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# taz.de -- Ex-Minister über Israels Annexionspläne: „Trumps Plan ist idiot…
> Wenn Israel einen Teil des Westjordanlands annektiert, sei die
> Anerkennung des palästinensischen Staates an der Zeit, sagt Ex-Minister
> Jossi Beilin.
Bild: Eine Mauer trennt die Stadt Abu Dis von Jerusalem
taz: Herr Beilin, möglicherweise wird Israels Regierung zum Stichtag 1.
Juli Teile des Westjordanlands annektieren. Der Begriff Frieden hat in der
israelischen Kultur lange eine zentrale Rolle gespielt, heute scheint das
Wort eine negative Bedeutung bekommen zu haben.
Jossi Beilin: Das glaube ich nicht. Wenn man sich die öffentlichen
Meinungsumfragen anschaut, dann ist es richtig, dass Menschen vor 25 Jahren
Frieden noch für eine realistische Hoffnung hielten. Heute sind sie viel
pessimistischer. Aber es ist nicht so, dass Frieden an sich zu einem
schlechten Wort geworden wäre. Wäre es so, dann hätte [1][Trump seinen
idiotischen Plan] nicht „von Frieden zu Wohlstand“ genannt.
Trump hat einen merkwürdiger Friedensplan vorgelegt. Die Verhandlungen
wurden ohne Beteiligung der Palästinenser*innen geführt. Der Plan
beinhaltet auf unklare Weise die Annexion von Teilen des Westjordanlands.
Auf dem Rest des Gebiets, einem völlig zerlöcherten Gebiet im
Westjordanland, wird den Palästinenser*innen unter unmöglich zu
akzeptierenden Konditionen ein eigener, aber nicht souveräner Staat
angeboten.
Dieser Plan hätte nie auf den Tisch gelegt werden dürfen. Der Plan hat
keinen Friedensinhalt, aber in ihm werden all die Worte benutzt, die in den
letzten Jahren im Zusammenhang mit der Zwei-Staaten-Lösung geschaffen
wurden: Landtausch, Hauptstadt des palästinensischen Staates im so
genannten al-Quds …
Die israelische Hauptstadt auf einem Teil des Jerusalemer Gebiets würde
also weiterhin Jerusalem heißen und der palästinensische Teil al-Quds …
… nur haben sich die Begriffe völlig ihrer ursprünglichen Bedeutung
entleert. Wenn man sich den Trump-Plan durchliest, wird deutlich, dass er
die gleichen Prinzipien wie etwa die Clinton-Parameter und die Genfer
Initiative verwendet, aber dies sehr knauserig gegenüber den
Palästinensern.
Die Clinton-Parameter sind Richtlinien für eine permanente
Friedensvereinbarung, die 2000 nach dem Scheitern von Camp David von dem
damaligen amerikanischen Präsidenten Bill Clinton vorgeschlagen wurden. Die
Genfer Initiative haben Sie gemeinsam mit dem palästinensischen Politiker
Jassir Abed Rabbo gegründet, auch dabei geht es um eine dauerhafte
Friedenslösung.
Ja, aber David Friedman, der lächerliche amerikanische Botschafter in
Israel, der eigentlich der Botschafter der Siedler ist und die rechte Hand
Netanjahus, hat etwas vorgeschlagen, das Israel niemals gefordert hat.
Netanjahu hat all die Jahre von strategischen Grenzen am Jordanfluss
gesprochen, seit 40 Jahren ist Israel dort präsent, trotzdem hat Netanjahu
niemals Annexion vorgeschlagen. Und plötzlich wird es so eine wichtige
Sache. Das macht keinen Sinn, besonders wenn man bedenkt, dass wir seit
1994 nach Osten keine Frontlinie haben wegen des Friedensvertrags mit
Jordanien.
Warum, glauben Sie, hat Trump es vorgeschlagen?
Ich glaube, Trump wollte etwas Großes tun. Wenn nicht Frieden mit
Nordkorea, dann vielleicht Frieden zwischen Israel und den Palästinensern.
Und wenn nicht Frieden, dann irgendwas für Israel. Womit er auch seine
evangelikalen Unterstützer bedient. Netanjahu ist intelligenter, er nutzt
Trump als Möglichkeit und sagt: „Es gibt eine historische Chance.“ Trump
sagt: „Du willst 30 Prozent des Westjordanlands annektieren? Kein Problem.
