# taz.de -- Die steile These: Lasst den Touris ihren Ballermann! | |
> Die Empörung um das dicht gedrängt feiernde Partyvolk auf Mallorca ist | |
> verlogen. Denn: Die ganze Welt spielt gerade mit dem Feuer. | |
Bild: Malle ist überall: Feiernde am Ballermann Mitte Juli | |
Das Ballermann-Bashing hat lange Tradition. Seit Mallorca in den Fünfzigern | |
den Massentourismus für sich entdeckte und seine Küsten mit Bettenburgen | |
zupflasterte, steuerte ein Charterflugzeug voller Tourist:innen nach dem | |
nächsten den mallorquinischen Flughafen Palma de Mallorca an. Endlich | |
konnten sich nicht nur die Schönen und Reichen den Urlaub am Mittelmeer | |
leisten, sondern auch die VW-Arbeiter und Büroangestellten. | |
Schnell war Mallorca als Putzfraueninsel verschrien und die | |
Akademiker:innen und Unternehmer:innen, die sich dort zufällig kein | |
Feriendomizil à la Claudia Schiffer kaufen konnten, entschieden sich | |
naserümpfend für andere Erholungsorte. | |
Zu Beginn der Coronapandemie [1][war es dann erst mal für kurze Zeit vorbei | |
mit der verrückten Herumfliegerei]. Bis man sich angesichts verständlicher | |
Urlaubssehnsüchte der gestressten Menschen und der Not umsatzabhängiger | |
Hoteliers und Gastronomen auf eine Lösung verständigte: Wenn man das | |
tödliche Virus nicht bekämpfen kann, muss man eben mit ihm leben. Und das | |
heißt: alles hochfahren, was geht. Mit entsprechenden Sicherheitsmaßnahmen. | |
In Spanien machte Mallorca den Anfang. Ab dem 15. Juni wurden 10.900 | |
sogenannte Testurlauber auf der Insel abgesetzt, die unter den Augen der | |
kritischen Öffentlichkeit ein bisschen Versuchskaninchen spielen durften. | |
Na, wie machen sich Uschi und Herbert, denen man ja sonst nicht viel | |
zutraut, bei einem Urlaub, der von Maske tragen, Abstandsregeln und | |
Desinfektionsmittel geprägt ist? Sie machten sich ganz gut, und so kam es, | |
dass die Balearen-Insel seit dem 21. Juni auch für die regulären | |
Urlauber:innen aus dem Schengen-Raum wieder aufmachte. | |
Und dann das: [2][Die Mallorca Zeitung veröffentlichte am Samstag letzter | |
Woche ein Video], das Szenen von der Bier- und Schinkenstraße in S’Arenal, | |
besser als Ballermann bekannt, zeigt. Zu sehen sind Partyurlauber:innen, | |
die dicht an dicht gedrängt zusammen feiern und trinken. So, als ob die | |
Coronagefahr längst ausgestanden sei. | |
## Eine Ohrfeige für die Dichter-und-Denker-Nation | |
Schnell ergoss sich eine Welle der Empörung über die dusseligen Deutschen | |
ohne Moral und Sicherheitsabstand. Spanien, das von einem der heftigsten | |
Corona-Ausbrüche Europas gebeutelt ist, fürchtete zu Recht einen | |
Wiederanstieg der Infektionen. Der deutsche Gesundheitsminister [3][Jens | |
Spahn warnte]: „Wir müssen aufpassen, dass der Ballermann nicht ein zweites | |
Ischgl wird“, und Gesundheitsexperten fordern nun Tests und Quarantäne für | |
die Rückkehrer:innen. | |
Doch bei allem Verständnis für die Sorge vor einer zweiten, | |
[4][tourismusbedingten Welle] und den entsprechenden Maßnahmen – so hat der | |
balearische Tourismusminister Iago Negueruela die Ballermann-Lokale nach | |
dem Partyexzess nun wieder schließen lassen – bleibt doch ein Unbehagen, | |
was den medialen Umgang mit den Ballermann-Tourist:innen betrifft. Denn was | |
haben sie nicht schon alles aushalten müssen? | |
Wie viel hat man schon über die dumm-doof-deutschen Ballermänner und | |
Ballerfrauen geschimpft: kulturlos, geschmacklos – überhaupt, der Abschaum | |
der Gesellschaft. Weil sie „Zehn nackte Friseusen“ grölen, aus riesigen | |
Eimern Sangría trinken und mit Mottoshirts rumlaufen, deren | |
niveaufragliche Sprüche als Ohrfeige für die selbsternannte | |
Dichter-und-Denker-Nation gelten. Die sind ja nicht ganz dicht, freute man | |
sich jedes Mal wieder, wenn eine Gruppe Junggesellinnen oder Kegelbrüder | |
bei RTL 2 über die Mattscheibe hopste. | |
Und doch ging auch immer eine seltsam-tröstliche Faszination von ihnen aus: | |
Sie, das waren die wirklichen Deutschen, während man selbst durch und durch | |
zivilisiert und damit eben nicht so peinlich kartoffelig war. Kein Wunder | |
