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# taz.de -- Konflikt um Australische Megafauna: Gebeutelte Tiere
> Koalas und Kängurus hatten riesige Verwandte, sie starben Ende der
> letzten Eiszeit aus. Ist der Mensch schuld? Darüber streitet die
> Wissenschaft.
Bild: Flauschig wie Koalas, groß wie ein Nashorn. Von der Megafauna in Austral…
Die Entdeckungsgeschichte der australischen Megafauna beginnt damit, dass
jemand in eine Höhle fällt und merkt, dass sie voller alter Knochen ist. In
diesem Fall war es George Ranking, ein Farmer, der 1830 in die
[1][Wellington Caves] herabkletterte. Oder es zumindest versuchte, denn der
Vorsprung, an dem er sein Seil befestigte, stellte sich als sehr großer und
sehr brüchiger Hüftknochen eines riesigen Tieres heraus. So beschreibt es
der Biologe Chris Johnson in einem Buch über die Ausrottung der Säugetiere.
Der besagte, so misshandelte gigantische Knochen gehörte zu einem
Beuteltier. Eine Art Koala oder Känguru, flauschig, mit Beutel, nur eben in
etwa so groß wie ein Nashorn.
Wer heute nach Australien reist, muss sich mit einigen angsteinflößenden
Tieren herumschlagen: Spinnen, Schlangen, Krokodilen. Tonnenschwere
Beuteltiere gehören jedoch nicht dazu. Auch nicht über zwei Meter große
Donnervögel oder der Megalania, ein bis zu sechs Meter langer Verwandter
des Komodowarans. Während des Pleistozäns aber, dem Erdzeitalter vor der
Jetztzeit, gab es in Australien über 80 Tierarten, die mit einem Gewicht
von mindestens 45 Kilogramm zur sogenannten Megafauna zählten.
Der Name dieser speziellen Tierwelt bedarf keiner weiteren Erklärung, wohl
aber, wie die Tiere so groß wurden. Als unser Planet vor rund 2,5 Millionen
Jahren langsam abkühlte, setzte sich ein kaltes, trockenes Klima durch und
Gras- und Steppenlandschaften entstanden. Sie waren der perfekte Lebensraum
für sogenannte Großsäuger, riesige Tiere, denen es durch ihre große
Körpermasse leichter als kleineren fiel, ihre Körpertemperatur konstant zu
halten. Die eingesparte Energie konnten sie in die Verdauung großer Mengen
wenig nahrhafter Gräser und Sträucher stecken. So entstand mit der Zeit
eine ganze Reihe von Giganten, zu deren vermutlich bekanntesten Vertretern
das südamerikanische Riesenfaultier und das Mammut, das sich von Afrika in
fast alle Winkel der Welt ausbreitete, zählen.
## Vom Pflanzen- zum Fleischfresser
Die australische Fauna hingegen entwickelte sich isoliert und brachte so
einzigartige Tiere wie das Kurzschnauzkänguru Procoptodon Goliah hervor,
das bis zu 2,70 Meter groß wurde und bis zu 230 Kilo auf die Waage bringen
konnte. Ein so großes Tier wie dieses begünstigte wiederum die Entstehung
großer Räuber, zu denen auch der australische Beutellöwe gehörte. Der war
trotz seines Namens und seiner zangenartigen Reißzähne nicht mit der
Raubkatze verwandt, sondern mit dem Koala und dem Wombat und stellte damit
eine Besonderheit dar, denn es kommt nicht oft vor, dass sich eine Art von
Pflanzen- zu Fleischfressern entwickelt. Abgeschottet durch den Indischen
Ozean überdauerten die meisten dieser Giganten über eine Million Jahre.
Heute sind von ihnen nur noch einige fragile Knochen übrig wie jene, auf
die der besagte Farmer seinerzeit allzu wörtlich stieß. Wahrscheinlich
keine schöne Erfahrung, aber eine, die der Wissenschaft zu einem bis heute
andauernden Streit verholfen hat. George Ranking besaß Anfang des 19.
