# taz.de -- Klimaaktivist*innen in Berlin: Hoppla, noch eine Partei | |
> Bei einem Stadtspaziergang werben Klimaaktivist*innen für Ihre Anliegen. | |
> Sie wollen eine Partei gründen und besser als die Grünen werden. | |
Bild: Böhmischer Platz in Neukölln: Ein Ort der Begegnung | |
BERLIN taz | In Berlin wird nun der Schritt gewagt: Klimaaktivist*innen | |
gründen eine Partei. „Es braucht einen neuen Impuls, der die Parteien – | |
auch die Grünen – wachrüttelt“, sagt Antonio Rohrßen, während er mit ru… | |
20 Leuten durch Neukölln läuft. „Wir sehen uns als Brücke zwischen | |
Klimabewegung und parlamentarischen Parteien.“ Der 27-Jährige ist einer der | |
Sprecher*innen von Radikal Klima, einer Gruppe von rund 60 eher jüngeren, | |
Berliner*innen, die zur Wahl des Abgeordnetenhauses 2021 antreten. Am 9. | |
August soll die Partei gegründet werden. | |
Als Auftaktveranstaltung sollten beim „radikalen Stadtspaziergang“ | |
vergangene Woche durch Neukölln Beispiele für Interessierte gezeigt werden: | |
„Lasst uns gemeinsam entdecken, wie Neukölln bis 2030 klimapositiv werden | |
könnte“, sagt Jeanette Krüger von Radikal Klima, bevor sie die Gruppe in | |
Richtung des Böhmischen Platzes, anschließend vorbei an einer Ladestation | |
für E-Autos zum neuen Ort der Prinzessinnengärten an der Hermannstraße | |
führt. Stadtspaziergänge in anderen Kiezen Berlins sollen folgen. | |
Bis spätestens 2030 klimapositiv zu werden ist das [1][Kernziel von Radikal | |
Klima]. Die Betonung liegt auf „spätestens“, denn es komme auf die zugrunde | |
liegende Budgetrechnung der Emissionen an, sagt Rohrßen. Je länger nichts | |
getan werde, desto weniger Zeit bleibe, um das 1,5-Grad-Ziel des | |
internationalen Pariser Klimaabkommens einzuhalten. | |
## Keine Kompromisse bei 1,5-Grad | |
Klimapositiv bedeute, dass am Ende „alle Emissionen, die hier vor Ort | |
entstehen, auch hier wieder eingefangen werden müssen – beispielsweise | |
durch Senken, wie Wälder oder Gärten“. Ablasshandel wie etwas | |
CO2-Ausgleichs-Käufe für Flugreisen sei nicht okay. Wie genau das am Ende | |
umgesetzt und was das für Im- und Export bedeuten kann, werde gerade, so | |
wie vieles andere, heiß diskutiert. | |
Als die Gruppe während des Stadtspaziergangs auf dem belebten Böhmischen | |
Platz zum Stehen kommt, fragt eine Teilnehmerin: „Was unterscheidet euch | |
denn von den Grünen?“ Denn auch die seien ja für partizipative | |
Nachbarschaftsprojekte, die wie hier auf dem „Böhmi“ verkehrsberuhigte | |
Zonen erwirkt hätten. „Uns unterscheidet, dass wir keine Kompromisse | |
machen, wenn es um das 1,5-Grad-Limit geht“, sagt Rohrßen. | |
Es war ein [2][weltweiter Weckruf], als vergangenen September rund um den | |
Globus Millionen Menschen für einen kompromisslosen Klimaschutz | |
demonstrierten. „Die Klimabewegung hat sich stark positiv für die Grünen | |
ausgewirkt“, sagt Swen Hutter, Stellvertretender Direktor des Zentrums für | |
Zivilgesellschaftsforschung. Wichtig sei dabei, dass das Klimathema „ganz | |
klar schon lange von einer Partei besetzt wird“ und dieser in der | |
Bevölkerung auch eine starke Kompetenz zugesprochen werde. | |
Für Radikal Klima sei es einfach, sich von den Grünen abzugrenzen, sagt | |
Rohrßen, solange diese keine wissenschaftliche Budgetrechnung als Grundlage | |
ihrer Politik nutzen und transparent machen würden. „Keine Partei schafft | |
es, den radikalen Schritt zu gehen, das Notwendige zu tun.“ Dazu gehöre | |
auch, Interessen der eigenen Wählerschaft zurückzuschrauben, um Ergebnisse | |
der Naturwissenschaften anzuerkennen. | |
Könnte das etwa überspitzt bedeuten, dass Radikal Klima die erste Partei | |
wird, die ihrer Wählerschaft tatsächlich persönlichen Verzicht abverlangt? | |
Werden Autos abgeschafft, und wird das Heizen teurer? Momentan arbeitet die | |
werdende Partei jedenfalls an einem „Klimaplan“, der aufzeigen soll, wie | |
das 1,5-Grad-Ziel eingehalten werden kann. Ein Entwurf soll schon bald | |
veröffentlicht werden. Anschließend seien alle Berliner*innen | |
eingeladen, an dem Klimaplan mitzuwirken. | |
## Die Welt als Donut | |
Transparenz sei hierbei oberstes Gebot. Je nachdem, wie sich die Emissionen | |
entwickeln, soll auch der Klimaplan stetig verändert werden. „Als Grundlage | |
für unsere Politik benutzen wir dabei das Donut-Modell von Raworth“, sagt | |
Rohrßen, damit planetare Grenzen und soziale Mindeststandards eingehalten | |
werden. | |
Gemeint ist die Wirtschaftswissenschaftlerin und Kritikerin neoklassischer | |
Gleichgewichtsmodelle, Kate Raworth, die die Welt als Donut darstellt. In | |
der Mitte das gesellschaftliche Fundament, drum herum ein Kreis von | |
Ökologie, Politik und Wirtschaft. Ein Aspekt des Donuts ist, dass | |
gesellschaftlicher Nutzen nicht an der Wirtschaftsleistung allein gemessen | |
werden kann. Die Vision: eine neue Ökonomie. | |
Wie aus wissenschaftlicher Perspektive die Erfolgschance für | |
Parteigründungen aus der Klimabewegung eingeschätzt werden kann, erklärt | |
Hutte: Mit neuen Themen seien Parteigründungen meistens erfolgreicher – | |
zudem sei ausschlaggebend, ob sie „synchron zur Bewegung wachsen, wie bei | |
der AfD“, sagt Hutter „daher schätze ich Parteigründungen aus der | |
Klimabewegung allgemein als wenig erfolgversprechend ein“. Sie könnten | |
aber auch dazu führen, dass die Debatte über Parteinähe erstarkt und von | |
der Klimabewegung unterstützt wird. Bislang hätte sich die Bewegung von den | |
Grünen distanziert und alle Parteien angesprochen, die ihre Ziele | |
unterstützten. | |
Für Jeanette Krüger von Radikal Klima ist die Parteigründung „der nächste | |
logische Schritt“. Zuvor wirkte die 31-Jährige bei der Initiative | |
Klimaneustart und der Volksinitiative „Klimanotstand Berlin“ mit, die darin | |
mündete, dass der [3][Senat im vergangenen Dezember die „Klimanotlage“ für | |
Berlin] ausrief. „Danach folgten jedoch keine wirklichen Maßnahmen, deshalb | |
geht es jetzt darum, dem Ganzen noch mehr Inhalt zu geben“, sagt Krüger – | |
und es gehe darum, Druck auszuüben. | |
23 Jul 2020 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Sophie Schmalz | |
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