiten der DRK-Mitarbeiter*innen kam, habe man nicht von seinem | |
Hausrecht Gebrauch machen können, teilt DRK-Sprecherin Astrid Heissen mit. | |
Die kirchliche Beratungsstelle Fluchtpunkt, die das OVG-Urteil erstritten | |
hatte, bezeichnet den Vorfall in Neugraben als skandalös. „In jedem anderen | |
Fall kann die Polizei auch nicht bei Nachbarn der gesuchten Person | |
einmarschieren“, sagt Fluchtpunkt-Pressesprecher Justus Linz. „Das ist | |
absolut unverhältnismäßig. Es gelten gleiche Rechte für alle, das heißt | |
auch für Geflüchtete.“ Wohnungen ohne richterlichen Beschluss oder wegen | |
Gefahr im Verzug zu betreten, ist der Staatsmacht laut Artikel 13 des | |
Grundgesetzes verboten. | |
Genau solche razzienartigen Maßnahmen der Hamburger Innenbehörde seien 2017 | |
der Grund für die Fluchtpunkt-Klage gewesen, so Linz. Als Folge des | |
Polizeieinsatzes in Neugraben erwägt er eine erneute Feststellungsklage, | |
mit der die Organisation nachträglich überprüfen lasse, ob dieses Vorgehen | |
rechtswidrig sei. Dass diese Klagen auf Dauer keine Lösung seien, stellt | |
Linz aber auch klar: „Die Behörden müssen sich an verfassungsrechtliche | |
Regeln halten.“ | |
2 Sep 2020 | |
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[1] /Fluechtlings-Razzien-nur-mit-Richterin/!5702724 | |
## AUTOREN | |
Yevgeniya Shcherbakova | |
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