# taz.de -- Handeln in der Klimakrise: Argumentativ ausbremsen | |
> Machbarkeit oder ihr Gegenteil werden gern vorgeschoben, um unliebsame | |
> Entscheidungen alternativlos scheinen zu lassen. Zum Beispiel beim | |
> Klimaschutz. | |
Bild: Aus Sicht der Organisationen kommt der für 2038 avisierte Kohle-Ausstieg… | |
Berlin taz | Wie bitte, jedes Mal wischen? Das Entsetzen in den Augen | |
meines Mitbewohners ist kaum zu übersehen. Es gibt diese sehr berühmte | |
Stelle am Anfang von „Anna Karenina“: „Alle glücklichen Familien gleichen | |
einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich.“ | |
Für Wohngemeinschaften gilt das genaue Gegenteil. Obwohl das natürlich zum | |
Glück auch oft Familien sind. | |
Es gibt tausend verschiedene Arten, zusammen Spaß zu haben. Aber wenn der | |
Haussegen schief hängt, hat das oft zwei Hintergründe: Irgendwer kann seine | |
Miete nicht zahlen. Oder das Putzen klappt nicht. | |
Bei uns ist das eigentlich einfach: Wir sind vier Leute, wir haben mit Flur | |
und Bad vier gemeinsam genutzte Räume, jede:r ist für einen davon | |
zuständig, und zwar einmal die Woche. Was das genau heißt, ist trotzdem | |
immer mal wieder umstritten. Meist gehen wir dann aber doch lieber ohne | |
dieses Thema zum gemeinsamen Abend über. Die Küche wenigstens kurz | |
durchfegen? Das wäre doch machbar. | |
Es ist so eine Sache mit der Machbarkeit. Selten geht es wirklich darum, ob | |
etwas möglich ist. Es heißt in der Regel, dass die Nachteile den eigenen | |
Prioritäten entsprechend klein genug sind, um ein Handeln zu rechtfertigen. | |
## Eine Verschleierungstaktik | |
Das sieht man auch beim Klimaschutz. Vor Kurzem haben Wissenschaftler:innen | |
des Berliner Mercator Instituts MCC in einer [1][Studie] analysiert, wie | |
das Ausbremsen von Klimaschutz aktuell argumentativ funktioniert. | |
Explizites Leugnen des menschengemachten Klimawandels ist nämlich selten | |
geworden. Stattdessen heißt es jetzt zum Beispiel, dass man den Klimawandel | |
gar nicht aufhalten könne. Zu viele Emissionen, zu wenig Zeit, schade. Da | |
ist sie wieder, die Machbarkeit. | |
Stimmt aber wieder nicht. Das UN-Umweltprogramm hat berechnet, dass die | |
CO2-Emissionen für das 1,5-Grad-Ziel in diesem Jahrzehnt jedes Jahr um 7,6 | |
Prozent sinken müssen. Das ist natürlich nicht einfach. Vor allem, wenn man | |
den deutschen Wohlstand zum Maßstab macht. | |
Theoretisch könnten wir beispielsweise alle Kohlekraftwerke abschalten – | |
sofort jetzt und heute. Niemand hält uns davon ab. Solange unsere | |
Energieversorgung darunter irgendwie leiden könnte, wollen wir das aber | |
nicht tun. Das ist eine Entscheidung. Der Verweis auf Machbarkeit | |
verschleiert, dass es sich um eine politische Frage handelt. | |
Genauso gut könnte man sagen: Kohleverstromung bis zum Jahr 2038, wie es | |
[2][das deutsche Kohleausstiegsgesetz ermöglicht]? Trägt potenziell zu | |
einer katastrophalen Klimakrise bei. Das ist nun wirklich nicht machbar. | |
24 Jul 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.cambridge.org/core/services/aop-cambridge-core/content/view/7B1… | |
[2] /Ausstiegsplan-nimmt-letzte-Huerde/!5693720 | |
## AUTOREN | |
Susanne Schwarz | |
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