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# taz.de -- Verknallt in der S-Bahn: Die Gesichtshälfte eines Fremden
> In den letzten Wochen ist viel passiert, das mindestens schlechte Laune
> macht. Die beste Ablenkung davon ist ein S-Bahn-Schwarm.
Bild: Berühmte Hitchcock-Metapher mit Berliner S-Bahn
Seit ein paar Tagen habe ich einen S-Bahn-Schwarm. Laut meiner Mutter ist
das ein bisschen peinlich, weil ich schon 31 bin, aber ich gehe auch noch
auf Pyjamapartys und rede mit Fremden auf Twitter über meine Periode.
[1][Mir ist offenbar nicht so viel peinlich.]
Zurück zu meinem S-Bahn-Schwarm: In den letzten Wochen ist ja sehr viel
passiert, das mindestens schlechte Laune machen kann und einen in den
meisten Fällen zur Verzweiflung treibt. Und da ist jede Ablenkung recht.
Und S-Bahn-Bae – wie ich ihn nenne – ist die beste Ablenkung.
Normalerweise stehe ich auf den letzten Drücker auf, schminke mich in der
Tram, nehme immer die letzte S-Bahn, sodass ich gerade so pünktlich ins
Büro komme für meinen ersten Termin. Einige nennen es unverantwortlich, ich
nenne es Leben am Limit, no risk, no fun etc. Wenn wir ehrlich sind, ist
das der letzte Nervenkitzel, der uns sogenannten young professionals
bleibt.
Als ich neulich in die S-Bahn rannte und mich nach einem freien Platz
umschaute, erblickte ich meinen S-Bahn-Schwarm. Es war wie im
[2][Disney-Film], außer dass ich meine Maske komisch trug, meine Brille
sofort beschlug und meine Augenbrauen asymmetrisch waren. Ich verfluchte
mich. Für meine beschlagene Brille konnte ich nichts, aber meine
merkwürdige Augenbrauenform lag daran, dass ich mal wieder spät
aufgestanden war.
## Die gute Augenbraue in den Fokus
Ich versuchte mich so zu positionieren, dass S-Bahn-Bae meine gute
Augenbraue sah (die linke), und tippte hoch konzentriert eine wilde,
sinnlose Buchstabenfolge in meine Notizen-App, damit ich sehr busy aussähe.
20 Minuten später kam ich an meiner Haltestelle an, und er stieg MIT MIR
aus. Damit hatte ich natürlich nicht gerechnet, und für eine Millisekunde
kam es mir vor, als hätte ich das Laufen verlernt. Anna, konzentrier dich
bitte!, ermahnte ich mich. Meine Mutter rief an, und ich erzählte ihr auf
Kinyarwanda sofort, was da gerade in Echtzeit passierte. Ich hoffe sehr,
dass S-Bahn-Bae nicht auch zufällig aus Ruanda kommt und das Gespräch
verstanden hat.
Jedenfalls liefen wir die Treppen gemeinsam runter, und ich konzentrierte
mich auf meine sehr unsportliche Atmung und, wie oben erwähnt, aufs Laufen.
Unten angekommen, ging er links ab und ich rechts. Ich schaute ihm
hinterher, er mir leider nicht. Den ganzen Tag dachte ich an S-Bahn-Bae,
und am nächsten Morgen stand ich früher auf, gab mir Mühe mit meinen
Augenbrauen, schminkte sogar meine untere Gesichtshälfte und zog meine
beste Maske an.
Am Bahnsteig stand schon S-Bahn-Bae, lächelte mich mit seinen Augen an und
nickte. Ich rastete innerlich aus und stieg vor lauter Nervosität in einen
anderen Waggon. Fast hätte ich meine Station verpasst. Wenn mir jemand
letztes Jahr gesagt hätte, dass ich mich mal in die obere Gesichtshälfte
eines Fremden aus der S-Bahn verknallen würde, hätte ich gelacht.
17 Jul 2020
## LINKS
[1] /Unzuverlaessig-und-verpeilt/!5683541
[2] /Kolumne-Liebeserklaerung/!5608266
## AUTOREN
Anna Dushime
## TAGS
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Black Lives Matter
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