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# taz.de -- Weniger Kurse wegen Corona: „Land der Nichtschwimmer“
> Als die Bäder in der Coronakrise schließen mussten, entfielen auch die
> Schwimmkurse. Die DLRG warnt vor einem Nichtschwimmer-Jahrgang.
Bild: Begehrte Plätze: Während der Ferien fanden in Berlin vereinzelt wieder …
Berlin taz | Sommer, Sonne, Badesee − dieser sommerferienhafte Dreiklang
gilt für viele Kinder und Jugendliche auch in Pandemiezeiten. Mehr noch:
Weil zahlreiche Familien auf eine [1][größere Urlaubsreise ins Ausland]
verzichten, werden heimische Meere, Seen und Flüsse sogar öfter besucht.
Zumal Hallenbäder häufig noch geschlossen und Freibäder nur für eine
beschränkte Besucherzahl geöffnet sind. Damit verlagert sich der Badespaß
dorthin, wo eher keine Rettungsschwimmer in der Nähe sind.
Das wird dann zum Problem, wenn die Badenden nicht richtig schwimmen können
oder gänzliche Nichtschwimmer sind. Die Deutsche
Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) schätzt, dass ungefähr die Hälfte der
Menschen hierzulande gar nicht oder nur schlecht schwimmen kann. Tendenz
steigend, weshalb DLRG-Präsident Achim Haag bereits vor einem „Land der
Nichtschwimmer“ warnt. Denn auch der Nachwuchs ist immer häufiger nicht
sicher beim Schwimmen. Und die Corona-Pandemie könnte diese bereits
bestehende Krise weiter verschärfen.
Der vor sich hin plätschernde Bach kann für Nichtschimmer rasch zur
tödlichen Gefahr werden. Auch der Sprung in Nord- und Ostsee kann für
ungeübte Schwimmer gefährlich sein. „Die Unterströmung im Meer ist
teilweise so stark, dass es einen Menschen wie mit einem Staubsauger aufs
offene Meer zieht“, sagt Achim Wiese von der DLRG.
Eine Forsa-Umfrage kam 2017 zu dem Ergebnis, dass in Deutschland unter den
Zehnjährigen etwa 60 Prozent keine sicheren Schwimmer sind, also nicht das
Bronze-Abzeichen haben, den Freischwimmer. Die Gründe dafür sind
vielfältig; Schwimmunterricht, der an vielen Schulen längst vom Stundenplan
gestrichen wurde zum Beispiel, oder Nachwuchsprobleme für die meist
ehrenamtlichen Trainer.
## 75.000 Kinder ohne Schwimmunterricht
Dieses Jahr ist noch ein weiterer Grund dazu gekommen: Die
[2][Corona-Pandemie] könnte die bereits bestehende Krise weiter
verschärfen. Denn als das Virus Mitte März den Schwimmbädern regelrecht den
Stöpsel zog, fanden auch die Schwimmkurse plötzlich nicht mehr statt.
Kinder, die in einem Sportverein oder an einer privaten Schwimmschule das
Kraulen lernen wollten, mussten ihre Badeklamotten im Schrank lassen.
Mit fatalen Folgen: „Wir gehen davon aus, dass ein gesamter Jahrgang, also
75.000 Kinder, nicht schwimmen lernt“, warnte etwa Oliver Liersch vom DLRG
Niedersachsen kürzlich in der Nordwest-Zeitung. Bundesweit liegen keine
Zahlen vor, dennoch dürften hochgerechnet Hunderttausende betroffen sein.
Was das im Kleinen bedeutet, davon kann Reinhard Wolters erzählen. Der
73-Jährige ist seit Jahrzehnten ehrenamtlicher Schwimmtrainer, bringt beim
TSV Barsinghausen, einer Kleinstadt unweit von Hannover, Kindern das
Schwimmen bei. Doch seit März ist das örtliche Lehrschwimmbecken verwaist.
„Zwanzig Kinder sitzen jetzt auf dem Trockenen“, sagt Wolters. Die Vier-
bis Sechsjährigen warten ungeduldig darauf, dass es bald wieder ins Becken
geht. Und die Eltern? „Die sind sehr verständnisvoll“, sagt Wolters. „Ab…
sie erwarten natürlich auch, dass wir uns überlegen, wie es wieder losgehen
könnte.“
Hinzu kommt, dass der Betrieb des Lehrschwimmbeckens, in dem Wolters sonst
zweimal die Woche am Beckenrand steht, schon in Nicht-Corona-Zeiten
keineswegs ein Selbstläufer ist. Der Trägerverein, der das Becken betreibt,
ist auf Mitgliedsbeiträge, Nutzungsgebühren und Spenden angewiesen. Bleibt
das Becken weitere Monate ungenutzt, könnte die Finanzierung auf Dauer
schwierig werden − und die vorübergehende Schließung letztlich eine
dauerhafte werden. Ein Problem, vor dem sie nicht nur in Barsinghausen
stehen.
