# taz.de -- Politikwissenschaftler über Ukraine: „Es gibt keinen Konsens“ | |
> Um einen Waffenstillstand in der Ukraine zu sichern, braucht es | |
> unabhängige Beobachter, findet Politikwissenschaftler Vitalij Sisow. | |
Bild: Doch lieber nur streicheln? Ukrainische Soldaten | |
taz: Herr Sisow, ist der [1][neue Waffenstillstand] ein erster Schritt zum | |
Frieden? | |
Vitalij Sisoff: Ich würde sagen, im besten Fall ein erstes kleines | |
Schrittchen. Wir hatten im letzten Jahr doch schon 20 Waffenstillstände. | |
Und die wurden nicht eingehalten, wie wir wissen. Das liegt weniger an den | |
Waffenstillstandsvereinbarungen selbst als vielmehr an der aktuellen | |
politischen Lage. Kurzum, ich glaube nicht, dass er lange hält. | |
Was ist dann an diesem Waffenstillstand besser? | |
Das Verbot von militärischer Aufklärung ist eine gute Sache. Wir wissen, | |
dass in der Vergangenheit gerade Aufklärungstrupps immer wieder | |
Schießereien provoziert hatten. | |
Erstmals soll jede Seite sich selbst kontrollieren. Wer das Abkommen | |
verletzt, muss mit Disziplinarmaßnahmen rechnen. | |
Das ist ja gerade die Schwierigkeit. Die Seiten müssen selbst | |
kontrollieren, ob einer der ihren den Waffenstillstand gebrochen hat. Und | |
man wird doch nicht einen aus der eigenen Truppe beschuldigen. Ohne | |
unabhängige Beobachter ist es schwer herauszufinden, wer wirklich zuerst | |
geschossen hat. | |
Und wie sieht die Gesellschaft das Abkommen? | |
Es gibt in der Frage von Krieg und Frieden keinen Konsens. Trotzdem ist ein | |
Waffenstillstand nicht so strittig wie etwa die Frage einer Amnestie, eines | |
Sonderstatus etc. Insgesamt gibt es also große Unterstützung für diesen | |
Waffenstillstand, besonders im Donbass. Und zwar gerade unter | |
Selenski-Wählern. Die sorgen sich vor allem um die Wirtschaft und den | |
Frieden im Osten des Landes. | |
Trotzdem ist mit [2][Protesten] gegen den Waffenstillstand zu rechnen. | |
Ja, und die Unterstützer dieser Proteste sehe ich vor allem im Umfeld des | |
Vorgängerpräsidenten. Sicherlich wollen da auch einige die Aufmerksamkeit | |
auf sich ziehen, um strafrechtlicher Verfolgung zu entgehen. Oder auch, | |
weil sie mit dem Thema eines, wie sie es nennen, „Verrats“ hoffen, wieder | |
an die Macht zu kommen. | |
Wie werden die Machthaber auf diese Proteste reagieren? | |
Sie werden sie mit Sicherheit nicht ignorieren. Denn was ein | |
Konfrontationskurs mit einem innenpolitischen Gegner bringt, haben wir ja | |
unter Janukowitsch gesehen. Sie werden ihre Vision von Waffenstillständen | |
mit weicheren Methoden umsetzen. Außerdem spielen Proteste den Machthabern | |
in die Hände. Die können so zu ihren internationalen Verhandlungspartnern | |
sagen: Wir wollen ja gerne mehr, aber wir können leider Proteste im Land | |
nicht ignorieren. | |
Was will Selenski? | |
Ich glaube, Selenski will wirklich, dass nicht mehr geschossen wird. Ihm | |
gehen die ganzen Nachrichten von Toten und Verletzten ans Herz. | |
28 Jul 2020 | |
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## AUTOREN | |
Bernhard Clasen | |
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