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# taz.de -- Die politische Zukunft der Türkei: Generation Dislike
> Die Generation Z kennt keine andere Regierung als die AKP. Nun wird sie
> erwachsen, doch weder Opposition noch AKP haben ihr etwas anzubieten.
Bild: Jugendlichen interessieren sich überwiegend nicht für die Kernthemen de…
Die nach 2000 Geborenen sind in der Türkei in einem politischen Umfeld
aufgewachsen, das immer schon von der AKP-Regierung geprägt und geformt
worden ist. Wenn 2023, zum 100-jährigen Bestehen der Republik, die nächsten
Wahlen stattfinden, wird mit sieben Millionen Menschen jede fünfte
wahlberechtigte Person dieser Generation Z angehören. Die Generation Z ist
jetzt schon der Hoffnungsschimmer der Opposition und der Albtraum der AKP.
Die Opposition geht davon aus, dass es die AKP nicht schafft, diese
Generation anzusprechen. Daher investiert sie massiv in eine Strategie, die
auf zwei Hypothesen beruht: dass faire und freie Wahlen stattfinden werden
und dass die jungen Menschen, die sich von der AKP abwenden, ihre Hoffnung
in den Oppositionsparteien suchen werden. Ob sich die Generation Z jedoch
ausgerechnet den etablierten Oppositionsparteien zuwenden wird, steht in
den Sternen.
Die AKP versucht sich derweil selbst auf die Herausforderung vorzubereiten,
die der digitale Wandel für die „Autorität, Hegemonie und Politik des
Staates“ unweigerlich darstelle, wie der Partei-Vize Mahir Ünal Erdoğan im
Juni in einer Präsentation darlegte. Diese Herausforderung zeigte sich, als
im Juni unter Coronabedingungen landesweit die Aufnahmeprüfungen für die
Universitäten abgehalten wurden. Als die zentralisierten Prüfungen
zunächst nach hinten verschoben, dann aber wieder willkürlich vorverlegt
wurden, zeigten sich die Abiturient*innen erbost. Ihr öffentlicher Protest
trendete auf Twitter. Niemand schenkte ihnen Gehör.
Am Tag vor den Prüfungen veröffentlichte Erdoğan auf Youtube ein
Livestreamvideo, um zu zeigen, wie viel Wert er als Präsident der Jugend
seines Landes zumisst. Während des Livestreams zeigten Hunderte junger
Menschen mit dem Hashtag #oymoyyok (in etwa: „Kannste vergessen, dass ich
dich wähle“), was sie davon hielten.
Als die Kommentarfunktion unter dem Video abgestellt wurde, begannen die
Jugendlichen, das Video zu disliken. Das war die Herausforderung, auf die
der AKP-Vize Ünal hinwies: Diese Jugendlichen beugten sich nicht vor der
Autorität des Staates, hielten mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg und
wussten sich im Internet auszudrücken. Die AKP bewertete die Reaktionen der
Jugendlichen wenig überraschend als von illegalen Terrororganisationen
organisierte Aktionen.
## Zahl der Atheist*innen steigen
Das Projekt, eine „fromme Generation“ heranzuziehen, von dem Erdoğan seit
den Gezi-Protesten 2013 offen spricht, kann als gescheitert angesehen
werden. Laut Umfragewerten sinkt die Zahl der Menschen, die sich als
religiös bezeichnen, während die Zahl der Atheist*innen in den vergangenen
zehn Jahren gestiegen ist. Die Umfragefirma Gezici hat im Juni eine
vielbeachtete Studie zur Generation Z vorgelegt, für die sie in 12
Provinzen Menschen unter 21 Jahren befragte. Unter den 1.062 Befragten
(rund die Hälfte waren Frauen) sagten knapp 16 Prozent, regelmäßig einen
Glauben zu praktizieren, rund 29 Prozent gaben an, keinen Glauben zu haben.
Die befragten Jugendlichen interessierten sich zudem überwiegend nicht für
die Kernthemen der AKP, sondern gaben an, dass ihnen besonders Themen am
Herzen liegen, die von der AKP systematisch vernachlässigt werden. Für 83
Prozent waren Umweltthemen zentral, knapp 79 Prozent wünschten sich eine
Anbindung der Türkei an die EU.
Seit der Bericht in den Medien vorgestellt wurde, reißen die Diskussionen
im Fernsehen und in den sozialen Medien nicht mehr ab. Selbst vertreten ist
die Generation Z aber in keiner der Diskussionsrunden. Es schlägt auch
niemand vor, darüber zu sprechen, was man diesen jungen Leuten anbieten
könnte, damit sie sehen, dass man eine andere Politik macht als die AKP.
Kurz gesagt: Wir müssen uns auf eine Generation gefasst machen, die sich
für die Tabus und No-Gos der AKP und der etablierten Oppositionsparteien
keinen Deut interessiert, sondern deutlich sieht, dass ihr Leben und ihre
Zukunft den Politiker*innen ohnehin nichts wert ist. Sie wird ihre eigenen
Wege und Kanäle finden, um sich auszudrücken. Dank der Wirtschaftspolitik
der AKP muss diese Generation mit einer hohen Schuldenlast leben. Eine
Wirtschaftskrise, die man nicht so nennen darf, hat jetzt schon zu einer
Rekordarbeitslosigkeit unter gut ausgebildeten, jungen Leuten geführt.
Wenn die Oppositionsparteien angesichts dieser Situation weiterhin Politik
machen, als wäre alles wie immer, bleibt kaum noch ein Unterschied zwischen
ihnen und der AKP. Denn aktuell sind sie alle darauf ausgerichtet, den
überalterten konservativen Wählergruppen den Bauch zu pinseln. Es waren
diese Wählergruppen, die jahrelang die AKP an der Macht gehalten und den
jungen Menschen exorbitante Schulden hinterlassen haben. Die Rechnung für
die Extravaganz der konservativen Generationen zahlen die Jugendlichen.
Aus dem Türkischen von Oliver Kontny
25 Jul 2020
## AUTOREN
Ayşe Çavdar
## TAGS
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Politik
Generation Z
Türkei
Opposition in der Türkei
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