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# taz.de -- Neue Bürgermeister nach Kommunalwahl: Das neue grüne Frankreich
> Lyon, Marseille, Bordeaux, Straßburg, Besançon... reihenweise sind
> französische Großstädte bei den Kommunalwahlen an die Grünen gefallen.
Bild: In der Wahlnacht mit Gregory Doucet, dem neugewählten Bürgermeister von…
Paris taz | [1][Die französischen Kommunalwahlen] haben mit einem
Machtwechsel in zahlreichen Städten nicht nur eine politische Änderung,
sondern auch eine neue Generation in verantwortungsvolle Führungspositionen
gebracht. Viele von ihnen sind Frauen. Die neuen Bürgermeister und
Bürgermeisterinnen aus den Reihen von Europe Écologie – Les Verts (EELV)
und der grün geführten Wahlbündnisse, die seit Samstag in zahlreichen
Städten stolz die Trikolore-Schärpe als Maire über der Brust tragen, haben
sehr unterschiedliche berufliche Karrieren und Kompetenzen, aber meist noch
wenig kommunale Regierungs- und Verwaltungserfahrung. Das gleichen sie aus
mit ihrem Willen, Klima- und Umweltpolitik allem voranzustellen. Mehrere
von ihnen haben dazu beim Amtsantritt einen „Klima-Notstand“ dekretiert.
Kein Detail ist es, dass diese Grünen fast durchwegs dank Wahlallianzen mit
der Linken gewonnen haben, bei denen Sozialisten, Kommunisten, La France
insoumise (LFI) und kleinere Organisationen spätestens im zweiten Durchgang
der Kommunalwahlen, oft aber schon von Beginn an mit EELV zusammen
antraten. Damit gelang es ihnen, auch scheinbar uneinnehmbare Bastionen der
bürgerlichen Rechten zu erstürmen. Den Verlierern ist der Spott über die
„Wassermelonen“ (außen grün, innen rot) längst vergangen.
## Radwege statt Landminen: Grégory Doucet in Lyon
„Als Kind sah ich am Fernsehen die Bilder der Ölpest, und mein Vater
arbeitete an der Herstellung von Produkten zur Bekämpfung der
Erdölteppiche. Ich war stolz auf ihn.“ Das sei seine frühe umweltpolitische
Erinnerung, sagt der neue Bürgermeister von Lyon, Grégory Doucet, 46. Sein
eigenes humanitäres Engagement nach seinem Studium an renommierten
Handelshochschulen in Paris und Rouen während rund zwanzig Jahren führte
ihn um die Welt. Er arbeitete als regionaler Leiter für die
Hilfsorganisation „Handicap International“ in Sierra Leone, Niger und Mali,
für ein Projekt der Landminenentschärfung in der Casamance (Senegal), für
ein anderes Hilfswerk in Nepal und den Philippinen. Als Jugendlicher
verehrte er Gandhi und begeisterte sich für gewaltlose Bewegungen. Er hat
aus dieser humanitären Erfahrung eine „globale Sicht“, die in der lokalen
Aktion zur Anwendung kommen soll.
Zur Politik kam der in Paris geborene Doucet im Vergleich zu anderen Grünen
relativ spät. Der Partei Europe Écologie – Les Verts trat er 2007 bei, von
2017 bis 2019 führte er sie in Lyon als lokaler Sekretär. Für seinen
Wahlkampf ließ er sich vom Arbeitgeber „Handicap International“
freistellen. Der Bürgermeisterposten wird ihn nun voll in Anspruch nehmen.
Als Vater von drei Söhnen zwischen 6 und 13 Jahren möchte er Lyon in eine
kindergerechte Stadt verwandeln. Neben einer umweltgerechten
Verkehrspolitik mit Fußgängerzonen und Radwegen heißt das: Grün bepflanzte
Schulhöfe, in Schulkantinen 100 Prozent Bio-Nahrung und davon 50 Prozent
aus lokaler Produktion. Bei der Umsetzung seines Programm will er mit
seinen linken Verbündeten von „France insoumise“ sehr entschlossen sein.
Genau das befürchten seine Gegner, die ihn im Wahlkampf mit dem Etikett
„Grüner Khmer“ diskreditieren wollten.
