# taz.de -- Weibliche Genitalverstümmelung: „Das passiert hier“ | |
> In Deutschland sind fast 68.000 Frauen und Mädchen von | |
> Genitalverstümmelungen betroffen. Das sind 44 Prozent mehr als 2017. | |
Bild: Faduma Korn vom Verein „Bildung statt Beschneidung“ mit Ministerin Fr… | |
BERLIN taz | In Deutschland ist die Zahl der Frauen deutlich gestiegen, die | |
von weiblichen Genitalverstümmelungen betroffenen sind. Eine Erhebung des | |
Bundesfamilienministeriums (BMFSFJ) ergab, dass in der Bundesrepublik | |
derzeit 67.975 Frauen und Mädchen betroffen sind. Das ist ein Anstieg von | |
44 Prozent im Vergleich zu 2017. Im schlimmsten Fall könnten derzeit | |
weitere 14.880 Minderjährige von weiblicher Genitalverstümmelung bedroht | |
sein. Das sind 162 Prozent mehr, als noch 2017. | |
Vorgestellt wurden die Zahlen am Donnerstag von Familienministerin | |
Franziska Giffey (SPD). Sie sprach auf der Pressekonferenz von „archaischen | |
Straftaten“ und von „deutlichem Handlungsbedarf“. | |
Weibliche Genitalbeschneidung ist in Deutschland illegal und strafbar, | |
genauso, wie Mädchen dafür ins Ausland zu bringen. Der Begriff bezeichnt | |
das Entfernen oder Beschädigen der [1][äußeren weiblichen | |
Geschlechtsorgane]. In manchen Ländern – etwa Somalia, Nigeria oder Irak – | |
hat die Verstümmelung eine bis zu 5.000 Jahre alte Tradition. | |
Nicht selten endet die Praxis tödlich, oft wird sie unter unhygienischen | |
Bedingungen durchgeführt. Sie wird bei Mädchen ab dem Säuglingsalter | |
vorgenommen. Betroffene haben lebenslange physische und psychische Folgen. | |
## Die tatsächlichen Zahlen: Ein Dunkelfeld | |
Ministerin Giffey betonte am Donnerstag, man dürfe nicht so tun, als ob | |
weibliche Genitalverstümmelung ausschließlich weit weg passiere: „Junge | |
Frauen, die hier leben, Abitur machen oder im Sportverein sind können | |
betroffen sein.“ In ihrer Zeit als Stadträtin und Bürgermeisterin vom | |
Berliner Bezirk Neukölln habe sie diese Erkenntnis gewonnen. | |
Dass die Zahl der weiblichen Genitalverstümmelungen in den vergangenen | |
Jahren derart gestiegen ist, sei laut Familienministerium darauf | |
zurückzuführen, dass mehr Menschen aus Herkunftsländern mit dieser | |
Tradition nach Deutschland gekommen sind. | |
Die aktuellen Zahlen basieren auf sogenannter Dunkelfeldforschung. Die | |
Methode wird gebraucht, um Informationen über schwer erhebbaren Daten zu | |
erhalten. Bereits bekannte Zahlen zu Genitalverstümmelungen und Herkunft | |
wurden analysiert und auf Bevölkerungsgruppen hochgerechnet. | |
Dadurch erklärt sich auch, dass für die Zahl der von genitalverstümmelung | |
bedrohten Minderjährigen, nur ein Bereich angegeben werden kann, in dem | |
sich die tatsächliche Zahl wohl bewegt. Im Minimalszenario sind 2.810 | |
Mädchen und Jugendliche bedroht, im Maximalszenario sind es dagegen 14.880 | |
mögliche Opfer. Die Szenarien unterscheiden sich in ihrer Grundannahme: | |
werden in der zweiten Generation weibliche Genitalbeschneidungen | |
durchgeführt oder nicht? | |
## „Klitoris bis zum Knochen runtergescharbt“ | |
Faduna Korn, Erste Vorsitzende des Vereins [2][NALA – Bildung statt | |
Beschneidung e. V.], schilderte auf der Pressekonferenz des BMFSFJ ihre | |
eigene Verstümmelung. Als Siebenjährige sei sie in Somalia in der Steppe | |
von zwei Frauen festgehalten worden, die ihr ohne medizinische Mittel „die | |
Klitoris bis zum Knochen runtergescharbt“ hätten. Aufgrund von dieser | |
Tortur wisse Korn, was ihre Mission sei: „Ich stehe hier und trage mein | |
Leben in die Öffentlichkeit, weil ich es wichtig finde für die zu Kämpfen, | |
die keine Stimme haben.“ | |
Als Vorsitzende von NALA, Swahili für Löwin, übergab Korn | |
Familienministerin Giffey ebenfalls [3][die Petition] „Genitalverstümmelung | |
in Deutschland bekämpfen“. 125.000 Unterschriften hat der Verein gesammelt, | |
um wie Korn es nennt „auf die Ungerechtigkeit hinzuweisen und den Finger in | |
die Wunde zu legen“. | |
Elementar, um zu helfen, sei „die Arbeit vor Ort“, sagt Korn. Um Prävention | |
zu betreiben und Kinder zu schützen müsse man mit den Eltern reden und | |
Familien stärken. „Als Communitymitglied ist das leicht“, betont Korn. Eine | |
vertrauensvolle Hilfe würden von den Gruppen gerne angenommen werden. | |
Gerade der hohe Analphabetismus unter Betroffenen mache die persönliche, | |
mündliche Wissensvermittlung so essentiell. | |
Korn und Giffey waren sich darüber einig, dass Bildung und Aufklärung die | |
besten Mittel zur Bekämpfung von weiblichen Genitalverstümmelungen sind. | |
Zum Schutz der Frauen soll auch eine geänderte Studien- und | |
Prüfungsverordnungen für Hebammen beitragen, die das Thema behandelt. Nur | |
durch Wissen und Kenntnisse über weibliche Genitalverstümmelungen könnten | |
Hebammen „die Betroffenen angemessen begleiten und unterstützen“, so | |
Giffey. | |
Zum anderen wieß Giffey auf das bundesweite [4][Hilfetelefon Gewalt gegen | |
Frauen] hin, deren Personal für die adäquate Hilfe geschult seien. Auch das | |
[5][Kinderschutzgesetz] soll zur Prävention beitragen. Die | |
Familienministerin hofft darauf, dass das Gesetz im Herbst im Kabinett ist. | |
Im Zuge der EU-Ratspräsidentschaft werde man sich ebenfalls für europäische | |
Maßnahmen einsetzen. Denn: Genitalverstümmelungen würde besonders in | |
Ferienzeiten und dem Urlaub vorgenommen, auch in europäischen | |
Nachbarländern, so Giffey. Zwar gebe es in Verdachtsfällen die Möglichkeit | |
den deutschen Pass zu entziehen, in der Praxis passiere das aber nur | |
selten. | |
25 Jun 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Klitoris-in-Lehrbuechern/!5667301 | |
[2] https://www.nala-fgm.de/ | |
[3] https://www.change.org/p/franziska-giffey-genitalverst%C3%BCmmelung-in-deut… | |
[4] https://www.hilfetelefon.de/ | |
[5] /Kinderschutz-in-Deutschland/!5689729 | |
## AUTOREN | |
Bennet Groen | |
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