Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ani-Verfilmung im ZDF: „So gerne aufs Land“
> Von und mit Friedrich Ani, das verspricht tolles Fernsehen. Aber die
> Unmittelbarkeit von Regisseur Jan Bonny ist auch schwer auszuhalten.
Bild: Kommissar Wackwitz (Andreas Döhler, l.) will Rupert (Matthias Brandt) ei…
„Peng! Peng! Peng! Peng! Herr Seidlein. Pow! Pow! Pow! Pow! Mutti tot. Vati
tot. Bester Freund tot. Alle tot.“ So fasst ein nicht eben sensibel
gepolter Mordermittler zusammen, was dem Herrn Seidlein widerfahren ist. Es
muss über 40 Jahre her sein, denn der Herr Seidlein wird gespielt von dem
1961 geborenen [1][Matthias Brandt]. Und in der Rückblende, die den im
Hause Seidlein so unglücklich aus dem Ruder gelaufenen Einsatz zweier
blutjunger Provinzpolizisten zeigt, war der Herr Seidlein noch ein
Teenager.
Jetzt ist er Fahrlehrer in dem Provinzkaff, in das er vor einem Jahr
zurückgekehrt ist und das sich irgendwo im Rhein-Sieg-Kreis befinden muss.
Man kann das den Nummernschildern entnehmen, es ist aber ganz egal, es
könnte auch woanders sein. In einer sonstigen, gleichermaßen öden Provinz,
über die eine Fahrschülerin von Herrn Seidlein sagt: „Oh, wie ich das hier
hasse. Nach’em Abi bin ich sofort weg. Und dann komm ich auch nich’ mehr
wieder.“ Und eine Frau auf der Straße: „Hallo Herr Seidlein. Wie halten Sie
das nur aus? Den ganzen Tag hier durch dieses Elend durchfahren.“
Das Elend ist so zeitlos, dass sich der Ablauf der Jahrzehnte nur am Alter
des Hauptdarstellers – und der beiden Polizistendarsteller (Manfred Zapatka
und Paul Faßnacht) – ablesen lässt. An der Ausstattung lässt er sich nicht
ablesen, nicht einmal an den Autos. Diese Holzkugel-Sitzauflage, auf der
der Herr Seidlein in seinem Fahrschulwagen sitzt, gibt es dafür eigentlich
einen Begriff? Und das Vereinslokal in der Tennishalle mit der Vitrine mit
den Pokalen, die so hässlich sind, wie Sportpokale immer schon waren. Und
dass die Tennishalle so aussehen muss wie anno 1987, spätestens, liegt das
vielleicht daran, dass danach in der deutschen Provinz keine Tennishallen
mehr gebaut wurden?
In diesem Vereinslokal in dieser Tennishalle sehen sie sich zum ersten Mal
wieder: Herr Seidlein und der inzwischen pensionierte Polizist Horn
(Zapatka). Beide in Begleitung ihrer Ehefrauen. Worüber soll man sprechen?
Natürlich nicht über die Toten von damals. Herr Seidlein fragt Horn nach
seinem Gomera-Urlaub, aus dem der gerade zurück ist. Später wird er ihn
noch zu einem Grillfest in seinem Garten einladen: „Wo unser Haus ist,
wissen Sie ja.“ Herr Seidlein wohnt wieder in seinem Elternhaus.
## „Dann wird alles gut“
„Wir wären andere Menschen“, sagt gegen Ende des Films Herr Seidlein zu
seiner Frau ([2][Silke Bodenbender]), abends im Bett. Er meint, sagt nicht:
wenn das damals nicht passiert wäre. „Wir wären andere Menschen“, so hei�…
auch der Film, in dem das Ungesagte, das Unsagbare die zweite, wenn nicht
die eigentliche Hauptrolle spielt. Das Geschrei, das Gestammel, das
Gelächter stattdessen. Der Autor (nicht nur) zahlreicher Kriminalromane und
Drehbücher [3][Friedrich Ani] ist berühmt für seine melancholischen
Ermittlerfiguren, wie Tabor Süden und Polonius Fischer – allein diese
Namen! Dass er auch, nach einer eigenen Erzählung, zusammen mit Ina Jung
das Drehbuch zu diesem Film verfasst hat, muss man schon im Kleingedruckten
nachlesen, so viel deutlicher tritt die Handschrift des Regisseurs hervor.
Kein anderer gibt sich solche Mühe, den Sex jedes Mal, wirklich jedes Mal,
so zu inszenieren, als wäre jegliche Erotik im Film eine hoffnungslos
kitschige Utopie von anno dazumal. Zu dem Schluss muss man kommen, wenn der
letzte Film von Jan Bonny, den man zuvor gesehen hat, sein
[4][Schwarzwald-„Tatort“ im Februar] war. Unvermittelte Schnitte,
Gesprächspartner, die aus dem Off Dialoge improvisieren, Wackelkamera und
diese ganze Doku-Ästhetik.
Wer da glaubt, das sei durch, der muss sich nur wieder einen dieser
Jan-Bonny-Filme ansehen. Deren schwer auszuhaltende Unmittelbarkeit einen
dann doch wieder umhaut, ein ums andere Mal.
So umhaut, dass es offenbar des „Tatort“-Labels bedarf, um das vor 23 Uhr
(und außerhalb des Sommerlochs) zu senden. Oder wenigstens des
„Polizeiruf“-Labels. Bonny hat nämlich auch zwei der „Polizeirufe“ mit
Matthias Brandt gedreht. So umhaut, wie die Sätze, die Brandt als Herr
Seidlein zu seiner Frau dann auch noch sagt, schon abends im Bett: „Ich
hab’ gedacht, wenn ich die wegmache, dann wird alles gut. Du wolltest doch
so gerne aufs Land.“
7 Aug 2020
## LINKS
[1] /Raumpatrouille-von-Matthias-Brandt/!5350230
[2] /Schauspielerin-Silke-Bodenbender/!5105069
[3] /Schriftsteller-Ani-ueber-bayerische-Politik/!5538055
[4] /Faschings-Tatort-aus-dem-Schwarzwald/!5663163
## AUTOREN
Jens Müller
## TAGS
Fernsehfilm
ZDF
TV-Krimi
Matthias Brandt
Tatort
Schriftsteller
## ARTIKEL ZUM THEMA
Faschings-„Tatort“ aus dem Schwarzwald: Brutalität vor dem ersten Mord
Ein TV-Krimi in der Karnevalssaison, das könnte platt werden. Nicht so der
Schwarzwald-„Tatort“ „Ich hab im Traum geweinet“.
Schriftsteller Ani über bayerische Politik: „Ich hab fast Mitleid mit der CS…
Friedrich Ani hat Horst Seehofer in einem Gedicht als „Unchrist“
bezeichnet. Er weiß auch sonst gut, wo es gerade langgeht in Bayern.
Schauspielerin Silke Bodenbender: Sie kann gut schweigen
Silke Bodenbender ist derzeit oft im Fernsehen zu sehen, so auch am Montag
in einer Komödie im ZDF. Dabei möchte sie viele Rollen gar nicht spielen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.