# taz.de -- Eröffnung des Bachmannpreises: Einladung an alle | |
> Alles neu, alles virtuell beim diesjahrigen Ingeborg-Bachmann-Preis. Los | |
> ging es eher unambitioniert. Bis Sharon Dodua Otoo ihre Rede hielt. | |
Bild: Dieses Jahr alles virtuell: Sharon Dodua Otoos Rede zur Literatur wurde e… | |
Wenn die Rede zur Literatur von Sharon Dodua Otoo nicht gewesen wäre, wäre | |
es ein ziemlich betrüblicher Eröffnungsabend des diesjährigen | |
Bachmannpreises gewesen. Diese Veranstaltungen haben schon unter den | |
Livebedingungen in Klagenfurt ihre gedehnten Momente: Grußworte, bemühte | |
Literaturanspielungen, das kann sich ziehen, bis die Reihenfolge der | |
Lesenden ermittelt und das Büffet eröffnet ist. | |
Am Mittwoch abend hat man bei dieser [1][ganz besonderen Ausgabe dieses | |
Lesewettbewerbs], anstatt sich Neues auszudenken, viele dieser offiziellen | |
Elemente einfach per Videozuspielungen ins Studio übernommen. | |
Eine halbe Stunde Statements des ORF-Intendanten, der Landesdirektorin, der | |
Bürgermeisterin, des Landeshauptmanns und sonstiger Repräsentanten, | |
zwischendurch getragene musikalische Unterhaltungsmomente – zum Glück gibt | |
es Twitter, wo unter dem Hashtag #tddl einige unentwegte Literatur- und | |
Bachmannpreisfans parallel einigen Spott austauschten. | |
Das Neue, das Besondere wurde zwar einige Mal beschworen, aber zu sehen war | |
es keineswegs. Nun gut, vielleicht war die Eröffnung einfach auch eine | |
Pflichtveranstaltung. Am lustigsten und irgendwie auch lebendigsten war | |
noch diese winzige Grünpflanze, das „Klagenpflänzchen“ (Twitter), die sie | |
auf den derben Holztisch des Moderators Christian Ankowitsch vor gerafftem | |
dunkelblauen Stoffhintergrund zur Dekoration gestellt haben (auf Twitter | |
fühlte sich jemand zu Recht an einen Raum zur Bachmann-Aufbahrung | |
erinnert). | |
Man will ja gar nicht so viel rummosern, aber als Berichterstatter ist man | |
nun einmal der Wahrheit verpflichtet, und es war wirklich ziemlich | |
langweilig. | |
## Hochkant im Bildschirm: die sieben Jurorinnen | |
Immerhin bekam man einen Vorgeschmack darauf, wie nun die nächsten Lese- | |
und Diskussionstage aussehen werden: Im dunklen Studio hängen hochkant | |
sieben große Monitore nebeneinander, in jedem eins der sieben | |
Jurorengesichter, die jeweils vom Homeoffice aus in die Kamera schauen und | |
nach den jeweiligen Lesungen ins Gespräch kommen sollen – tatsächlich also | |
wie bei einer Videokonferenz. | |
Hoffen wir, dass die leichte Verzögerung, die sich in der | |
Eröffnungsveranstaltung immer einstellte, bevor sie auf Fragen des | |
Moderators antworteten, in den nächsten Tagen technisch bedingt nicht die | |
ganze Zeit über auftritt. Das könnte lebendige Debatten doch ziemlich | |
behindern. | |
Und immerhin kam zum Schluss eben die Autorin Sharon Dodua Otoo, | |
[2][Bachmannpreisträgerin des Jahres 2016], die eine sehr sachliche und | |
sehr souveräne Rede zur Literatur hielt. [3][„Dürfen Schwarze Blumen | |
malen“] lautete der Titel, und die Rede drehte sich dann darum, einige | |
Voraussetzungen zu klären, bevor sie diese Frage beantwortete. | |
## Erfahrungen des Rassismus | |
Sharon Dodua Otoo erklärte, warum sie das S groß schreibt in der | |
Bezeichnung Schwarze Frauen: Schwarz beschreibt nicht die Hautfarbe, | |
sondern die Zugehörigkeit zu einer Community – Otoo spricht von den | |
„Menschen der afrikanischen Diaspora“ –, die gemeinsame Erfahrungen teile… | |
aber auch ein Wissen, mit ihnen umzugehen; das sind auch Erfahrungen des | |
Rassismus natürlich. | |
Sharon Dodua Otoo performte nicht ihre Wut angesichts rassistischer | |
Strukturen, sie klagte auch nicht an, sie lud eher dazu ein, gemeinsam an | |
der „gemeinsamen deutschen Sprache“ und auch der Literatur zu arbeiten. | |
Literarisch führt Otoo eine ganze Reihe von Namen auf, in deren Tradition | |
sie sich sieht: Chaucer und Dickens (Otoo wurde in London geboren), Brecht | |
und Böll (sie lebt in Berlin), Chinua Achebe und [4][Toni Morrison]. | |
## Repräsentantin einer Community | |
Durch ihr eigenes Schreiben, sagt sie, wird sie als Schwarze Autorin | |
unweigerlich zur [5][Repräsentantin einer Community]. Je mehr und je | |
unterschiedlichere Schwarze Ansätze es dabei gibt, desto leichter wird den | |
Einzelnen diese Repräsentation – ein Plädoyer nicht nur für | |
gesellschaftliche Diversität, sondern auch für Diversität innerhalb der | |
Community. Es geht für Otoo darum, dass sich Schwarze Menschen auch in | |
ihrer eigenen Diversität begreifen können. | |
Einmal kommt sie beim Vorlesen der voraufgezeichneten und ins Studio | |
eingespielten Rede ins Stolpern, ausgerechnet zu Beginn einer brisanten | |
Stelle, in der sie auf die aktuelle Diskussion um Achille Mbembe zu | |
sprechen kommt, und sie setzt noch einmal neu an. Sie hätte die Möglichkeit | |
gehabt, die Stelle rausschneiden zu lassen, aber sie ließ den Stolperer | |
stehen, tatsächlich ein interessanter, an die Livesituation herankommender | |
Moment. | |
## Komplexität des Gedenkens | |
An der Stelle versucht sich Otoo an einem Brückenbau zwischen | |
antisemitismuskritischen und antirassistischen Diskursen, indem sie | |
erzählt, welche Ansätze und Sammelbände es in diese Richtung gegeben hat. | |
Es geht um ein Verständnis für die Komplexität des Gedenkens und der | |
Erinnerung, sagt Otoo, und das kann man ja erst einmal so stehen lassen. | |
Also, dürfen Schwarze Blumen malen? Ganz am Schluss folgt Sharon Dodua | |
Otoos Antwort: „Ja. Je mehr, desto besser.“ Und der Elefant ist dann schon, | |
dass sie die einzige Schwarze Beteiligte am diesjährigen Bachmannpreis sein | |
wird. Alle 14 Autorinnen und Autoren sind Weiß. Das fällt einem nach dieser | |
Rede halt auf. | |
18 Jun 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Bachmannpreis-coronabedingt-virtuell/!5689799 | |
[2] /40-Verleihung-des-Bachmann-Preises/!5315455 | |
[3] https://bachmannpreis.orf.at/stories/3050322/ | |
[4] /Nach-dem-Tod-von-Toni-Morrison/!5614140 | |
[5] /Chamisso-Preistraeger-ueber-Sprache/!5387557 | |
## AUTOREN | |
Dirk Knipphals | |
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