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# taz.de -- Neues Album von Emma Tricca: Leise, aber keine Leisetreterin
> Die Welt sollte die eleganten Folkstücke der italienischen Sängerin Emma
> Tricca hören. Das Album „St. Peter“ spielt mit Feuer und Eis.
Bild: Emma Tricca ist in Italien geboren und lebt seit Längerem in London
Ende Juni immer noch oder schon wieder an den Winter denken: Mit einem
Hymnus an die kalte Jahreszeit steigt die Songwriterin Emma Tricca in ihr
drittes Album „St. Peter“ ein. „Winter, My Dear“ heißt der Song und
kristallklar ist sein Adressat. Der Winter, die Heimat dunkler Stürme, wird
als Liebhaber gedacht; und verdammt noch mal, er soll bleiben, singt
Tricca.
Wobei das wohl nicht ganz ihre Wortwahl wäre, hier zumindest. Die Hymne ist
eine gehauchte, sie kommt daher auf einer Sixties-Folkgitarre, mit leichtem
Twang, etwas Echo und sehr dezenter Perkussion, und sie zieht die Hörer
sofort in den Bann.
Dafür braucht Tricca gerade zweieinhalb Minuten. Einen Song später, der
dauert schon fünf Minuten, gesellt sich zum Eis sein Gegenspieler, auch
wenn das Feuer als Geist auftritt: „Fire Ghost“, das Anfangstempo bleibt,
das Schlagzeug wird gedämpft, die Sounds darüber unruhiger. Mit „Julian’s
Wings“ zieht das Album leicht an. Drei Songs, und „St. Peter“ hat seine
Betriebstemperatur gefunden, die auf seinen insgesamt zehn Stücken leicht
nach oben oder unten reguliert wird, je nach den Bedürfnissen der
Geschichten.
Emma Tricca, ihre Urheberin, ist in Italien geboren und lebt seit Längerem
in London. „St. Peter“ – seit Kurzem vertreibt Tricca ihr ursprünglich 2…
erschienenes Album über ihre eigene Bandcamp-Seite selbst – wurde zu großen
Teilen in den USA, genauer in Hoboken/New Jersey aufgenommen. Die Songs hat
Tricca in und zwischen Rom, der britischen Hauptstadt und New York
komponiert; es stört die Künstlerin keineswegs, eine wandernde Sängerin
genannt zu werden.
## Beatnik-Lyrik der Fünfziger, Philosophie und Crepuscolarismo
Zu ihrem Gepäck zählt sie die Beatnik-Lyrik der Fünfziger, hermetische
Philosophie und eine literarische Strömung im Italien kurz vor dem Ersten
Weltkrieg, die anders als der lautstarke und bekannte Futurismus auf die
Melancholie als Programm setzte: Vom Crepuscolarismo ist die Rede, der
„Dämmerdichtung“.
Gitarren, Grübeleien und Gedichte: Die Mischung hat in den Sechzigern einen
US-Künstler groß gemacht, der dieser Tage sein neues Album veröffentlicht
hat und mittlerweile den Literaturnobelpreis sein Eigen nennen kann: Sicher
hat Emma Tricca [1][schon mal Bob Dylan] gehört, auf ihrer Facebook-Seite
aber referiert sie auf die New Yorker Noiserocker Sonic Youth.
Deren Schlagzeuger Steve Shelley ist für das so zurückgenommene wie
effektive Trommeln auf „St. Peter“ zuständig, und das ist gar nicht mal so
abwegig. Shelley, der als junger Mensch bei der Hardcorepunkband The
Crucifucks trommelte, hat seit 1993 auf seinem eigenen kleinen Plattenlabel
Smells Like Records schon des Öfteren Songwriter-Juwelen [2][wie die junge
Cat Power] und den späten Lee Hazlewood veröffentlicht.
## Gastauftritt von Folksängerin Judy Colling
Eine andere verdiente US-Künstlerin kommt kurz vorm Ende von „St. Peter“
ins Spiel: Emma Tricca konnte die Folksängerin Judy Collins dazu bewegen,
den Text ihres Songs „Albatross“ neu einzusprechen. Tricca baute Collins’
Rezitation in ein siebenminütiges Stück ein und nannte es „Solomon Said“.
Ein Vergleich beider Songs ist interessant: Collins’ „Albatross“, 1967 auf
ihrem Erfolgsalbum „Wildflowers“ erschienen, atmet ländliche
Feierlichkeit, trotz oder wegen der zunehmend dunklen Bilder des Textes. In
Triccas „Albatross“-Anverwandlung klingt Collins’ Sprechstimme abgeklärt…
und die Gitarrenschlieren von „Solomon Said“ könnten aus dem Postrock der
Neunziger stammen, einem Genre, dessen Musik nicht selten wie durch Punk
und Noise gegangene Sechzigerjahre-Psychedelik klang.
Das ist ein ausdrückliches Kompliment. Emma Tricca hat in der Zwischenzeit
eine Version von [3][Bert Janschs Folksong „It Don’t Bother Me“]
nachgelegt; ihre wunderbare Interpretation legt nahe, dass die Leisen keine
Leisetreter sein müssen.
5 Jul 2020
## LINKS
[1] /Bob-Dylans-neues-Album/!5691652
[2] /US-Singer-Songwriterin-Cat-Power/!5540422
[3] https://www.youtube.com/watch?v=r4QyY21jQf8
## AUTOREN
Robert Mießner
## TAGS
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