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# taz.de -- Debatte über Rassismus: Gefährliche Wendung
> Selbst Liberale und Linke sind nicht mehr davor gefeit, als Rassisten
> gebrandmarkt zu werden. Das ist eine neuartige Maßlosigkeit.
Bild: Seit einiger Zeit wird in Deutschland und der Welt heftig über Rassismus…
Menschen mit Migrationshintergrund melden sich zu Wort. Sie sind gebildet,
wortgewandt. Sie wollen den Rassismus anprangern, nicht mehr nur den
Rassismus, der von faschistischen Parteien unverblümt propagiert wird; auch
nicht den, der noch in den Gesetzen und Institutionen steckt. Sie wollen
ihn aus den entlegensten Ecken der Sprache, Kultur, Erinnerung
herauszerren. Sie initiieren #MeTwo-Debatten.
Seit einiger Zeit wird in Deutschland und der Welt heftig über Rassismus
diskutiert. Die Debatte kann dabei, wie einige Indizien andeuten, auch eine
gefährliche Wendung nehmen. Die Rassismuskritik führt dann nicht mehr zu
neuer Solidarität, sondern dient dem Zelebrieren eines affirmierten
Opferstatus und droht zur Selbstbestätigung auszuarten.
Einige Entwicklungen deuten durchaus auf diese Richtung, wenn auch nicht
klar ist, wie wirksam sie sind. Mit einem quasireligiösen Furor will eine
neue Generation People of Color jede auch noch so verborgene rassistische
Regung in der Seele ausrotten. Selbst die Liberalen, gar die Linken, die
immer schon ein sicherer Hafen für die Fremden im Lande waren, sind nicht
mehr davor gefeit, als Rassisten gebrandmarkt zu werden.
Kürzlich sagte [1][in einem Spiegel-Interview die
Erziehungswissenschaftlerin DiAngelo], dass sich „mit Liberalen am
schwersten reden“ lasse. Sie würden nicht akzeptieren, dass sie rassistisch
sind. Rassismus habe nichts mit Intentionen zu tun, heißt es. Er sei
bereits in die Strukturen eingebaut. Wer nicht Schwarz/PoC ist (und also
automatisch „weiß“), ist demnach unvermeidlich ein Rassist aufgrund seiner
privilegierten Geburt.
Gewappnet mit dem moralischen Panzer des Minderheitenstatus, sind diese
neuen Minderheitsvertreter immer schon im Recht, [2][sprechen sie doch aus
Diskriminierungserfahrung]. Diskriminierungswahrnehmung, diese scheinbar
unbestreitbare Erfahrung, stattet ihre Sprecher gleich mit dem moralischen
Anspruch aus, bereits dadurch im Besitz der Wahrheit zu sein. Unablässig
prangern sie das rassistische Ressentiment an, sind aber selbst voll
Ressentiments gegenüber denjenigen, die sie für die Dominanten halten.
Im postchristlichen Zeitalter wird wohl niemand die altbekannte kirchliche
Lehre von der Ursünde gelten lassen wollen. Selbst die Kirchen sprechen
kaum mehr darüber. Die neue Ursünde Rassismus schlägt hingegen voll ein,
jedenfalls in liberalen Kreisen. Wer weiß, vielleicht ist die neue
Ursündenlehre so mächtig wie ihre christliche Vorgängerin.
## Vermeintliche Privilegien
Der Autor dieser Zeilen hat das ihm qua Geburt bescherte Glück (!), von
dieser Ursünde nicht betroffen zu sein. Als Hochschullehrer genieße ich
zweifellos viele Privilegien, die die große Mehrheit der Gesellschaft (ob
schwarz, weiß oder türkisch) nicht besitzt. Nach der Logik der neuen
Rassismuskritiker kann ich aber meinem germanischen Kollegen, einem
beschlagenen Soziologen, der sich von einem Drittmittelantrag zum nächsten
bis zur Rente durchschlagen muss, jederzeit seine „Privilegien“ vorwerfen
und, bei Bedarf, daraus Rassismus ableiten.