Jahrhunderts nämlich die Geistesgegenwart, seine Funde nach England zu
schicken. In London gelangten sie schließlich in die Hände des Anatomen
Richard Owen, der als Star der damals noch jungen Wissenschaft
Paläontologie galt.
Die gigantischen Knochen boten ihm Material für zahlreiche Aufsätze, in
denen er auch den Beutellöwen und das über zwei Tonnen schwere Riesenwombat
Diprotodon beschrieb. Owen vermutete, dass die Tiere durch „das aggressive
Wirken des Menschen“ ausgerottet worden waren.
Diese hatten Australien vor rund 50.000 Jahren entdeckt, als die
Nordhalbkugel von riesigen Eiskappen bedeckt war, die große Mengen
Meerwasser in sich bargen. Zu dieser Zeit war das australische Festland mit
Neuguinea und Tasmanien mit dem prähistorischen Kontinent Sahul verbunden.
Nach heutigem Wissensstand fuhren die ersten Siedler von Asien aus in
kleinen Booten von Insel zu Insel, wagten sich von da aufs offene Meer
hinaus bis nach Australien.
## Die australische Megafauna
Richard Owens Vermutung, dass die australische Megafauna diesen Seefahrern
zum Opfer fiel, zeugt eher von einer misanthropischen Einstellung als von
seinem wissenschaftlichen Können. Denn Beweise gab es dafür nicht. Doch es
reichte, ihn zum Urvater eines nun schon über 140 Jahre andauernden Streits
zu machen, und die Gegenthese ließ nicht lange auf sich warten.
Die Vertreter der sogenannten Eiszeittheorie vermuteten, dass das
Aussterben der Giganten mit dem Ende des Pleistozäns zu tun hatte, das auch
in Australien den Beginn eines neuen Zeitalters einläutete. Die vereiste
Nordhalbkugel taute ab, der Meeresspiegel stieg und auf der anderen Seite
der Erde wurde es heißer und heißer. Ein denkbar schlechtes Klima für
Giganten, nahmen die Anhänger dieser Theorie an, da große Tiere bei hohen
Temperaturen schneller überhitzen. Einen weiteren Beleg für ihre Theorie
sahen sie in der verschwundenen Gras- und Steppenlandschaft, der
Nahrungsquelle der Giganten.
Überdies: Wie sollten ein paar Winzlinge mit Speeren und Knüppeln einen
Vernichtungskrieg gegen Riesen geführt haben? Und selbst wenn sie damit
erfolgreich gewesen wären: Wo waren die gigantischen Knochenberge, die auf
ein gezieltes Abschlachten der Tiere gedeutet hätten? In ihren Augen war
der Klimawandel schuld – ein Klimawandel, für den der Mensch noch nicht
verantwortlich war.
Der Triumph der Befürworter der Eiszeittheorie hielt fast fünf Jahrzehnte
an, doch mit der Zeit wuchsen die Zweifel. Erstens wurde klar, dass es
allein in den letzten 2,6 Millionen Jahren nicht eine Eiszeit, sondern 22
Eiszeiten gegeben hatte und dementsprechend auch viele Warmphasen. Zweitens
kam heraus, dass die Megafauna gut an solche Wechsel angepasst war.
Drittens tauchten in Nordamerika und Eurasien Mammutknochen auf, in denen
Speerspitzensplitter und Schnittspuren verewigt waren. Die frühen Menschen
waren also sehr wohl zur Jagd auf gigantische Tiere in der Lage gewesen.
So kamen einige auf Owens Ursprungsthese zurück, die heute als
„Overkill“-Hypothese bekannt ist. Sie besagt, dass die vom Menschen lange
isolierten Tierarten nicht auf neue Jäger eingestellt und damit leichte
Beute gewesen waren. Das würde auch erklären, warum die wenigen
verbliebenen, wirklich großen Tierarten wie Elefanten und Giraffen vor
allem in Afrika vorkommen, dem Ursprungsort des Homo sapiens, wo sie sich
Seite an Seite mit ihm entwickeln und ihre Flucht- und
Verteidigungsstrategien verbessern konnten. Die Megafauna Australiens
hingegen sah sich von einem Moment auf den anderen mit dem Problem Mensch
konfrontiert.
