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# taz.de -- Shopping zu Pandemiezeiten: Ständig Durchsagen
> Schlechtes Wetter, keine Chance auf Tickets fürs Museum, Dauergedudel im
> Warenhaus. Der Urlaub kann nur noch besser werden.
Bild: Eine Sommerhose shoppen – ein Schlechtwetterprogramm
Es ist Sommer. Und ich habe Urlaub. Könnte alles wunderbar sein, aber:
Corona. Deswegen bleiben wir in diesem Jahr zu Hause, und ich hatte große
Pläne für Radtouren zu Brandenburger Seen. Aber wir haben nicht nur Corona,
sondern auch krasses Regenwetter. Und ich frage mich wie Lenin: „Was tun?“
Eigentlich war ein Ausflug zum Großen Stechlinsee geplant, Fontane und so.
Aber die Wetter-App hatte uns schon vorgewarnt: Dauerregen, 17 Grad.
Und so schwenkte ich auf das Schlechtwetterprogramm um: Seit Wochen stechen
mir die Plakate für [1][die Hannah-Arendt-Ausstellung im Deutschen
Historischen Museum] ins Auge. Ein Blick ins Internet verrät: ganz blöde
Idee. Denn wegen Corona kann man nicht mehr einfach so ins Museum gehen.
Auch nicht, wenn man schon draußen die Maske aufsetzt, Hände und Füße
desinfiziert und einen Korb nimmt (oder was es sonst so an Hygienemaßnahmen
gibt). Ich klicke mich durch die unübersichtliche Website und die schwammig
formulierten Eintrittsregularien: „Für die Ausstellung kann ein
Online-Ticket erworben werden. Die Zeitfenster um 10 Uhr sowie freitags und
samstags ab 17 Uhr stehen ausschließlich dem Vor-Ort-Verkauf zum
nächstmöglichen Einlass zur Verfügung.“
Hannah Arendt macht es kompliziert: Die nächsten Onlinetickets gibt es für
einen Termin in elf Tagen. Ob ich auch einfach spontan kommen kann,
verstehe ich nicht so ganz – es scheint mir fast so kompliziert wie Arendts
Schriften.
Also Alternativprogramm: Ich werde in einem großen Warenhaus eine
Sommerhose kaufen. Seit Anfang März war ich nicht mehr in solchen Läden.
Und eigentlich hat man ja auch alles. Aber dann ist meine Lieblingshose
gerissen. An einer Stelle, an der Hosen normalerweise nicht reißen.
Klassischer Fall von Materialermüdung. Ich hab noch eine zweite. Aber das
ist vielleicht doch ein bisschen sehr wenig. Ich nähere mich also im
Regencape diesem Warenhaus.
Herzlich unwillkommen in der Einkaufshölle
Im überdachten Türbereich stelle ich mich ganz an den Rand, um mein nasses
Cape auszuziehen. Der Wachmensch am Eingang dreht sich um: „Da dürfen Sie
aber nicht rein. Der Eingang ist hier drüben. Und nur mit Maske.“ Ich fühle
mich gleich herzlich unwillkommen und mich genötigt zu erklären, dass ich
nicht mit triefnassem Cape einkaufen möchte. Das stopfe ich in meinen
Rucksack. Warum gibt es in Kaufhäusern eigentlich keine
Garderobenschließfächer? Nach fünf Minuten wird mir zu warm. Ich ziehe
meinen Pullover aus und packe ihn zu dem nassen Cape in den Rucksack.
Vorsicht, die Maske! Nach weiteren fünf Minuten bin ich total genervt von
der ätzend lauten Musik. Egal.
Auf allen Hosenständern steht „30 Prozent auf bereits reduzierte
Damenoberbekleidung“. Konsequent steht über den Pullis „30 Prozent auf
reduzierte Hosen“. Ständig gibt es Durchsagen: Die Mehrwertsteuersenkung
wird an mich weiter gegeben, im Erdgeschoss gibt es noch mal Rabatte auf
Koffer, irgendwo anders auf Damenhandtaschen. Dieser Geräuschkulisse
entrinnt man nicht. Ich weiß, warum Onlineshopping immer beliebter wird.
Zwischendurch immer wieder ein lauter Gong: Meine Gesundheit liegt ihnen am
Herzen, darum Maskenpflicht. Zum Glück lassen mich wenigstens die
maskierten Verkäuferinnen in Ruhe, und ich kann so viele Kleidungsstücke
mit in die Umkleide nehmen, wie ich will. Ätsch!
Und weil auch kaum Kunden da sind, habe ich sogar freie Auswahl der Kabine.
Trotzdem macht es keinen Spaß: Die schönen Blusen gibt es fast nur noch in
Größe 36, wenn man klein und dick ist, hat man verloren. Da hätte man wohl
im April kommen müssen. Am Ende finde ich zwei Hosen und einen
Wollpullover. Auch gut, für morgen ist wieder Regen angesagt.
22 Jul 2020
## LINKS
[1] /Hannah-Arendt-Ausstellung-in-Berlin/!5681502
## AUTOREN
Gaby Coldewey
## TAGS
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Hannah Arendt
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Sehnsucht Sommer
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