Dass auch vor Corona immer weniger Kinder schwimmen lernten, liegt vor
allem am allmählichen Sterben der Schwimmbäder. Die DLRG schätzt, dass seit
Anfang der 2000er-Jahre bundesweit 80 Schwimmbäder geschlossen wurden − pro
Jahr. Gab es im Jahr 2000 noch um die 7.800 Bäder, waren es 2018 nur noch
6.400. Wo Kommunen sparen müssen, werden Bäder geschlossen. Ihre
Unterhaltung ist im Vergleich zu anderen Einrichtungen teuer.
Seit Jahren versucht die DLRG, gegen das Bädersterben anzugehen. Bereits
2018 hat der Verein deshalb eine Petition gestartet: “Rettet die Bäder!“,
lautet der Titel. Darin fordern sie eine nachhaltige Finanzierung
öffentlicher Bäder. Eine Gesellschaft aus Bund, Länder und Kommunen solle
sich den Sanierungsstau von geschätzt 14 Milliarden Euro annehmen. „Alle
müssen wieder an einem Strang ziehen“, heißt es darin.
Knapp 120.000 Menschen haben die Petition unterzeichnet.
Öffentlichkeitswirksam per Rettungsboot hatte DLRG-Präsident Haag die
Petition im vergangenen Jahr dem zuständigen Ausschuss im Bundestag
überreicht. Inzwischen gab es eine öffentliche Anhörung, seit Kurzem liegt
die Bittschrift der Bundesregierung vor.
## Arme trifft es schwerer
„Mit dem höchsten Votum wird die Bundesregierung nun gebeten, sich der
Petition anzunehmen“, sagte der Vorsitzende des Petitionsausschusses,
Marian Wendt (CDU), Anfang Juli bei der Übergabe an die Groko. Und schob
hinterher: „Jedes Kind in Deutschland sollte frühzeitig Möglichkeiten
haben, das sichere Schwimmen zu lernen.“
Dass darin in Corona-Zeiten mehr Wunsch denn Wirklichkeit steckt, deckt
sich mit den Erfahrungen von Sarah Riese. Die Frau aus Berlin-Neukölln ist
zurzeit auf der Suche nach einem Schwimmkurs für ihre 4-jährige Tochter
Noa. Erst hat sie es bei den städtischen Bädern versucht, aber „da war
alles ausgebucht“, wie Riese sagt. Dann hat sie sich auf den Seiten der
privaten Schwimmschulen umgeschaut. Hier waren zwar noch viele Plätze frei,
„aber mit sehr hohen Preisen“, sagt die Mutter. Bei vielen Familien reicht
das Geld dafür nicht.
Weniger Plätze, größere Nachfrage − diese Rechnung kann nicht aufgehen.
Selbst wenn die Kurse nun peu à peu wieder anlaufen − die monatelange Pause
ist nicht nachzuholen. Viele Kinder dürften ohne Seepferdchen oder
Freischwimmer bleiben. Schon in normalen Zeiten sind die Wartelisten lang.
„Manchmal müssen Eltern Monate auf einen Platz warten“, sagt auch Reinhard
Wolters.
Zwischenzeitlich, sagt Riese, habe sie deshalb überlegt, ihrer Tochter im
Freibad selbst das Schwimmen beizubringen, die Idee aber schnell verworfen.
„Ich bin dafür die Falsche“, meint sie. Ähnlich wie ihre Tochter sei sie
eher vorsichtig, deshalb will sie Noa nun doch notgedrungen an einer
privaten Schwimmschule anmelden. „Wir haben zum Glück das Geld.“ Auch die
geringere Kursgröße spiele für sie eine Rolle: „Das sind dann vier statt
zwölf Kinder“, sagt Riese − inmitten einer Pandemie nicht unwichtig.
Auch beim TSV Barsinghausen soll es in ein paar Wochen, wenn die
Sommerferien vorbei sind, wieder losgehen. Dank Hygienekonzept könnten die
Kurse von Reinhard Wolters dann wieder anlaufen. Allerdings mit weniger
Teilnehmern und teils gesperrten Duschen − und ohne den Trainer selbst.
Denn Wolters zählt zur Risikogruppe. „Mir ist die Ansteckungsgefahr einfach
zu groß. Ich will mich und die Kinder schützen“, sagt er. Erst wenn es
einen Impfstoff gibt, will er wieder einsteigen.
Einen Ersatz für ihn zu finden, das dürfte für den Verein nicht einfach
werden. Zumal sie nicht nur für Wolters einen Nachfolger suchen, sondern
sogar einen weiteren Trainer einstellen müssten. Nur so wäre das
Hygienekonzept in der Praxis umsetzbar.
Ein fast aussichtsloses Unterfangen. Ehrenamtlich, für ein kleines
Taschengeld, mehrmals die Woche in der Halle zu stehen − viele haben darauf
keine Lust. „Bis jetzt hält sich der Andrang gelinge gesagt in Grenzen“,
sagt Wolters und muss schmunzeln. Ein neuer Trainer fällt nicht mal so eben
vom Drei-Meter-Brett. Zwei schon gar nicht.
11 Aug 2020
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## AUTOREN
Daniel Godeck
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