Die Befürworter der Klimatheorie hielten dagegen, dass die Hinweise auf die
Besiedelung des australischen Kontinents Tausende Jahre jünger als die
jüngsten entdeckten Megafossilien waren. In Abwesenheit des Menschen könne
man ihn nur schwer zur Verantwortung ziehen, meinte auch Paläontologe
Stephen Wroe, als er 2013 beim BBC-Podcast „Science in Action“ zu Gast war.
Kurz darauf stieß eine andere Gruppe Wissenschaftler aber auf Knochen und
Siedlerspuren, deren Zeitalter sich kreuzte. So kann man heute mit einiger
Sicherheit von mindestens 20.000 Jahren Koexistenz von Megafauna und Mensch
ausgehen. Moment mal: Koexistenz? Was der ultimative Beweis für die
„Overkill“-Hypothese hätte sein sollen, schlug in ihr Gegenteil um: Ein
20.000 Jahre langes Miteinander schließen eine blitzkriegartige
Vernichtungswelle aus.
Heutige Berechnungen zeigen, dass auch ein minimaler Jagddruck und eine
langsame Ausbreitung des Menschen gereicht hätten, um der Megafauna das
Leben schwer zu machen. Selbst wenn die Neuankömmlinge in jedem Jahrzehnt
pro Person nur ein Jungtier getötet hätten, wäre es zum Artensterben
gekommen. Wegen ihrer späten Geschlechtsreife, der langen Trächtigkeit und
der geringen Wurfzahl hätten die Giganten die kontinuierliche Jagd auf sie
vermutlich nicht überlebt.
Aber anders als in Nordamerika und Eurasien wurden in Australien bis heute
keine direkten Beweise für die Jagd auf die Giganten gefunden – von ihrem
großflächigen Ausrotten ganz zu schweigen. Allerdings könnten die ersten
Siedler durch Brandrodungen und die Bearbeitung des Bodens ihren Teil zur
Auslöschung beigetragen haben. Die Debatte ist auch politisch heikel. Denn
damit wären die Vorfahren der Aborigines, die ihr Leben im Einklang mit der
Natur sehen, verantwortlich für das Aussterben der Tiere.
## Stoff für den alten Streit
Neue Erkenntnisse bieten viel Stoff für den alten Streit. 2015 berichtete
die Fachzeitschrift Science über Bohrungen in der Antarktis, die bewiesen,
dass die Klimaveränderungen zum Ende der letzten Eiszeit immer stärker
wurden. Die Temperaturen stiegen nicht langsam an, wie es die Giganten aus
früheren Wärmephasen gewohnt gewesen waren, sondern schwankten zwischen den
Extremen. Es regnete zunehmend weniger bis kaum noch, die Seen
vertrockneten, und die für Australien typische Wüste breitete sich aus.
Wurde es den Giganten also tatsächlich zu heiß?
Heute befürworten einige Wissenschaftler eine Mischtheorie. Sie nehmen an,
der Mensch habe der durch den Klimawandel geschwächten Megafauna nur den
letzten Schlag versetzt. Das täuscht aber kaum darüber hinweg, dass die
Paläontologen 140 Jahre nach Owens Vermutung weitgehend in zwei Lager
geteilt sind. Klima oder Mensch? Trotz allen Fortschritts haben sie das
Rätsel nicht gelöst.
