# taz.de -- Der Sitznachbar im Zug: Mit Adolf Hitler per Du | |
> Ein Wochenende in Warnemünde, um den Kopf frei zu bekommen, könnte so | |
> schön sein. Wären da nicht die Mitreisenden. | |
Bild: Abschalten in Warnemünde: Es könnte alles so entspannt sein | |
Meine Gedanken, meine Arbeit, meine Gefühle – alles drehte sich in den | |
vergangenen Wochen um [1][Rassismus und Polizeigewalt]. Immer die gleichen | |
Bilder im Kopf: Schwarze Menschen, die leblos auf der Straße liegen, in | |
Parks, im Mittelmeer und sogar von Bäumen hängen. Ich dachte viel an | |
[2][Ruanda, an den Genozid 1994] überlebten, an die vielen Toten und wie | |
wir ihn überlebten. Um den Kopf etwas freier zu bekommen, fuhr ich mit | |
einem guten Freund am Wochenende nach Warnemünde. | |
Wir spazierten am Strand, hörten viel Musik, wir sangen, erzählten | |
unangebrachte Witze und lachten viel. Nach und nach fühlte ich wieder mehr | |
als nur Trauer, Resignation und Wut. Ich war positiv überrascht, wie wenig | |
ich angestarrt wurde, wie freundlich die meisten waren und dass der Strand | |
von Warnemünde diverser war als meine Straße in Berlin-Prenzlauer Berg. Auf | |
dem Weg zum Bahnhof wollte ich gerade diese Gedanken mit meinem Kumpel | |
teilen, als ein Mann aus dem Bahnhofskiosk kam. Er trug kurze Hose und ein | |
T-Shirt in Camouflage-Optik; als er sich zu uns drehte, sahen wir seine | |
Kette mit einem Eisernes-Kreuz-Anhänger. An seinem Rucksack hing ebenfalls | |
ein Exemplar, damit seine politische Gesinnung auch ja nicht zu übersehen | |
war. | |
Er schloss sein Fahrrad auf und radelte fröhlich davon. Sprachlos stiegen | |
wir in den Zug nach Berlin, kurze Zeit später schlief mein Freund ein. In | |
Neustrelitz stiegen zwei Männer ein und setzten sich im Viererabteil neben | |
uns. Beim Einstieg zog einer der beiden seine Maske ab und sagte: „Mit | |
diesen Masken ist das ist wie 1933. Bald müssen wir einen Stern tragen.“ | |
Ich schaute die beiden an und stammelte: „Ist das Ihr Ernst?“ Die beiden | |
schauten mich kurz an und führten ihr Gespräch unbeirrt fort. Ich wollte | |
keine Szene machen, denn die würde meinen Freund wecken. Er als jüdischer | |
Mensch sollte erst recht nicht solchen Aussagen ausgesetzt sein. | |
Die beiden Männer wechselten das Thema. Irgendwann wurde mein Freund wach, | |
und ich erzählte ihm doch, was passiert war. Wir beschlossen, die beiden | |
Männer noch mal anzusprechen. Der eine reagierte überrascht, aber stritt | |
seine Aussage nicht ab. Er stellte sinnlose rhetorische Fragen, sprach von | |
Adolf und davon, wie er seine damalige Arbeitslosigkeit in den Griff | |
bekommen hätte. Eine kleine Faustregel, mit der ich bislang gut gefahren | |
bin: Menschen, die mit Adolf Hitler per Du sind, lieber meiden. | |
Die beiden anderen Menschen in unserem Abteil schauten angestrengt aus dem | |
Fenster. Wir diskutierten ergebnislos weiter, und irgendwann sagte der | |
Mann, dass er das, was er eigentlich sagen wollte, [3][in Deutschland eh | |
nicht mehr sagen dürfte], und wandte sich seinem Freund zu. Nach einem | |
kurzen Schweigen holte einer eine Lokomotivezeitschrift raus, und die | |
beiden sprachen über Züge. Als sie dann aufstanden, sahen wir, dass an | |
ihren Rucksäcken kein Eisernes Kreuz hing, dafür aber das | |
Deutsche-Bahn-Logo. | |
3 Jul 2020 | |
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## AUTOREN | |
Anna Dushime | |
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