## Das grüne Europa im Kopf: Jeanne Barseghian in Straßburg
Mit ihr war, ehrlich gesagt, nicht gerechnet worden. Jeanne Barseghian wäre
um ein Haar wegen ihrer Covid-19-Erkrankung während des Wahlkampfs als
Spitzenkandidatin ausgefallen. Im Unterschied zu anderen Grünen in
Grenoble, Lyon, Bordeaux oder Besançon galt die 39-Jährige im Dreier-Finale
um das Bürgermeisteramt von Straßburg nicht als Favoritin. Denn für die
Stichwahl hatten sich die konservativen Républicains mit der Macron-Partei
En Marche gegen die Grüne verbündet. Und die bisherige sozialistische
Bürgermeisterin Catherine Trautmann hatte sich auch nicht der von der
Grünen Barseghian angeführten linken Liste angeschlossen, sondern
kandidierte ebenfalls weiter. Großmütig hat die Siegerin Barseghian nun
die Ex-Konkurrentin Trautmann in ihre Koalition für Straßburg aufgenommen.
„Straßburg wird zum Schulbeispiel für die Grünen“, hat die Financial Tim…
zu den Kommunalwahlen in der zweiten EU-Kapitale geschrieben. Nach ihrem
Sieg hat Barseghian dort den „Klima-Notstand“ ausgerufen. Viele
StraßburgerInnen wissen von ihr vorerst nicht viel mehr als ihren nach
armenischer Herkunft klingenden Namen und ihre Parteizugehörigkeit zu den
Grünen (EELV). In den Kurzbiografien entdecken sie, dass sie 1980 in
Suresnes bei Paris als Tochter einer bretonischen Juristin und eines als
Anwalt tätigen Sohns armenischer Flüchtlinge auf die Welt kam, dann selber
ebenfalls Jura studierte und sich zuerst auf deutsch-französisches Recht
und dann an der Uni Straßburg auf Umweltgesetze spezialisierte.
Die aktive Umweltpolitik hat sie während ihrer Studienzeit in Berlin
entdeckt. Zudem ist ihr Lebenspartner ein Deutscher, der in Freiburg
arbeitet. Dass sie zweisprachig ist, zählt für die Zusammenarbeit mit den
Nachbarn jenseits des Rheins.
## Die soziale Krise heilen: Michèle Rubirola in Marseille
Michèle Rubirola trat in Marseille nicht als Spitzenkandidatin der Liste
von Europe Écologie – Les Verts (EELV) an, sondern für eine linke
Wahlallianz mit dem Namen „Marseiller Frühling“. Sie wäre darum fast aus
ihrer Partei ausgeschlossen worden. [2][Nun hat sie gewonnen] und sich mit
EELV versöhnt. „Rubirola est là“ stand auf ihren Plakaten. Wie der Slogan
verkündete, war sie „da“: die richtige Person im richtigen Moment. Anders
lässt sich nicht erklären, dass sich die notorisch zerstrittenen Parteien
der Marseiller Linken und ihre überaus ehrgeizigen ExponentInnen zuerst auf
die „Frühlings“-Union und zuletzt auf Rubirola als Maire von Frankreichs
zweitgrößter Stadt einigen konnten. Die Rechten hatten nicht damit
gerechnet.
In den armen Quartieren kennen die Leute sie nicht als Politikerin, sondern
als Ärztin. Die 63-Jährige war noch während des Wahlkampfs in der
Covid-19-Prävention tätig. Sie war aber seit den 1970er Jahren als
Antimilitaristin, Naturschützerin und im Kampf gegen soziale
Benachteiligung engagiert. Die Politik hat sie schon als Kind mitbekommen.
Denn ihr Vater war Mitbegründer einer marxistisch-leninistischen
Splitterpartei, zu Hause wurde über die Revolution diskutiert. Für sie
zählte schon als Jugendliche dann aber „Janis Joplin viel mehr als Mao“,
erzählt sie. Die bürgerliche Presse porträtierte sie darum als „Ex-Hippie�…
Auch heute kleidet sie sich die Mutter von drei (großen) Kindern lieber mit
Jeans und T-Shirt als mit einem „Deuxpièces“. Madame la Maire wird sich
jetzt in mancher Hinsicht umgewöhnen müssen. Die ehemalige
Basketball-Spielerin im Team von Olympique de Marseille wird für Sport
ebenso wenig Zeit erübrigen können wie für den Chor, in dem sie bisher jede
Woche singt. Heute hat sie im Rathaus die für sie neue Rolle der
Dirigentin.
6 Jul 2020
## LINKS
[1] /Nach-Kommunalwahl-in-Frankreich/!5698074
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## AUTOREN
Rudolf Balmer
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