Das Hauptproblem sind die fehlenden Daten. „Die Umweltbedingungen vor
40.000 bis 60.000 Jahren waren ausgesprochen unvorteilhaft für die
Erhaltung der Fossilien“, schreibt der australische Paläontologe Scott
Hocknull per E-Mail. Er und sein Team haben den einzigen Fundort von
Megaknochen an der Nordostküste Australiens untersucht, der aus der Zeit
stammt, als bereits Menschen den Kontinent besiedelten. „Wir haben dort 13
ausgestorbene Arten gefunden. Viele waren bis dato unbekannt oder
Variationen ihrer südlichen Verwandten.“ Besonders bemerkenswert ist ihre
Entdeckung eines Riesenkängurus, das mit etwa 274 Kilo das bis jetzt
schwerste Känguru aller Zeiten wäre.
## Aussterben der Megafauna
In seiner Studie, die letzten Monat im Magazin Nature Communications
erschienen ist, beschreibt Hocknull aber auch die Umweltveränderungen, die
mit dem Aussterben der Megafauna zusammenfielen. Blätter und Insekten, die
das Forscherteam mit den Fossilien ausgrub, lassen Rückschlüsse auf einen
Wandel von Grasland zu immergrünen Wäldern zu. „Wenn es menschliche
Einwirkungen gab, hätten wir ein Fragment eines Steinwerkzeugs, eine Axt
oder einen Schleifstein finden müssen, das haben wir aber nicht“, sagt
Hocknull, der die Klimatheorie als wahrscheinlicher ansieht. Aber: „Es gibt
noch viele fehlende Puzzleteile, und wenn neue Beweise unsere
Schlussfolgerung widerlegen, dann ist das so.“
[2][Das Sterben der australischen Säugetiere nimmt derweil kein Ende],
nirgendwo sonst sterben so viele Säugetierarten wie dort aus. Und wie
überall sonst ist auch in Australien der Mensch an der jüngsten
Aussterbewelle schuld. Mit dem Bau von Straßen und Wohngebieten und seiner
intensiven Landwirtschaft trägt er zu einer rasanten Verschlechterung des
Klimas bei.
Allein seit Januar sind in Australien weit über eine Milliarde Tiere durch
die [3][verheerenden Buschfeuer gestorben]. Und mindestens ein Grund für
die vielen Brände ist überraschend: „Unser größtes Problem sind die
eingeschleppten Katzen und Füchse“, sagt Rob Brewster, Leiter von Rewilding
Australia, einer Organisation, die sich mit der Neuansiedlung vom
Aussterben bedrohter Tierarten beschäftigt. Säugetiere wie den
Tüpfelbeutelmarder und den Tasmanischen Teufel, die einen nicht zu
unterschätzenden Einfluss auf das australische Ökosystem haben. „Durch die
Füchse und Katzen fehlt es uns an kleinen, grabenden Säugetieren, die das
Erdreich für Regenwasser auflockern und die entzündlichen Blattabfälle von
der Erdoberfläche entfernen.“
Die Rettung der fast ausgestorbenen Arten könne langfristig auch zur
Brandbekämpfung beitragen, sagt Brewster, dem die ehrliche Begeisterung für
die Tiere selbst über Tausende Kilometer hinweg anzumerken ist. „Hier geht
es nicht nur um die Erhaltung einzelner Tiere, sondern um ihre Funktion im
Ökosystem.“
Und es gibt noch einen Grund, warum uns ihr Aussterben kümmern sollte. Er
ist weniger sachlich, weniger praktisch, aber nicht weniger wichtig. Um es
mit den Worten von Douglas Adams, dem britischen Autor der
Science-Fiction-Reihe „[4][Per Anhalter durch die Galaxis]“, zu sagen:
„Ohne sie wäre die Welt ein ärmerer, dunklerer, einsamerer Ort.“
10 Jul 2020
## LINKS
[1] https://www.wellingtoncaves.com.au/
[2] /Australische-Tierwelt-in-Gefahr/!5653594&s=Koala/
[3] /Verheerende-Buschbraende-in-Australien/!5645131&s=Koala/
[4] /Kunst-im-Teilchenbeschleuniger/!5455921&s=Galaxis/
## AUTOREN
Elin Disse
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