| # taz.de -- Gesundheitssystem in Kamerun: Ein Fanal namens Monique | |
| > Vor vier Jahren stirbt in Kamerun eine Hochschwangere. Ihr skandalöser | |
| > Tod hat die Debatte über eine gerechtere Gesundheitspolitik in Afrika | |
| > befeuert. | |
| Bild: Protest gegen die Regierung Kameruns gibt es auch im Ausland, wie hier Mi… | |
| Monique Koumatekel [1][trug nicht das Coronavirus in sich], als sie starb. | |
| Die junge Kamerunerin war einfach hochschwanger, als ihre Familie sie am | |
| 12. März 2016 ins Laquintinie-Krankenhaus in Kameruns größter Stadt Douala | |
| brachte. Sie war schon stundenlang unterwegs gewesen. Im Krankenhaus begann | |
| eine tödliche Odyssee. Auf der Entbindungsstation wurde die Familie | |
| abgewiesen: Die Frau sei schon tot. An der Leichenhalle hieß es, ohne | |
| Totenschein könne man nichts machen und außerdem bewege sich doch noch der | |
| Fötus, sie gehöre zurück auf die Entbindungsstation. Ein Pfleger dort, der | |
| das untersuchen wollte, wurde von einer Kollegin gestoppt. Monique blieb | |
| vor der verschlossenen Tür liegen. | |
| Die verzweifelten Angehörigen wussten sich keinen anderen Ausweg, als am | |
| Krankenhauskiosk ein Skalpell zu kaufen und zu versuchen, das Baby selbst | |
| zu retten, per Kaiserschnitt auf dem Fußboden. Es war zu spät. Moniques | |
| Nichte Rose Tacke öffnete zwar den Bauch, aber die Zwillinge, die sie | |
| heraushob, waren tot. Das Krankenhauspersonal schaute dem blutigen | |
| Geschehen ungerührt zu, manche amüsierten sich und filmten es auf ihren | |
| Handys. | |
| Die Horror-OP auf dem Krankenhausboden wurde zum Skandal, denn das kaum | |
| erträgliche Video machte sofort in sozialen Netzwerken die Runde. Wie | |
| einige Jahre zuvor beim Tod des jungen Tunesiers Mohamed Bouazizi, dessen | |
| öffentliche Selbstverbrennung zum Fanal des Arabischen Frühlings wurde, | |
| verwandelte sich Monique Koumatekel durch ihren Tod und den ihrer | |
| ungeborenen Kinder in eine Ikone. „Wir sind alle Monique Koumatekel“ stand | |
| auf handgemalten Protestplakaten bei Frauendemonstrationen. | |
| Kameruns autoritärer Staat reagierte, wie er es immer tut. Er verhaftete | |
| die Angehörigen wegen „Störung der Totenruhe“ und auch das Personal der | |
| Entbindungsstation. Oppositionelle eilten der Familie zu Hilfe, der | |
| Krankenhausleiter wurde abgesetzt – um ein Jahr später als Gesundheitschef | |
| der gesamten Provinz wiederaufzutauchen. Zugleich gingen die Behörden gegen | |
| soziale Medien vor, als Vehikel des Protests. Die Affäre Monique Koumatekel | |
| wurde zu einer der vielen Initialzündungen der Revolte, die den Westen | |
| [2][Kameruns in einen blutigen Bürgerkrieg gestürzt] hat, von dem sehr | |
| wenig nach außen dringt. Auf der Liste der vergessenen Konflikte der Welt | |
| hält Kamerun regelmäßig den ersten Platz. | |
| ## Postkoloniale Gewaltherrschaft | |
| International ist dieser Aufstand tribal einsortiert: die englischsprachige | |
| Minderheit gegen den französischsprachigen Staat. Aber Kamerun insgesamt | |
| steht für [3][Kontinuität kolonialer und postkolonialer Gewaltherrschaft] | |
| in Afrika. Wut gibt es überall; Gelegenheiten, sie zu äußern, sind selten | |
| und müssen erkämpft werden. „Die gesellschaftliche Wirkung des Todes von | |
| Monique zeigt, dass es nicht um ein persönliches Problem geht, sondern um | |