also, dass Filme wie „Ballermann 6“ ein so großer Erfolg waren und auch die | |
„Ballermann Hits“ wie geschnitten Brot über die Theke gingen. Denn was man | |
selbst durch Ironie legitimiert genießen konnte, konsumierten die Dummdödel | |
von S’Arenal ohne doppelten Boden und Verstand. | |
## Wet-T-Shirt-Contest im Bierkönig | |
Auch ich war schon am Ballermann, mit 15 Jahren und zwei Polohemd tragenden | |
„Faserland“-Verschnitten an meiner Seite, ein bisschen dumme deutsche | |
Kartoffeln gucken. Wir sahen im berühmt-berüchtigten Bierkönig einen | |
Wet-T-Shirt-Contest und betrunkenen, wilden Sex am Strand, gleich neben der | |
Spätibude Balneario 6, von dem der Ballermann seinen Namen hat. Und hätten | |
wir damals schon Handys gehabt, hätten wir daraus sicherlich eine | |
pseudolustige Story für Instagram gemacht. | |
Was wir in unserer ganzen ferienanlagenverwöhnten Hochnäsigkeit nicht | |
kapiert hatten: Wir waren verdammt privilegiert, denn wir hatten unseren | |
Privatstrand, wo wir uns unter Ausschluss der Öffentlichkeit nach | |
Herzenslust betrinken und befummeln konnten, während die Teenager:innen in | |
S’Arenal nur den öffentlichen Strandabschnitt dazu hatten. Okay, sie hätten | |
auch auf ihr billiges, kleines Hotelzimmer gehen können, aber: Sex am | |
Strand ist einfach geil. | |
Und genau das nervt an dieser verlogenen Diskussion: Klar, wer Geld hat, | |
kann jetzt in seine Ferienvilla an den Luganersee fahren und von dort aus | |
in aller Seelenruhe über Pauschalurlauber:innen lästern. Doch wer während | |
des Coronashutdowns in seiner kleinen Zweizimmerwohnung hockte und im | |
schlimmsten Fall auch noch einem schlecht bezahlten systemrelevanten Beruf | |
nachging, bei dem die Ansteckungsgefahr im Zweifelsfall sogar höher war als | |
bei den ganzen Homeoffice-Schnullies, der muss jetzt auch noch als Buhmann | |
oder -frau für ein grundsätzlich fragwürdiges Wiederhochfahren herhalten – | |
obwohl er oder sie längst nicht die Einzigen sind, die postcoronamäßig | |
drauf sind. | |
Wenn man nämlich ehrlich ist, spielt gerade die ganze Welt mit dem Feuer – | |
da hätte man an dem beklagten Freitagabend nur einen kleinen Spaziergang | |
durch das hipster- und neuerdings moralgeschwängerte Berlin-Mitte machen | |
müssen, wo sich ähnlich „dramatische“ Szenen wie am Ballermann vor den Ba… | |
abspielten. Auch da stand man dicht gedrängt und Küsschen links, Küsschen | |
rechts verteilend bei einem oder mehreren Getränken vor der Tür. | |
## Der Unterschied zwischen Crémant und Aldi-Prosecco | |
Denn was beim Ballermann-Bashing nur allzu gerne vergessen wird: Es war ja | |
nicht so, dass die Feiernden auf Mallorca zu Hunderten in Indoor-Clubs | |
rumhingen, sondern auch dort fanden die besagten, inhaltlich zu Recht | |
kritisierten Szenen mehr oder weniger an der frischen Luft statt. Doch die | |
Welt scheint einen Unterschied zu machen, ob die | |
Ohne-Maske-und-Sicherheitsabstand-Zusammenstehenden Acne-Jeans tragen und | |
Crémant trinken oder ob sie riesige Neon-Sonnenbrillen auf dem Kopf haben | |
und den guten Prosecco von Aldi im Glas. | |
Bloß: Während man Pauschalurlauber:innen noch einigermaßen gut | |
kontrollieren kann, weil sie mangels Rückzugsraum unter den Augen der | |
Öffentlichkeit feiern und reisen müssen, kann man das bei den als | |
Digitalnomaden bekannten Töchtern und Söhnen reicher Eltern nicht. Die | |
holen sich ihre Corona-Infektion unter Umständen sogar bei irgendeiner | |
Privatparty in einem 150-Quadratmeter-Loft ab und verteilen das Virus dann | |
beim nächsten Individualtrip auf dem ganzen Globus. | |
Deshalb: Wer jetzt den Ballermann wieder dichtmacht, müsste eigentlich die | |
ganze Welt dichtmachen. Gründe dafür gibt es zweifelsfrei genug. | |
18 Jul 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Vor-der-Rueckkehr-der-Touristen/!5689389 | |
[2] https://www.mallorcazeitung.es/lokales/2020/07/11/mallorca-ballermann-party… | |
[3] /Ferien-in-Zeiten-von-Corona/!5694783 | |
[4] /Ferien-in-Zeiten-von-Corona/!5694783 | |
## AUTOREN | |
Anna Fastabend | |
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