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# taz.de -- Die Wahrheit: Im Bann der Paukenfibeln
> Die merkwürdigsten Museen der Welt (2). Heute: Die leider längst
> umbenannte Prähistorische Staatssammlung in München.
Bild: Statt im Zoo mit der Schwester war der Autor (l.) lieber prähistorisch u…
Der kleine Andreas war noch keine acht, als er zum ersten Mal eine
Ausstellung in der Prähistorischen Staatssammlung besucht hat. Seine
Großmutter hatte ihn mitgenommen, damit die Mutter Zeit zum Arbeiten hat.
Was könnte man mit einem achtjährigen Jungen wohl machen, mag sie sich
gefragt haben. Wie sie dann ausgerechnet auf die Prähistorische
Staatssammlung gekommen ist, hat sich Andreas lange gefragt. Denn beinahe
niemand in der ganzen, großen bayerischen Landeshauptstadt München kannte
dieses Museum.
Wer nicht wusste, wo genau sich der Eingang zur Sammlung befand, dem sind
auf immer die Schätze aus der bayerischen Vor- und Frühgeschichte verborgen
geblieben. Irgendwo am Fuße riesiger, rostiger Metallkuben befand sich eine
Öffnung, in der man Andreas und seiner Großmutter Einlass gewährte, wenn
sie ihn begehrten. Die metallenen Quader lagen gut versteckt hinter alten
Bäumen am letzten Ende des Englischen Gartens. Wo das Grün den Rost
berührte, hatte sich Moos gebildet und so war der Schriftzug
„Prähistorische Staatssammlung“ nur für die zu entdecken, die gewusst
haben, wo genau er sich an dem Gebäude befand.
Selbst Frau Führmann, die weise und gestrenge Grundschullehrerin des
kleinen Andreas wunderte sich, als ihr das schmächtige Kerlchen, das der
Bub, damals war, auf die Frage, was er denn in den Ferien unternommen habe,
die Antwort gab: „Ich war in der Prähistorischen Staatssammlung.“ Ihr war
anzusehen, dass sie keine Ahnung von der Existenz dieses Museums hatte. Was
er denn da gesehen habe, fragte sie Andreas. „So Fibeln halt“, antwortete
der Junge.
## Schicksalsergebenheit eines Buben
Zu Hause fragte ihn dann seine Mutter, was es denn zu bedeuten habe, dass
seine Lehrerin in das Mitteilungsheft geschrieben habe, Andreas denke sich
immer so komische Sachen aus. Außerdem, so schrieb sie weiter, solle sie
aufpassen, dass aus ihrem Sohn kein Lügner wird. „Gar nichts habe ich mir
gedacht“, sagte der Bub und nahm die fälligen Watsch’n mit der ihm üblich…
Schicksalsergebenheit in Empfang.
Was folgte, war eine Nacht, in der Andreas keinen Schlaf gefunden hat.
Hatte seine Lehrerin geglaubt, er habe ihr weismachen wollen, dass in dem
Museum historische Leselernbücher ausgestellt wurden? Wieso reagierte sie
auf das Wort Fibel mit jener Gereiztheit, die dafür sorgte, dass alle in
der Klasse Angst vor ihr hatten? Hatte sie wirklich noch nichts von der
Hallstadt-Zeit in Bayern gehört? War an ihr die Faszination jener Klammern,
die ein wenig an Sicherheitsnadeln erinnerten und mit denen die Menschen
jener Epoche ihre Kleidung zusammengeheftet haben, vorübergegangen? War sie
als Lehrerin überhaupt geeignet, wenn sie um solcherart Fundstücke aus der
frühen Eisenzeit in Bayern nicht wusste? Und wie konnte es überhaupt sein,
dass sie nicht alles wusste, wo sie doch eine leibhaftige
Volksschullehrerin war?
## Allgemein nicht zugängliches Wissen
Es war dies jene Nacht, in der Andreas klar wurde, dass er sich mit den
Besuchen in der Prähistorischen Staatssammlung Wissen verschafft hatte, das
offenbar nicht allen zugänglich war. Der Gedanke gefiel ihm. Bald verließ
er die Bogen-, Kahn- und Paukenfibeln und wandte sein Interesse anderen
Gegenständen zu. Schnell wusste er alles über die antiken Gemmen, die man
über die Jahre aus bayerischen Äckern geborgen hatte. Wenn man ihn gefragt
hätte, was seine Lieblingsgemme ist, dann hätte er jene Miniaturdarstellung
eines Löwen, der einen Hirschen reißt, genannt, ein wahres Kunstwerk aus
dem zweiten Jahrhundert nach Christus, das man beim niederbayerischen
Künzing gefunden hat. Es hat ihn aber nie jemand gefragt.
Eine Zeit lang empfand Andreas das Desinteresse seiner Mitmenschen für all
die Keile, Trinkhörner oder Speerspitzen, die man auf bayerischen Fluren
entdeckt hatte, ein wenig verletzend. Erst später entwickelte er den Stolz
als Geheimnisträger, den er bis heute verspürt, wenn er in einer
Gesprächsrunde seine Begeisterung über die Ausgrabung eines Gräberfeldes im
bayerischen Schwaben zum Ausdruck bringt, weil man dort Grabbeigaben, die
in Ägypten hergestellt gewesen sein müssen, gefunden hat. Das Schweigen der
Gesellschaft in solchen Momenten interpretiert er als Respekt der
Unwissenden dem Weisen gegenüber und genießt.
Mit Entsetzen hat er festgestellt, dass die Gebäude der Prähistorischen
Staatssammlung, die vor zwanzig Jahren in Archäologische Staatssammlung
umbenannt worden ist, gerade einer Grundsanierung unterzogen werden. Von
Oberlichtkuben ist da die Rede, von einem anderen Eingangsbereich. Sogar
ein Café soll entstehen. Eine neue Architektur soll dem Ort zu größerer
Sichtbarkeit verhelfen. Bis zum Jahr 2022 soll gebaut werden. Dann soll es
am ehemals geheimen Ort Archäologie für alle geben. Ein grauenhafter
Gedanke.
Archäologische Staatssammlung, Lerchenfeldstraße 2, München, derzeit
geschlossen
29 Jul 2020
## AUTOREN
Andreas Rüttenauer
## TAGS
Museen
München
Historie
Oktoberfest
Kolumne Die Wahrheit
FC Bayern München
Hubert Aiwanger
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