Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Tod eine Flüchtlings: Ein Fall für die Mordkommission
> In der Kleinstadt Zeven ist der 27-jährige Amadou Diabate umgebracht
> worden. Seine Freunde glauben an rassistische Motive. Sie werden bedroht.
Bild: Sie fordern Aufklärung: Demonstrierende in Zeven
Zeven taz | Seit Amadou tot ist, haben seine Freunde Angst. Nicht dass es
in Zeven sonst ganz unproblematisch wäre, als [1][Geflüchteter] zu leben.
Da sind die Nachbarn, die als schroff, die Behörden, die als schikanös
erlebt werden. Da sind offen rassistische Facebook-Posts und feindselige
Kommentare gegen die Kinder.
Aber am 25. Juni 2020 ist Amadou Diabates Leiche in seiner Kellerwohnung
aufgefunden worden. Der Tod sei infolge von Fremdeinwirkung eingetreten,
das hat das rechtsmedizinische Gutachten ergeben. Ein Tötungsdelikt.
Seither ist da diese Ungewissheit und die Angst, die mit der Zeit
zermürbend wird. „So lange wir nicht wissen, wer ihn getötet hat“, sagt
Isaac Keita*, der wie Diabate vor Jahren aus Elfenbeinküste geflohen ist,
„können wir nicht ruhig schlafen.“
Die Polizei in Rotenburg ermittelt. Sie hat eine Mordkommission gebildet,
sie befragt die Nachbarn, die nichts von dem Mord gehört haben. Ernst
genommen fühlen sich die Geflüchteten in Zeven nicht. Für die Polizei stehe
bereits fest, dass es sich nicht um eine rassistische Tat gehandelt habe,
befürchtet Keita. „Die sagen, das gibt es nicht in Zeven.“
## Freunde berichten von Schikane und Ausgrenzung
Mit einer Demo durch den Nieselregen hat die kleine Gemeinschaft von
Geflüchteten vergangene Woche, 14 Tage nach dem Tod von Diabate, ihrer
Befürchtung Nachdruck verliehen, dass die Polizei die Augen verschließt.
Und ihrer Forderung nach Gerechtigkeit und Würde für sie alle. Fast alle
sind selbst Asylbewerber*innen, nur eine Handvoll weißer Unterstützer*innen
ist dabei. Bei der „[2][Black Lives Matter]“-Demo Mitte Juni waren noch
mehrere Dutzend weiße Demonstrierende mitgelaufen.
Amadou Diabate war 27 Jahre alt, als er in seiner Wohnung erstochen wurde.
Vor seiner Kellerwohnung hängt jetzt das Absperrband der Polizei lasch über
aufgeweichten Karten und verwelkten Blumen. Er hat jahrelang in Zeven
gewohnt, eine Ausbildung gemacht, gearbeitet. Amadou hatte einen Bruder in
Wilhelmshaven und eine Freundin in Zeven. Viele betonen, wie gut er
integriert gewesen sei, dass er „sauber“ war, wie toll er Fußball gespielt
habe.
Wenn seine Freunde über ihn sprechen, stehen Schikanen und Ausgrenzung im
Fokus, die er erdulden musste. Nach bestandener Ausbildung wollte er
arbeiten. Sechs Monate lang haben es ihm die zuständigen Behörden nicht
erlaubt. Als sein Arbeitgeber die Polizei ruft, weil er nicht zur Arbeit
erscheint, ist Amadou Diabate schon tot.
Einbruchsspuren gibt es nicht, weshalb die Polizei davon ausgeht, er habe
den oder die Täter*innen in die Wohnung gelassen. Die Befürchtung, es könne
sich um einen rassistischen Mord gehandelt haben, schließt der
Polizeisprecher Heiner van der Werp zwar nicht völlig aus, „aber die
Umstände sprechen für ein anderes Tatmotiv“. Die Polizei ermittle in alle
Richtungen.
Während der Demonstration der Geflüchteten sind nur wenige Polizeibeamte zu
sehen. Der Mord sei schon eine „Zäsur“, sagt einer, „aber das hier ist f…
uns ein reiner Verkehrseinsatz“. Sein Kollege hält es dennoch für nötig,
die Teilnehmer*innen von der Seite mit einer Bodycam abzufilmen. Das sei
ganz normal und nicht rechtswidrig, erklärt er.
Um den Eingang des Zevener Rathauses ist eine weitläufige Absperrung
aufgebaut. Hinter dem Gitter stehen die etwa 30 Teilnehmer*innen der
Demonstration. Einer hält ein Pappschild mit der Aufschrift „Gefangene
unter freiem Himmel in Zeven“.