Man muss sich die perverse Logik genau vor Augen führen, die hier am Werke
ist: Selbst wenn ich wollte, könnte ich mich dem neuen kulturellen
Paradigma „Gestehe, wie rassistisch du bist“ nicht unterziehen. Während
„Weiße“ nicht keine Rassisten sein können, kann ich gar nicht rassistisch
sein. Welch ein Glück? Ich fühle mich ganz und gar diskriminiert, wenn mir
die Möglichkeit genommen wird, rassistisch sein zu können. Rassistisch sein
zu dürfen, ist und bleibt ein „weißes Privileg“. Der Guru der
Microaggressionsthese, Derhard Wing Sue, wollte es etwa nicht gelten
lassen, dass ein „weißer“ Lehrer ebenfalls Opfer von Microaggressionen
gewesen sein wollte.
Wie die Soziologen Campbell und Manning in ihrer Studie „The Rise of
Victimhood Culture. Microaggressions, Safe Spaces, and the New Culture
Wars“ angeben, sah er darin einen Missbrauch seines Konzepts.
Werden also [3][politische Positionen nach Herkunft] verteilt? Bewegen wir
uns dann nicht in gefährlicher Nähe eines zwar nicht rassistischen, wohl
aber eines rassischen Denkens?
## Geschichte der Ursünde
Liberale Europäer haben also eine neue Ursünde, an der sie sich abarbeiten
können. Die westliche Zivilisation ist wohl die erste, deren
Selbstverständnis es nicht nur zulässt, sondern geradezu vorschreibt, dass
die Schwachen den Mächtigen vorwerfen dürfen, dass diese eben die Mächtigen
sind. Als Nachfahre von Osmanen, deren Eroberungssinn dem der Europäer
lange in nichts nachstand, kann ich mir schwer vorstellen, dass so etwas
dort, aber auch bei den Römern, antiken Griechen, Mongolen, in den
Hindureichen, um vom Reich der Mitte ganz zu schweigen, je denkbar gewesen
wäre.
Für viele People of Color beginnt aber die Geschichte mit dem westlichen
Kolonialismus und sie wird auch, darin belehren uns täglich die
Postkolonialen, nie enden. Umso absurder wird das Bild, wenn immer mehr
Nachfahren von Osmanen und Arabern ins Outfit von People of Color schlüpfen
und den Kolonialismus als nie enden werdenden Beginn der Geschichte der
Ursünde anprangern. Was für eine Allianz!
Dieser Allianz genügt der brutale, menschenverachtende Rassismus der
Rassisten nationalsozialistischer Art nicht für einen antirassistischen
Kampf. Schon die erste Regel, die Ausweisung der inzwischen maßlos
skandalisierten Frage: „Woher kommst du eigentlich?“ als rassistisch,
belegt hinreichend die Maßlosigkeit.
Führt von der Frage nach dem Woher ein direkter oder indirekter Weg zur
öffentlichen Ermordung eines Menschen? Lässt sich ein rassistischer Mord,
lässt sich der mörderische Rassismus überhaupt auf derartige Fragen
zurückführen?
Im Falle des Rassen-Rassismus ist der Ausgang der Lage ganz klar:
mörderisch. Im Falle der Frage nach Herkunft im „alltäglichen Rassismus“
sind Möglichkeiten für einen Ausgang aus der Situation nahezu unendlich.
Meine Frau hatte mich auch gleich gefragt, woher ich komme. Zum Glück.
28 Jul 2020
## LINKS
[1] https://www.spiegel.de/politik/ausland/usa-kampf-gegen-rassismus-liberale-t…
[2] /Kampf-gegen-Rassismus/!5687735
[3] /taz-Kolumne-zur-Polizei/!5696716
## AUTOREN
Levent Tezcan
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Postkolonialismus
Integrationspolitik
People of Color
Gewerkschaft der Polizei GdP
Schwerpunkt Rassismus
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