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# taz.de -- Bloggerin in Tunesien: Verurteilt wegen Satire
> Die tunesische Bloggerin Emna Chargui wurde wegen eines Facebook-Posts zu
> einer Gefängnisstrafe verurteilt. Ein Rückschritt für die
> Meinungsfreiheit?
Bild: Emna Chargui wurde zu sechs Monaten Haft und gut 600 Euro Strafe verurtei…
Tunis taz | Bilder von überfüllten Krankenhäusern und nächtlichen
Leichentransporten aus Spanien und Italien gingen im Frühjahr um die Welt.
Aus Angst, dass die wenigen Intensivstationen in der Coronakrise auch in
Tunesien schnell überlastet sein könnten, hatte [1][die gerade erst ins Amt
berufene Regierung] von Premier Elyas Fakhfakh [2][schon im März einen
totalen Lockdown beschlossen]. In dieser Zeit teilte die tunesische
Bloggerin Emna Chargui die „Sourate Corona“ (deutsch „Sure Corona“) bei
Facebook. Ein satirischer Post, der verheerende Konsequenzen für die
27-Jährige hatte.
Gepostet von einem in Frankreich lebenden Algerier, waren auf der „Sourate
Corona“ Corona-Ratschläge wie „Wasch deine Hände“, Bleib zu Hause“ od…
„Halte Abstand“ zu lesen. Der Post mit arabischer Schrift, Verzierungen und
Virussymbolen ahmt den Stil eines Koranverses nach.
Am Tag nach dem Posting sah Chargui sich mit hasserfüllten Kommentaren
konfrontiert, sie wurde mit Folter und Enthauptungen bedroht. Den Post
hatte sie zwar auf Rat eines befreundeten Anwalts schnell wieder entfernt,
aber das änderte nichts. Jeden Tag gingen weitere Drohungen bei der
Bloggerin ein und die Staatsanwaltschaft wurde aktiv.
Vergangene Woche wurde Chargui nun wegen „der Verbreitung von Hass zwischen
den Religionen“ von einem Gericht in Tunis zu sechs Monaten Haft und einer
Geldstrafe von umgerechnet 615 Euro verurteilt.
## Religion versus Meinungsfreiheit
In ihren Blogs und öffentlichen Aktionen beschäftigt sich Emna Chargui
immer wieder mit dem von Religion bestimmten Alltag in Tunesien. Sie und
ihre Kollegen streiten für das Recht, anders zu sein. Im Ramadan
organisierte sie öffentliche Mittagessen. Es gibt viele Aktivistinnen wie
Chargui in Tunis, viele junge Frauen sind kaum bekannt, aber gut vernetzt.
Gerade die weibliche Bloggerszene ist für die Islamisten eine Provokation.
50 Menschenrechtsorganisationen Tunesiens haben sich mittlerweile mit Emnas
Chargui solidarisiert, mehr als tausend Tunesier teilten den satirischen
Post nach dem Urteil auf ihren Facebook-Seiten mit dem Slogan
#FreeEmnaChargui.
Doch auf der Hauptflaniermeile von Tunis, der Avenue Bourguiba, wissen nur
wenige von dem drastischen Urteil. Die coronabedingte Wirtschaftskrise und
der [3][Rücktritt von Premier Elyes Fakhfakh] im Juli dieses Jahres wegen
eines angeblichen Korruptionsfalls bestimmen die Gespräche. Auch in der
aktuellen politischen Krise zwischen den moderaten Islamisten der Ennahada,
den Radikalen der Karama-Allianz und den eher säkularen Bürokraten wie
Fakhfakh geht es oft um ähnliche Fragen wie in dem Fall Chergui. Ist
Tunesien ein säkularer Staat? Steht die Religion über der Meinungsfreiheit?
Der marokkanische Journalist Ahmed Benchemsi von Human Rights Watch glaubt,
dass der Zeitpunkt des aus seiner Sicht politischen Gerichtsurteils kein
Zufall ist. Er sagt: „Das ist ein großer Rückschritt für die
Meinungsfreiheit in einem Land, das ansonsten große Fortschritte auf dem
Weg zur Demokratie gemacht hat.“
## Kein Bereuen
Für die Atheistin Emna Chargui hat die gesellschaftliche Revolution noch
gar nicht stattgefunden. Nur die Ben-Ali-Diktator sei weg. „Wenn ein Witz
oder leise Kritik an der Religion oder Traditionen weiterhin mit Gefängnis
bestraft werden kann, gibt es nur eine scheinbare Freiheit und keine
Zukunft für kritisch Denkende“, sagt sie bei einem Treffen mit der taz in
Tunis.
Die Drohungen nimmt sie sehr ernst und wechselt mit ihrer Mutter und
Schwester regelmäßig die Unterkunft. Auf der Polizeiwache blieb man
höflich, verweigerte ihr aber den Schutz, weil viele Drohungen aus Ägypten
oder anderen Ländern kämen und nicht ernst gemeint seien.
Trotz der Drohungen bereut sie ihren Post nicht. „Die Frage der
individuellen Bürgerrechte auf Grundlage der neuen Verfassung muss in die
Öffentlichkeit, gerade weil Richter und Politiker sie nicht anerkennen. Für
Meinungsfreiheit sind wir schon 2011 auf die Straße gegangen“, sagt sie.
Im Oktober wird das Revisionsverfahren erwartet, bis dahin ist Emna Chargui
frei. Auf die Straße traut sie sich trotz Aufhebung des Lockdowns nur
selten.
21 Jul 2020
## LINKS
[1] /Neues-Kabinett-in-Tunesien/!5667732
[2] /Lagebericht-aus-Tunis/!5675258
[3] /Tunesien-sucht-neuen-Regierungschef/!5701045
## AUTOREN
Mirco Keilberth
## TAGS
Tunesien
Islamismus
Medien
Marokko
Wahlen in Tunesien
Schwerpunkt Coronavirus
Tunesien
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