# taz.de -- Anwalt vertritt Opfer von Rassismus: „Wäre das einer weißen Per… | |
> Blaise Francis El Mourabit ist Anwalt. Er vertritt Menschen, die | |
> rassistische Gewalt und Racial Profiling erfahren haben – pro bono. | |
Bild: Tausende Menschen protestieren auch in Deutschland gegen rassistische Pol… | |
taz: Herr El Mourabit, im Juni dieses Jahres haben Sie auf Instagram | |
angeboten, Fälle von Rassismus pro bono zu vertreten. Wie viele Menschen | |
haben sich seitdem bei Ihnen gemeldet? | |
Blaise Francis El Mourabit: Ich habe aufgehört zu zählen. Der letzte Stand | |
sind 700 Nachrichten auf Instagram. Dazu kommen noch E-Mails. Von diesen | |
700 Nachrichten sind nicht alle Fälle. Das sind auch viel Zuspruch und | |
Hinweise auf gewisse Themen dabei. Die rechtlichen Fragen oder Fälle | |
belaufen sich auf über 250. Manchmal kann ich eine Frage in einem | |
halbstündigen Gespräch klären und die Leute allein weitermachen lassen. | |
Manchmal sind es aber auch schwerwiegende Fälle, die zu langfristigen | |
Verfahren werden und die definitiv vor Gericht gehen. | |
Wie viel Zeit verbringen Sie mit dieser unbezahlten Arbeit? | |
Im Schnitt fünf Stunden am Tag. Ich habe noch meinen Hauptberuf, damit bin | |
ich mindestens acht Stunden beschäftigt. Die fünf Stunden aber auch erst, | |
seitdem ich angefangen habe, streng zu filtern, und gelernt habe, Nein zu | |
sagen. Am Anfang habe ich überall zugesagt. Das hat dazu geführt, dass ich | |
die Nacht durchgearbeitet und nur zwei oder drei Stunden geschlafen habe. | |
Das hält man auf die Dauer nicht durch, mein Körper hat mir Warnsignale | |
gegeben. | |
Wie genau treffen Sie die Entscheidung, wen Sie vertreten? | |
Ich versuche, in erster Linie die schwerwiegenden Fälle anzunehmen: Fälle | |
mit rassistisch motivierter körperlicher Gewalt, sei es durch Polizei oder | |
Privatpersonen. Alles, was unterhalb dieser Schwelle liegt, nehme ich, | |
soweit ich es mir zeitlich zutraue, an. Ich lasse die Leute aber nicht | |
komplett allein. Ich gebe ihnen in einem 15-minütigem Telefonat Tipps, wie | |
sie sich rechtlich positionieren und vorgehen können, und bei Bedarf | |
versuche ich auch noch, einen Anwalt zu vermitteln, was aber leider nicht | |
ganz einfach ist. | |
Gibt es außer Ihnen noch andere Anwält:innen, die in Deutschland pro bono | |
von Rassismus Betroffene vertreten? | |
Nein, leider nicht. Das große Problem bei der Weitervermittlung ist nicht | |
das Geld. Oft bieten die Leute, deren Fälle ich annehme, mir an, mich zu | |
bezahlen. Ich erkläre ihnen dann, dass ich als soziales Engagement pro bono | |
arbeite und in meinem Hauptberuf genug verdiene. Das Problem ist eher, dass | |
ich teilweise erschreckende Mitteilungen bekomme, wie weiße Anwält*innen | |
mit solchen Fällen umgehen. Die Menschen werden nicht ernst genommen und | |
hören Sätze wie „Da müssen Sie als intelligente Frau doch darüberstehen.�… | |
Das war im Falle einer Frau, die im Job rassistisch beleidigt wurde. | |
Oder ein anderer krasser Fall: Ein Mann ist im Schwimmbad auf seinem | |
Schwimmreifen mit einer Gruppe Jugendlicher zusammengestoßen. Es war keine | |
große Sache. Dann hat aber ein weißer Junge den Mann dazu aufgefordert, das | |
Schwimmbecken zu verlassen, und ihn als „Scheißschwarzen“ bezeichnet. Der | |
Mann war völlig perplex und hat dem Jungen gesagt, dass er das Becken nicht | |
verlassen werde. Daraufhin meinte der Junge, wenn der Mann das Becken nicht | |
verlässt, gehen er und seine Freundin zum Bademeister und sagen ihm, der | |
Mann hätte die Freundin des Jungen angefasst. Das haben die beiden dann | |
auch getan. Zum Glück gab es eine Videokamera, und man hat klar gesehen, | |
dass nichts dergleichen passiert ist. Leider hat der Anwalt des Mannes ihm | |
aber nicht geraten, eine Gegenanzeige zu erstatten wegen Vortäuschen einer | |
Straftat, was ein Straftatbestand ist. Es schockiert mich, wenn ich so | |
etwas höre. Dann frage ich mich, ob das jetzt ein schlechter Anwalt war | |
oder ob es rassistisch war. | |
Was sind es für Fälle, die Sie übernehmen? | |
Leider viele Fälle von rassistischen Angriffen auf der Straße, Racial | |
Profiling und Polizeigewalt. Außerdem auch Beleidigungen in der Schule | |
durch Lehrer*innen. Ablehnungen aufgrund äußerer Merkmale im | |
Ausbildungsbereich und Kündigungen im Job. Ich habe mehrere Fälle von | |
Kündigungen in der Probezeit. Einige Menschen aus dem Kollegium weigern | |
sich aus rassistischen Gründen, mit der neuen Person zusammenzuarbeiten, | |
was zu schlechter Stimmung im Unternehmen führt. Das Unternehmen kündigt | |
dann der Person in der Probezeit einfach, statt das eigentliche Problem des | |
