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# taz.de -- Türkei mit Gesetz zu sozialen Medien: Kontrolle im Netz
> Die türkische Regierung sucht besseren Zugriff auf die Opposition im
> Netz. Ein neues Gesetz zielt deshalb auf Twitter, Facebook und Youtube.
Bild: Der türkische Präsident kann sich über ein neues Kontrollinstrument fr…
Istanbul taz | In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch hat das türkische
Parlament ein hoch umstrittenes Gesetz verabschiedet, durch das
Onlinenetzwerke stärker kontrolliert werden sollen. Trotz heftigen
Widerstands der Oppositionsparteien stimmte die Mehrheit der
Regierungspartei AKP und der ultrarechten MHP für eine massive
Einschränkung von Plattformen wie Facebook, Twitter, Youtube oder
Instagram. Sie folgten damit einer Aufforderung von Präsident [1][Recep
Tayyip Erdoğan], der Anfang des Monats gesagt hatte, man müsse mit den
sozialen Medien endlich aufräumen. „Diese Kanäle, in denen es von Lügen,
Beleidigungen, Rufmorden und Angriffen auf das Persönlichkeitsrecht nur so
wimmelt, müssen reguliert werden“, hatte Erdoğan gefordert.
Das Gesetz legt fest, dass Onlineplattformen, die täglich mehr als eine
Million türkische Nutzer haben, eine Niederlassung in der Türkei eröffnen
und einen türkischen Repräsentanten beschäftigen müssen, der für die
Plattform juristisch und steuerrechtlich verantwortlich ist. Außerdem legt
das Gesetz fest, dass alle Daten türkischer Nutzer in der Türkei
gespeichert werden müssen, sodass sie jederzeit für die türkische Justiz
greifbar sind. Forderungen eines türkischen Gerichts nach beispielsweise
Löschung von Posts oder Daten von Nutzern müssen die Plattformen innerhalb
von 24 Stunden nachkommen, Beschwerden von Nutzern müssen innerhalb von 48
Stunden beantwortet werden.
Das Gesetz schreibt außerdem vor, dass die betroffenen Onlineplattformen
innerhalb von 30 Tagen, nachdem das Gesetz rechtskräftig geworden ist, die
Auflagen erfüllen müssen und insbesondere einen türkischen Repräsentanten
ernannt haben müssen. Kommen sie dem nicht nach, soll deren
Internetbandbreite um 90 Prozent gedrosselt, sodass sie in der Türkei
praktisch unbrauchbar werden. Bei Verstößen gegen die anderen Auflagen
drohen empfindliche Geldstrafen.
Die AKP-Abgeordnete Özlem Zengin, die die Gesetzesvorlage eingebracht
hatte, sagte, man wisse um die Bedeutung der sozialen Medien und wolle sie
deshalb nicht beeinträchtigen, aber die Verletzung der
Persönlichkeitsrechte müsse aufhören.
## Zweiter Versuch
Vor einigen Monaten hatte die Regierung bereits einmal einen Vorstoß
gemacht, um die sozialen Medien besser kontrollieren zu können, war dann
aber [2][angesichts der großen Empörung unter den meist jüngeren Nutzern
doch davor zurückgeschreckt]. Erdoğan nutzte für den neuerlichen Versuch
einen Vorfall vor drei Wochen, als seine jüngste Tochter, die mit
Finanzminister Albayrak verheiratet ist, angesichts der Geburt ihres
vierten Kindes im Netz beleidigt wurde, um das Gesetz wieder auf den Plan
zu bringen.
Die Opposition und Netzaktivisten gehen davon aus, dass die Beleidigungen,
die es im Netz natürlich gibt, nur ein vorgeschobener Grund sind, um die
Kontrolle über die sozialen Medien auszuweiten. Schließlich sind diese die
letzte Möglichkeit, Kritik und abweichende Meinungen in der Türkei noch zu
äußern, ohne gleich verhaftet zu werden. Im Laufe der Jahre hat die
Erdoğan-Regierung nahezu sämtliche Fernsehanstalten und Printmedien unter
ihre direkte oder indirekte Kontrolle gebracht.
Die wenigen noch existierenden oppositionellen Zeitungen sind zumeist
ökonomisch sehr schwach und haben nur eine geringe Reichweite. Ihre
[3][Redakteure und Journalisten sind permanent bedroht] und stehen alle mit
einem Bein im Gefängnis. Deshalb hat sich der oppositionelle Informations-
und Meinungsaustausch schon seit Jahren ins Netz verlagert. Bereits jetzt
kontrollieren spezialisierte Abteilungen der Polizei Twitter und Facebook,
viele Anklagen basieren auf tatsächlichen oder angeblichen Tweets.
Allerdings waren Twitter und Facebook für die türkische Justiz bislang
schwer greifbar und konnten nicht so leicht zu einer Kooperation mit der
Polizei gezwungen werden. Das wird sich jetzt ändern, falls diese
Plattformen auf die Forderungen der türkischen Regierung eingehen. Weigern
sie sich, werden sie nach und nach aus dem türkischen Netz verschwinden.
Erst jüngst hatte [4][Netflix die Drehabreiten zu einer türkischen Serie
abgebrochen], weil die türkische Medienaufsicht gefordert hatte, einen
schwulen Charakter aus dem Drehbuch zu streichen. Netflix verzichtete auf
das Projekt. So oder so wird die Meinungsfreiheit mit dem Gesetz erneut
stark eingeschränkt und die Türkei isoliert sich international weiter.
29 Jul 2020
## LINKS
[1] /!t5008296/
[2] /Soziale-Medien-in-der-Tuerkei/!5676356
[3] /!t5299953/
[4] /Lektionen-der-Woche/!5700520
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
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Türkei
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