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# taz.de -- Regierungsumbildung in Frankreich: Herr der Lockerungen wird Premier
> Jean Castex plante als „Monsieur Déconfinement“ den Ausstieg aus den
> Corona-Maßnahmen. Macron hat ihn nun zum Regierungschef ernannt.
Bild: Jean Castex zieht nun ins Hôtel Matignon, Amtssitz des französischen Pr…
Paris taz | Bleibt er oder geht er? Die politische Zukunft des bisherigen
französischen Premierministers Edouard Philippe war das große Thema der
vergangenen Tage unter Frankreichs Journalisten. Seit Freitag ist klar: Der
beliebte Regierungschef gibt sein Amt auf, Frankreichs Präsident hat den
Spitzenbeamten Jean Castex zum neuen Premier ernannt. Zuvor war am Morgen
die gesamte Regierung zurückgetreten.
Die stark kritisierte Coronapolitik und die desaströsen Ergebnisse der
Kommunalwahlen für die Regierungspartei hatten den französischen Staatschef
Emmanuel Macron in Zugzwang gebracht. Mit dem Rücktritt der Regierung hat
er freie Hand für seine geplante Kursänderung mit einem neuen Team
bekommen. Nun soll Jean Castex ein neues Ministerkabinett bilden.
Dieser Funktionär aus dem französischen Südwesten war nicht unbedingt die
attraktivste Figur im Casting des Präsidenten, mit Sicherheit aber eine
weniger markante Persönlichkeit als der scheidende Premier. In ersten
Kommentaren wird Macrons Auswahl auch damit erklärt, dass der Präsident
anstelle eines Regierungschefs mit eigenen Meinungen eher einen „ersten
Minister“ wolle, der ihn selber nicht in den Schatten stelle.
Mit seiner Heimkehr nach Le Havre könnte aber der sehr populäre Philippe
für Macron noch zu einem gefährlichen Rivalen werden. Der bisherige
Premier hatte in seiner Heimatstadt Le Havre als einer der wenigen unter
den Kandidaten aus dem Regierungslager bei den Kommunalwahlen mit einer
klaren Mehrheit (59 Prozent) das Rathaus erobert. Damit hatte er bewiesen,
wie beliebt und politisch legitim er zumindest aus der Sicht seiner lokalen
Wählerschaft ist. Der Wahlsieg wäre aus dieser Perspektive sicher kein
Grund gewesen, als Regierungschef zurückzutreten. Doch Präsident Emmanuel
Macron musste nach der landesweiten Wahlniederlage von „La République en
marche“ ein Zeichen setzen. Deshalb die Regierungsumbildung.
## Genug Vorschusslorbeeren?
Seine eher überraschende Wahl für diese Aufgabe fiel nun auf Castex, der in
Frankreich für die Planung des „Déconfinement“, das heißt die Beendigung
der coronabedingten Ausgangsbeschränkungen, zuständig war. Sind das genug
Vorschusslorbeeren für den Start als Regierungschef? Der 55-Jährige ist
bislang Bürgermeister der Kleinstadt Prades in den Pyrenäen und Ex-Mitglied
der Regionalbehörden, er war ein eher diskreter Berater des früheren
Staatschefs Nicolas Sarkozy (2007–2012) und während dessen Präsidentschaft
enger Mitarbeiter von Sozial- und Gesundheitsminister Xavier Bertrand.
Politisch gehört er zur Familie der Konservativen, die von der Partei „Les
Républicains“ (LR) repräsentiert wird, zum Teil aber auch in Macrons „La
République en marche“ vertreten ist.
Wer eine national oder gar international bekannte und politisch starke
Persönlichkeit erwartet hatte, dürfte nun enttäuscht sein. Die
Öffentlichkeit rechnete nach dem Vormarsch der Grünen und Linken bei den
Kommunalwahlen [1][mit einer entsprechend angepassten politischen
Orientierung] in den knapp zwei Jahren der restlichen Amtszeit des
Präsidenten. Politologen prophezeien, dass Ökologie und insbesondere die
Klimapolitik in Frankreichs Politik künftig viel stärker im Zentrum stehen
sollen. Sozial einschneidende liberale Reformen dagegen müssten demnach
eher warten.
Das ist nicht unbedingt die Politik, für die Edouard Philippe einstehen
wollte, der wie mehrere Minister der bisherigen Regierung 2017 von LR zu
Macron überwechselte. Ob sie nun eher von Castex verkörpert wird, ist eine
andere Frage.
Philippes Rücktritt war offenbar länger schon abgesprochen. Die
französische Zeitung Le Figaro berichtete, die beiden hätten sich in „gutem
Einvernehmen“ getrennt. Schon im Verlauf des Vormittags wurden vor dem
Matignon-Regierungssitz Kartons ausgeladen, damit der scheidende
Premierminister seine Sachen für eine Heimkehr nach Le Havre packen konnte.
Macron dankte ihm für seine „bemerkenswerte Arbeit“ in den letzten drei
Jahren.
Noch vor wenigen Wochen versicherten Mitarbeiter des Präsidenten auf
kritische Nachfragen von Journalisten, Präsident und Premier stünden sich
so nahe, dass man nicht einmal „ein Zigarettenpapier“ zwischen sie schieben
könnte. In Wirklichkeit war der „Pas de deux“ in der Staatsführung längst
nicht immer so harmonisch.
