| # taz.de -- Neue Musik aus Berlin: Kraut und Koma | |
| > Harald Grosskopfs stilprägendes Album „Synthesist“ (1980) wird neu | |
| > veröffentlicht, während das Quintett Koma Saxo eine EP mit fiebrigen Jazz | |
| > vorlegt. | |
| Bild: Bei der Arbeit: Harald Grosskopf 1981 | |
| Manchmal muss ein Album wohl im wahrsten Sinne des Wortes ein paar | |
| Schleifen mehr drehen, um zu einem echten Klassiker zu werden. Das erste | |
| Soloalbum von Harald Grosskopf ist so ein Fall. Grosskopf zählte Ende der | |
| Siebziger zum Kreis der Berliner Schule der elektronischen Musik, er | |
| spielte Schlagzeug bei den Krautrock-Urviechern von Ashra (zuvor Ash Ra | |
| Tempel). | |
| Im Jahr 1979 zog er sich für sechs Wochen mit seinem Micromoog und einer | |
| 8-Spur-Bandmaschine zurück, um ein eigenes Synthesizer-Album einzuspielen, | |
| das folgerichtig „Synthesist“ hieß. 1980 erschien es, und es verkaufte sich | |
| zunächst nur rund 10.000 Mal. Für damalige Verhältnisse wenig. | |
| Vierzig Jahre später erscheint das Album in einer Jubiläumsauflage, und | |
| neben den Ursprungsversionen werden die Stücke von Musikern und Bands wie | |
| Pyrolator, Camera und Tellavision neu interpretiert. Bereits 2011 hatten | |
| international renommierte Produzenten wie JD Twitch und Oneohtrix Point | |
| Never dem Grosskopf'schen Werk gehuldigt. | |
| ## Qualitäten der Berliner Schule | |
| Und tatsächlich: Wenn man nun die Originale und die neuen Remixe hört, ist | |
| wenig verständlich, warum „Synthesist“ nicht sofort zu eine Standardwerk | |
| der elektronischen Musik avancierte. Denn alle Qualitäten der Berliner | |
| Schule bündelt Grosskopf auf diesem Album: Mal klingen die Stücke | |
| ambientig-versponnen („So weit, so gut“), dann stärker maschinell-getaktet | |
| („Emphasis“), dann pluckernd-technoid („1847 – Earth“). Immer arbeite… | |
| dabei mit repetitiven Mustern, man kommt schnell in einen Flow. | |
| Die Neuausgabe enthält allein vier neue Versionen des Titelstücks | |
| „Synthesist“. Bei Paul Frick (Brandt Brauer Frick) wird der Track von | |
| Klavier-Patterns bestimmt, die dem Song einen Neoklassik-Anstrich geben. | |
| Pyrolator (alias Kurt Dahlke) spielt die Synthie-Klänge dagegen in höheren | |
| Tonlagen, bei ihm wird das Stück etwas süßlich-flirrender – wie ein | |
| Zwilling dessen klingt die Interpretation von Camera, bei denen ebenfalls | |
| die hohen Synthie-Töne das Stück dominieren. Für die etwas technoidere | |
| Auslegung ist dagegen Stefan Lewin (Magnetrixx) zuständig. | |
| Dass die Synthie-Frickel-Szene heute glücklicherweise kein reiner Boys' | |
| Club mehr ist, würde einem insgesamt leider kaum auffallen – wäre da nicht | |
| immerhin Fee Kürten (Tellavision), die auch einen Track beisteuert. Sie | |
| legt eine sehr poppige, euphorische Neubearbeitung von „Emphasis“ vor, die | |
| sich in ferner Zukunft sicher gut auf dem Dancefloor macht. | |
| ## Famose Jazz-Combo | |
| Insgesamt ein schön psychedelisches Album, dem vielleicht noch ein paar | |
| mehr Produzent:innen aus der jungen, experimentierfreudigen Szene gut getan | |
| hätten. Aber das kann ja beim nächsten Jubiläum noch werden. | |
| Wie sehr man doch die Livemusik vermisst! Denkt man so bei sich, wenn man | |
| die beiden neuen Stücke der famosen Jazz-Combo Koma Saxo hört. Koma Saxo | |
| sind ein Quintett rund um den Kontrabassisten Petter Eldh, der einige | |
| Größen der experimentellen Berliner Szene um sich geschart hat. Dass sie | |
| live eine Wucht sind, war 2019 beim KIM-Fest in der Kulturbrauerei zu sehen | |
| und zu hören, wo es angesichts ihres hypernervösen, fiebrigen Jazzentwurfs | |
| kaum jemanden auf den Sitzen hielt. | |
| Auch zu den beiden neuen Tracks könnte man sicher tanzen, bis man ins Koma | |
| fällt, aber vorerst leider nur in den heimischen vier Wänden. So ist im | |
| Stück „Koma Mate“ die Spielfreude von Drummer Christian Lillinger | |
| ansteckend und bringt einen ins Grooven, bei „Jagd“ sind es vor allem das | |
| Zusammenspiel der Saxofone mit den elektronischen Klängen (von Jameszoo) | |
| und die mühelos gleitenden Basstöne, die einen glauben lassen, dass hier in | |
| wenigen Minuten so viel passiert wie bei anderen Bands in vielen Stunden | |
| nicht. Fetzt! | |
| Harald Grosskopf: „Synthesist“, 40th Anniversary Edition (Bureau B/Indigo) | |
| & Koma Saxo: “Koma Mate/Jagd“ EP (We Jazz Records) | |
| 16 Jul 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Uthoff | |
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