Rassismus anzugehen. | |
Sie vertreten Menschen in ganz Deutschland. Wie genau läuft die Hilfe ab? | |
Das meiste läuft per Telefon. Wenn die Leute in der Region wohnen, treffen | |
wir uns persönlich. Dann prüfe ich kritisch, ob es sich um Rassismus | |
handelt. Ich brauche Indizien, dass etwas rassistisch war. Die Frage lautet | |
ungefähr: „Wäre das einer weißen Person in dieser Situation genauso | |
passiert?“ Wenn es einen klaren rassistischen Bezug gibt, fange ich an, zu | |
prüfen, was rechtlich möglich ist. Gibt es Schadenersatzansprüche oder | |
Unterlassungsansprüche, kann Strafanzeige erstattet werden? | |
Häufig ist es aber leider auch so, dass es sich um eine | |
Verteidigungssituation handelt – gerade wenn es um Polizeigewalt geht. Man | |
strengt also das Verfahren nicht selbst an, sondern die Mandant*innen | |
werden wegen Widerstand oder eines vermeintlichen tätlichen Angriffs auf | |
Vollstreckungsbeamt*innen angezeigt, weil sie den*die Polizist*in | |
angezeigt haben. Das Ziel in solchen Fällen ist ein Freispruch. Es kommt | |
außerdem noch therapeutische Arbeit hinzu. Wenn ich beispielsweise erklären | |
muss, dass ich rechtlich nicht helfen kann, weil zu viel Zeit vergangen | |
ist. Ich lege dann nicht einfach auf, sondern spreche Mut zu. Das ist bei | |
jüngeren Leuten ganz besonders wichtig. | |
Der Verein EOTO. in Berlin führt gerade den [1][Afrozensus] durch. Wie | |
wichtig sind solche Datenerhebungen im Kampf für mehr Gerechtigkeit? | |
Datenerhebungen sind immer wichtig. Deswegen kann ich die [2][Absage der | |
Racial Profiling Studie in der Polizei] absolut nicht nachvollziehen. Je | |
mehr Fakten es gibt, desto besser kann verstanden werden, wo | |
Handlungsbedarf besteht. Ergebnisoffen und idealerweise neutral, sind | |
solche Erhebungen sehr hilfreich. | |
Was müsste sich Ihrer Ansicht nach im Kampf gegen Rassismus auf rechtlicher | |
Ebene verändern? Ist das [3][Berliner Landesantidiskriminierungsgesetz] ein | |
erster Schritt? | |
Es ist ein erster Schritt, wir brauchen aber ein | |
Bundesantidiskriminierungsgesetz. Wir brauchen dringend unabhängige, | |
objektive Behörden in Staat und Polizei, die in Fällen von Rassismus für | |
Ermittlungsverfahren gegen Polizist*innen zuständig sind, um Neutralität | |
zu gewähren. Wenn wir öffentlich über Rassismus bei der Polizei sprechen, | |
steht die Institution Polizei unter Druck. Deswegen hat kein*e Polizist*in | |
Interesse daran, dass Fälle zulasten der Polizei aufgedeckt werden. | |
Außerdem brauchen wir Regelungen zu Body Cams. Die Body Cams gibt es in | |
allen Bundesländern wegen Gewalt gegen Polizeibeamt*innen. Die | |
Regelung zum Gebrauch ist also einseitig zugunsten der Polizei. | |
Die Polizist*innen dürfen die Kameras zum eigenen Schutz anmachen, also | |
muss es auch umgekehrt zulässig sein, wenn in die Grundrechte von | |
Bürger*innen eingegriffen wird. Weiterhin muss es eine | |
Kennzeichnungspflicht für Polizist*innen geben. Diese gibt es nicht in | |
allen Bundesländern, obwohl es rechtlich zulässig ist. Ich hatte schon | |
Fälle, in denen Polizist*innen auf Anfrage falsche Namen und Dienstnummern | |
weitergegeben oder die Auskunft verweigert haben. Des Weiteren sollten | |
Handyaufnahmen von Polizist*innen, die in Grundrechte eingreifen, zur | |
Beweissicherung zulässig sein. In den USA ist das Filmen möglich, in | |
Deutschland ist die Rechtslage da allerdings schwammig. Wenn Menschen hier | |
die Polizei filmen, wird oft mit der Abnahme des Handys oder einer Anzeige | |
gedroht. | |
Mittlerweile werden Sie von Rechten online bedroht. Wie gehen Sie damit | |
legal und persönlich um? | |
Bei Bedrohungen und Beleidigungen können grundsätzlich immer Strafanträge | |
gestellt werden. Die Leute verstecken sich jedoch online in der Anonymität, | |
zum Beispiel durch dubiose Mail Provider, die im Ausland sitzen, | |
„Wegwerf-E-Mails“ und versteckte IP-Adressen. Somit sind die | |
Erfolgsaussichten, was den Strafantrag angeht, gleich null. Ich lasse mich | |
aber dadurch nicht einschüchtern. Bei der ersten Drohnachricht habe ich | |
mich zwar erschrocken, aber mittlerweile kümmert es mich nicht mehr. Das | |
ist eher eine Motivation und zeigt, welche Probleme es gibt, und bestätigt | |
und bestärkt mich in meiner Arbeit. Ich mache weiter. | |
1 Sep 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Rassismusforscher-ueber-Afrozensus/!5677279 | |
[2] /Racial-Profiling-bei-der-Polizei/!5707568 | |
[3] /Berliner-Antidiskriminierungsgesetz/!5690956 | |
## AUTOREN | |
Lisa Tracy Michalik | |
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