# taz.de -- Ökonomin über Brexit-Folgen: „Wertschätzung für die EU gering… | |
> Was passiert rund um den Brexit mit Großbritanniens Wirtschaft? Dorothea | |
> Schäfer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung wagt eine | |
> Prognose. | |
Bild: Die Fischerei – hier eine kleine Protestaktion auf der Themse – ist e… | |
taz: Frau Schäfer, wird es beim Brexit gelingen, noch ein | |
[1][Handelsabkommen] abzuschließen? | |
Dorothea Schäfer: Ich rechne nicht damit. Die britische Regierung | |
orientiert sich noch immer sehr stark auf die Bedürfnisse von | |
Zentralengland, also auf das England ohne den Finanzplatz London. Die | |
Wertschätzung für die EU bleibt gering. | |
Was sind die Interessen von Zentralengland? | |
[2][Boris Johnson] verspricht einen „New Deal“. Die britische Regierung | |
scheint die Idee zu verfolgen, mit ganz viel Geld zu versuchen, neue | |
Industriearbeitsplätze zu schaffen. Man will wieder in das alte England | |
zurückkehren, das durch die Industrialisierung groß geworden ist. | |
Das war im 19. Jahrhundert. | |
Großbritannien hat sich tatsächlich sehr früh von seiner Industrie | |
verabschiedet und auf Finanzdienstleistungen gesetzt. Aber jetzt reift die | |
Erkenntnis, dass es den Ländern besser geht, die immer noch | |
Industriearbeitsplätze haben. Wie etwa Deutschland. | |
Wo sollen die neuen Industriearbeitsplätze herkommen? | |
Es ist nicht völlig abwegig, dass die Briten mit viel Geld innovative | |
Branchen entwickeln können. Schließlich haben sie sehr gute Universitäten. | |
Viele Deutsche würden denken: Wenn der britische Staat ständig Geld druckt, | |
kommt es bald zu einer bedrohlichen Inflation. | |
Damit ist nicht zu rechnen. Unkontrollierbare Hyperinflationen entstehen | |
eigentlich nur nach Kriegen – wenn also ganz viel Geld unterwegs ist, aber | |
die Güter fehlen. Dies ist jetzt nicht der Fall. In Großbritannien gibt es | |
genug Waren. | |
In Großbritannien stammen viele dieser Waren aus dem Ausland. Das Land hat | |
ein chronisches Handelsdefizit. Wird es durch den Brexit schwieriger, | |
dieses Defizit zu finanzieren? | |
Die britischen Defizite sind kein Problem, solange Anleger aus dem Ausland | |
Kredite gewähren. Aber je größer das Defizit wird, desto mehr steigt das | |
Risiko, dass es zu spekulativen Attacken kommt und urplötzlich Geld aus | |
Großbritannien abgezogen wird. Mit dem Brexit nimmt diese Gefahr noch zu, | |
weil der Finanzplatz London geschwächt wird. Bisher haben die | |
Finanzdienstleistungen immer einen Überschuss produziert, der dann die | |
Defizite im Außenhandel finanziert hat. | |
Wie stark wird der Finanzplatz London schrumpfen? | |
Ich rechne mit etwa 30 Prozent. | |
Sofort? Also ab dem 1. 1. 2021? | |
Nein. Dieser Prozess dürfte sich etwa drei Jahre hinziehen. Am Anfang wird | |
es Übergangsregeln geben, denn es wäre viel zu gefährlich, wenn der | |
Finanzplatz London plötzlich abgekoppelt würde. Die britische Zentralbank | |
hat bereits ankündigt, dass sie vorerst an der Regulierung nichts ändern | |
wird. Zunächst werden also auch in London immer noch die Regeln des | |
europäischen Binnenmarkts gelten. | |
Aber es ist doch erklärtes Ziel der britischen Regierung, „eigene | |
Standards“ zu setzen. | |
Genau deswegen kann London mittelfristig keine Finanzgeschäfte für die | |
Europäer mehr abwickeln. Auch das lukrative Geschäft mit den Derivaten wird | |
auf den Kontinent umziehen, das sogenannte „Euro-Clearing“. | |
Obwohl London einen Teil seiner Finanzgeschäfte verlieren wird, herrscht | |
Schweigen bei den britischen Banken. Wie ist das zu erklären? | |
Dies zeigt nur, dass sich die Banken nichts davon versprechen, lauten | |
Widerstand gegen den Brexit anzumelden. Ihr Image ist zu schlecht. Ganz | |
offensichtlich haben die allermeisten Briten nicht das Gefühl, dass sie vom | |
Finanzstandort London irgendwie profitiert hätten. Also sind sie bereit, | |
einen Teil dieser Finanzgeschäfte für den Brexit zu opfern. | |
4 Aug 2020 | |
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## AUTOREN | |
Ulrike Herrmann | |
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