| ein größeres gesellschaftliches Übel“, analysieren die kamerunischen | |
| Sozialwissenschaftler Jacquineau Azétsop, Christophe Tchawa und Sylvestre | |
| Omgba Essomba in einem Essay: „Die koloniale und postkoloniale | |
| Unterdrückung hat eine Atmosphäre der Angst und eine Kultur des Schweigens | |
| geschaffen, innerhalb der ohne Erlaubnis des Staates keine Geschichte | |
| erzählt und keine Erinnerung bewahrt werden darf.“ | |
| Das Krankenhaus Laquintinie in Douala entstand 1931 als erstes Krankenhaus | |
| der damaligen französischen [4][Kolonialmacht für Kameruns] Schwarze – | |
| davor gab es bloß das aus der deutschen Kolonialherrschaft stammende | |
| „Nachtigal-Krankenhaus“, ein elegantes Gebäude mit europäischem Komfort n… | |
| für Weiße, wogegen das „Hôpital indigène“, wie es anfangs hieß, als �… | |
| Art großer Hangar mit Wellblechdach“ beschrieben wird, mit 30 Holzpritschen | |
| und in der Mitte einem öffentlichen Behandlungstisch. Später ausgebaut, | |
| wurde es nach der Unabhängigkeit zu einem Hospital erster Klasse. | |
| Die Entbindungsstation wurde erst Ende Februar 2016 neu eröffnet, als die | |
| modernste des Landes. Eine einfache Familie wie die von Monique Koumatekel, | |
| die im Sammeltaxi vorfährt, ist da fehl am Platz. Wie die | |
| Sozialwissenschaftler ausführen: „Am Eingang muss man die Gebühr für die | |
| Konsultation zahlen, in der Halle auf die Ergebnisse warten, ein | |
| Zugangsbillet für einen Spezialisten kaufen, dann für das Labor und die | |
| verschiedenen Analysen zahlen und zurück zum Spezialisten.“ Die Familie | |
| Koumatekel konnte das alles nicht. Sie hatte nur 0,30 Euro für ein | |
| Skalpell. | |
| ## Das Elend des Gesundheitswesens | |
| In einem Papier resümiert der Kommunikationswissenschaftler Ndibi Ola’a | |
| Frederic das Elend des Gesundheitswesens in Kamerun: „Wir zahlen für ein | |
| Rezept. Wir zahlen für Behandlung. Wir zahlen, um die Aufmerksamkeit des | |
| Pflegepersonals zu bekommen. Wir zahlen, damit ein Neugeborenes nicht | |
| gestohlen wird und auch nicht die Organe eines Verstorbenen aus der | |
| Leichenhalle.“ Deswegen wusste jede Kamerunerin, die von Monique Koumatekel | |
| erfuhr: „Das könnte auch mein Schicksal sein.“ | |
| Heute bietet Laquintinie als eines der wenigen Krankenhäuser in Kamerun | |
| Coronatests an. Offiziell sind sie kostenlos. Manchen Berichten zufolge | |
| verlangen manche Ärzte viel Geld dafür. Derweil sind in Kamerun | |
| Oppositionsaktivisten verhaftet worden, weil sie kostenlose Schutzmasken an | |
| die Bedürftigen verteilten. Die Regierung bittet um Spenden gegen Covid-19, | |
| aber was sie mit dem staatlichen „Solidaritätsfonds für Gesundheit“ macht, | |
| in den offiziell 10 Prozent der Einnahmen des Gesundheitssektors fließen, | |
| bleibt ihr Geheimnis. | |
| Postkoloniale Kontinuität heißt eben auch, dass Gesundheit nur für | |
| Privilegierte da ist. Früher gab es [5][Selektion nach Rasse], heute nach | |
| Geld. Ein Gesundheitssystem für alle gibt es in Kamerun nicht. Konzepte | |
| gäbe es. Die Coronapandemie wäre der Moment, sie zum Leben zu erwecken, | |
| überall auf der Welt. Das in Kameruns sozialen Bewegungen kursierende | |
| Modell heißt „Monique Koumatekel“. | |
| 4 Aug 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Dominic Johnson | |
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