Auf der anderen Seite steht Bürgermeister Henning Fricke (SPD). Er trägt
Anzug, Lederschuhe und ein Mikrofon. Gegen den Regen hält ein Mitarbeiter
der Außenstelle Asyl einen Schirm über ihn. Die Demonstrierenden fordern
nicht nur die Aufklärung von Diabates Tod. Auch Kritik an der lokalen
Ausländerbehörde und einer fehlenden Eingliederung tragen sie vor den
Bürgermeister. Man lasse sie nicht umziehen, nicht einmal zu ihren Kindern
in anderen Landkreisen.
## Der Bürgermeister betont die „Willkommenskultur“
Die Geflüchteten werfen der Stadtverwaltung vor, mit ihren Zweitschlüsseln
unangemeldet in die Wohnungen der Geflüchteten zu kommen. Fricke weist das
zurück, oder wenigstens fast: „In der Regel“, sagt er, gebe man vorher
Bescheid. Isaac Keita ist wütend. „Oft klopfen die nicht einmal.“ Durch die
unangekündigten Besuche fühle er sich zu Hause nicht sicher. Mit Diabates
Tod sei es schlimmer geworden.
Henning Fricke hält eine kleine Ansprache. Er nehme die Probleme mit
Rassismus und Ausgrenzung ernst. „Wir alle“, betont Fricke vor der
Demonstration, „stehen aber für eine Willkommenskultur ein.“ Er duzt seine
Gegenüber, spricht sehr freundlich. Konkrete Versprechen macht er nicht. Er
sei der falsche Adressat, alles Wesentliche werde auf höherer Ebene
entschieden, vom Landkreis.
Ob er vor Diabates Tod die Probleme der Geflüchteten in Zeven mitbekommen
habe? Nein, so etwas bleibe eher auf den unteren Verwaltungsebenen. Fricke
nimmt eine Liste mit Forderungen entgegen und reicht das Mikrofon über das
Gitter an den Bruder des Getöteten weiter, bevor er wieder ins Rathaus
zurückkehrt.
Dem Landrat habe er Bescheid gegeben, aber er könne nichts tun. Die
Kreisverwaltung weist alle Verantwortung von sich: Man halte sich an die
gesetzlichen Vorgaben.
Als die Demonstrierenden durch Zeven laufen, schauen ein paar Leute vom
Straßenrand zu. Eine Frau klatscht vom Balkon, eine andere nickt
zustimmend. Ein Freund von Amadou reiht sich in den Protest ein: „Ich
wusste gar nichts von der Demo!“, sagt er bestürzt.
## Isaac Keita bekommt einen Drohanruf
Als die Demonstrierenden vor der Ausländerbehörde stehen und „Aufklärung!
Gerechtigkeit!“ rufen, bleiben alle Fenster zu. Nur der eigens für diesen
Tag bestellte Wachmann einer Buxtehuder Securityfirma steht regungslos vor
dem Eingang. „Vorsorglich, zur Kundensteuerung“, erklärt die
Kreisverwaltung.
Ein paar Tage später trifft die Geflüchteten in Zeven wieder Hass. Auf
Facebook werden sie so übel beschimpft, dass sie zur Polizei gehen. Nur
wenige Stunden danach bekommt Isaac Keita einen Drohanruf mit verzerrter
Stimme.
Er versteht nicht viel, außer, dass er bedroht wird: „Du wirst schon
sehen!“, soll die Stimme gesagt haben. Noch mehr Angst, noch mehr
Unsicherheit. Isaac Keita ist erschöpft. Er will nur weg aus Zeven.
Vielleicht geht er nach Bremen.
*Name von der Redaktion geändert
16 Jul 2020
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-Flucht/!t5201005
[2] /Black-Lives-Matter/!t5320244
## AUTOREN
Selma Hornbacher-Schönleber
## TAGS
Black Lives Matter
Schwerpunkt Rassismus
Niedersachsen
Drohungen
Geflüchtete
Diversität
Schwerpunkt Rassismus
Drohbrief
## ARTIKEL ZUM THEMA
Forscherin über Migrationshintergrund: „Weg mit diesem Begriff“
Vor 15 Jahren wurde der Begriff Migrationshintergrund eingeführt. Im Alltag
werde er meist stigmatisierend verwendet, sagt die Forscherin Deniz
Yıldırım.
Comedian İdil Baydar über Morddrohungen: „Das ist Teil meines Alltags“
Von einem Polizeirechner wurden persönliche Daten der Kabarettistin İdil
Baydar abgerufen. Sie ist schon länger Anfeindungen ausgesetzt.
Rassistische Drohbriefe in Hannover: Gastronomen bekommen Hass-Post
Mehrere türkischstämmige Gastronomen in Hannover haben rassistische
Drohbriefe erhalten. Die Polizei ermittelt wegen Volksverhetzung.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.