Wir sind hier im Selbstbedienungsladen.“
Glauben Sie, dass [2][Netanjahu mit seiner Ankündigung Ernst machen wird]?
Er hat sich selber in eine Situation gebracht, aus der er kaum noch
herauskommt. Selbst wenn er im tiefen Innern wissen mag, dass es nicht so
weise ist, es zu tun. Vor allem, wenn man die Risiken in Betracht zieht.
Ein Risiko ist das demografische. Wenn wir anfangen, das Westjordanland zu
annektieren, werden wir im Handumdrehen eine jüdische Minderheit haben, die
eine arabische Mehrheit beherrscht, in Israel, in Gaza und im
Westjordanland. Wenn irgendjemand sagen will, das sei keine Apartheid, ist
das in Ordnung, aber es wird eine Form von Apartheid sein. Was bisher noch
nicht der Fall ist. Die anderen Risiken sind unklar. Wie reagiert die
internationale Staatengemeinschaft? Wird es zu Gewaltausbrüchen kommen?
Wie geht es Ihnen mit dem Gedanken an eine Annexion?
Schrecklich. Warum brauchen wir das? Keine der bisherigen Regierungen hat
von Annexion gesprochen, nicht einmal die sogenannten „Falken“ Menachem
Begin, Ariel Scharon, Jitzchak Schamir.
Israelische Ministerpräsidenten, die sich am rechten Rand bewegten …
Sie wussten, dass es nicht nötig ist. Und auch, weil einige von ihnen
glauben, dass es irgendwann eine Lösung geben wird. Aber auch die Annexion
von Jerusalem 1967, inmitten der euphorischen Stimmung nach dem
Sechstagekrieg 1967, war eine große Übertreibung. Man konnte verstehen,
dass Israel einen Quadratkilometer der Altstadt annektierte. Aber siebzig
Quadratkilometer zu annektieren, mit 28 arabischen Dörfern, die nichts mit
Jerusalem zu tun hatten, nur weil es möglich war …
In der EU wird derzeit hitzig diskutiert, wie eine Reaktion auf eine
Annexion aussehen sollte. Was würden Sie der EU nahelegen?
Erstens: Die EU ist nicht präsent genug. In Israel herrscht die Ansicht,
dass das Thema nicht auf ihrer Agenda ist und nur Lippenbekenntnisse
kommen. Abgesehen von einem Besuch von Außenminister Heiko Maas in Israel,
bei dem er die Palästinenser*innen nicht persönlich getroffen hat, sollte
eine Delegation der Außenminister in die Region kommen und mit den
Jordaniern, den Palästinenser*innen und den Israelis sprechen. Zweitens:
Ich kämpfe gegen den BDS, aber wenn es zu einer solchen verderblichen
Entscheidung des Staates Israel kommt, einseitig einen Teil des
Territoriums zu annektieren und das Interimsabkommen mit den Palästinensern
zu brechen, dann ist vielleicht eine Anerkennung des palästinensischen
Staates an der Zeit. Denn dann wird die Landnahme als Annexion eines
Gebiets wahrgenommen, das einem anderen Staat gehört. Die EU als solche
wird nicht Palästina anerkennen, aber einzelne Mitgliedsstaaten können dies
tun.
Wie optimistisch sind Sie, dass es im Nahen Osten einmal Frieden geben
wird?
Wäre ich Pessimist, hätte ich die Friedensfrage nie angefasst. Aber die
Hauptfrage ist: Machen wir das Richtige, um Frieden voranzutreiben, oder
nicht? Frieden passiert nicht von allein. Es braucht genügend Leute, die
für Frieden kämpfen wollen, und es braucht Anführer, die bereit sein
müssen, ermordet zu werden. Aber es gibt keinen Grund, dass es keinen
Frieden geben sollte, wir haben einen langen Weg hinter uns, Lösungen zu
finden. Wir haben einige Richtlinien und wir wissen genau, wohin wir gehen
müssen. Nicht mit dem idiotischen Trump-Plan. Sondern mit den
Clinton-Parametern und der Genfer Initiative.
30 Jun 2020
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## AUTOREN
Judith Poppe
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Schwerpunkt Nahost-Konflikt
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