Macron und Philippe waren bei einigen Themen nicht auf derselben
Wellenlänge – vor allem bezüglich des Pensionsierungsalters in der
umstrittenen Rentenreform, die schließlich auf unbestimmte Zeit verschoben
wurde. Aber auch in der Steuerpolitik und bei der Reaktion auf die
Forderungen der Gilets jaunes waren die beiden unterschiedlicher Meinung.
Besonders aber hatte Philippe verärgert, dass Macron mehrfach seinen
Fachministern einen Kurswechsel diktierte, ohne den Premier zu fragen –
oder auch nur vorher zu informieren. So hatte Philippe beispielsweise zur
Unfallverhütung eine Temporeduktion auf Landstraßen auf 80 Stundenkilometer
beschlossen. Angesichts von Protesten und Kritik intervenierte Macron, um
es den Lokalbehörden der Departements zu ermöglichen, auf ihren Straßen
die Höchstgeschwindigkeit wieder auf 90 km/h festzulegen. Das war ein
Affront für Philippe, der davon indes öffentlich nicht viel Aufhebens
machte.
Was hingegen den Präsidenten in letzter Zeit wurmte, war die wachsende
Popularität seines Premierministers, der im Unterschied zu ihm selbst in
den Umfragen von der Hälfte der Landsleute geschätzt wurde. In der
französischen „Wahl-Monarchie“ aber kann es nur einen König geben. Die
französischen Medien ließen es sich natürlich nicht nehmen, von Macrons
Eifersucht auf Philippes Popularität zu reden.
Ohnmächtig musste der Staatschef nämlich zuschauen, wie sein Erster
Minister langsam zu einem potenziellen Rivalen für die
Präsidentschaftswahlen avancierte. Genau aus demselben Grund aber hätte
Macron allen Anlass gehabt, Philippe als Regierungschef unter seiner
Kontrolle zu behalten und ihn in die Verantwortung für die Politik bis 2022
einzubeziehen, statt ihm freie Hand zu geben.
## Vertrauen in Macron ist eingeschmolzen
Erst die Zusammensetzung der neuen französischen Regierung, die spätestens
vor dem nächsten Ministerrat am 8. Juli feststehen muss, wird wirklich
Aufschluss über die „neue“ politische Strategie von Emmanuel Macron geben.
Die Zeit für die Verwirklichung seines ursprünglichen Wahlprogramms wird
indes knapp. Sein Vertrauensvorschuss bei der Bevölkerung ist arg
geschmolzen nach Krisen wie den Demonstrationen der Gilets jaunes, dem
Widerstand gegen die Rentenreform sowie der Kritik an mangelhaften
Präventionsmaßnahmen während der Coronapandemie und der Unterstützung des
Gesundheitssektors.
Macron braucht dringend neue Gesichter, die Zuversicht ausstrahlen. Er
selber zeigt sich indes nicht sonderlich optimistisch: In einem Interview
mit Regionalzeitungen hat er am Donnerstagabend seine Landsleute bereits
gewarnt: Die „Rentrée“ im Herbst, also die Rückkehr zu Arbeit und Schule
nach den Sommerferien, werde aufgrund der wirtschaftlichen und sozialen
Krise „hart“ werden.
In den ersten Reaktionen auf die Nominierung von Jean Castex [2][spotten
vor allem diverse VertreterInnen] der politischen Linken. „Alles ändert
sich, damit sich nichts ändert! Ein Mann der Rechten ersetzt einen Mann der
Rechten, um dieselbe antisoziale und anti-ökologische Politik
fortzuführen“, kommentierte beispielsweise die EU-Abgeordnete von „La
France insoumise“, Manon Aubry. Julien Bayou, Sekretär der Grünen (EELV),
[3][äußerte sich auf Twitter ähnlich]: „Nach einem Pseudo-Suspense folgt
ein Rechter auf einen Rechten, und von Ökologie ist nicht die Rede. Der
Präsident will allein sichtbar sein, und anstatt das Land auf die Zukunft
vorzubereiten, bereitet er seine Kandidatur (für eine Wiederwahl) vor.“
Der Vorsitzende der Region Hauts de France in Nordfrankreich, Xavier
Bertrand, [4][beglückwünschte dagegen seinen ehemaligen ministeriellen
Mitarbeiter Castex] zu seiner Nominierung – mit einem Seitenhieb auf
Macron: „Ich kenne und schätze die Qualitäten von Jean Castex als
Staatsdiener. Sie werden in den schwierigen Zeiten, die auf uns zukommen,
unverzichtbar sein … und es ermöglichen, die schlechten Entscheidungen des
Präsidenten der Republik zu korrigieren.“
3 Jul 2020
## LINKS
[1] /Kommunalwahlen-in-Frankreich/!5693279
[2] https://twitter.com/ManonAubryFr/status/1279006745218727936
[3] https://twitter.com/julienbayou/status/1279014380013867009
[4] https://twitter.com/xavierbertrand/status/1279008881377792001
## AUTOREN
Rudolf Balmer
## TAGS
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