| # taz.de -- Blick in Berliner Proberaum: In der Übung bleiben | |
| > Jetzt kann es lauter werden hier: In den Räumen vom Castalian Spring wird | |
| > nach dem Corona-Lockdown wieder geprobt. Wofür, weiß aber keiner so | |
| > genau. | |
| Bild: Hier geht es um die Probe aufs Exempel: Üben, damit es später auf der B… | |
| Durch ein großes Stahltor gelangt man in den Hinterhof der Schulzendorfer | |
| Straße 24 in Berlin-Mitte. Auf der Klingel am Eingang steht „Castalian | |
| Spring“, versteckt zwischen einem Dutzend Familiennamen. Wer hier läutet, | |
| wird mit einem freudigen „Hello!“ aus der Gegensprechanlage begrüßt. | |
| Die Stimme gehört zu Maksim Kulsha, dem Betreiber der Proberäume, die | |
| verborgen am Ende des Hofes liegen. Fast jeden Tag sitzt er dort bis in den | |
| späten Abend und pflegt Equipment, nimmt Buchungen entgegen oder tauscht | |
| sich mit den Musikerinnen und Musikern aus, die seine Räume nutzen. Möglich | |
| ist das erst wieder seit Anfang Mai, und ganz beim Alten sind die Dinge | |
| hier noch lange nicht. | |
| Im Castalian Spring mietet man sich stundenweise ein und probt zum Beispiel | |
| für Konzerte – die derzeit allerdings noch keinen Termin haben, denn die | |
| Clubs zählen zu den großen Verlierern der Coronapandemie und bleiben bis | |
| auf Weiteres geschlossen. Auch vom großen Festivalsommer können die Bands | |
| hier erst mal nur träumen. Das Proben bleibt ein Symbol des guten Willens. | |
| Maksim Kulshas Büro ist lediglich die Eingangshalle eines ehemaligen | |
| Ersatzteilhandels für Autos. Von ihr führen eine Handvoll Türen in die | |
| schallisolierten Proberäume, aus denen nur noch dumpf Melodien zu hören | |
| sind. Der gebürtige Weißrusse sitzt hinter einem schwarzen Holztisch | |
| zwischen zahllosen Instrumentenkabeln, Gitarren, Platten und Stickern. An | |
| der Wand steht ein Piano bereit zur Ausleihe. Ein kleiner Kühlschrank surrt | |
| in der Ecke und liefert von Energy-Drinks bis Bier alles, was Musikerherzen | |
| höher schlagen lässt. | |
| ## Eine Schnapsidee | |
| Als Kulsha die Räume 2017 mit seinem Freund Oleg Domanchuk eröffnen konnte, | |
| blickten die beiden auf das Ergebnis einer buchstäblichen Schnapsidee. Beim | |
| gemeinsamen Trinken beschlossen sie, nach Berlin zu ziehen und ein Studio | |
| zu bauen. Proberäume sollten es sein. „Es hat drei Jahre gedauert, bis wir | |
| eröffnen konnten“, erzählt Kulsha. „Wir hatten nur diese große Halle | |
| angemietet, ohne irgendwelche Räume darin. Die mussten wir erst bauen.“ | |
| Anfangs ging es recht langsam voran für das Castalian Spring. Im ersten | |
| Monat mietete sich nur ein einziger Solokünstler für eine Stunde ein. | |
| Danach stiegen die Buchungen immer weiter an. Die deutsche Hauptstadt ist | |
| attraktiv für Musiker, das war Maksim Kulsha klar. „Außerdem gibt es hier | |
| nicht so viele gute Möglichkeiten zu proben“, sagt er. Mittlerweile war | |
| auch schon musikalische Prominenz wie die Garagenrocker The Fuzztones oder | |
| die [1][kanadische Sängerin Peaches] bei ihm zu Gast. | |
| Als er am 16. März das Castalian Spring aufgrund der verhängten Maßnahmen | |
| zur Pandemieeindämmung schließen musste, war noch nicht klar, wie es für | |
| das junge Studio weitergehen sollte. Wie viele Beschäftigte im | |
| Kulturbetrieb hinterließ ihn die Situation zunächst ratlos: „Ich wusste | |
| nicht, was ich machen soll. Wir sind ja auch nur eine Art Start-up“, | |
| erklärt er. „Wir waren finanziell nicht auf so eine Situation vorbereitet. | |
| Das Geld, das wir verdienen, investieren wir in neues Equipment, um die | |
| Qualität der Proberäume zu verbessern.“ | |
| Unterstützung erhielt das Castalian Spring schließlich aus dem | |
| Soforthilfeprogramm für Kleinbetriebe. Rund 3.000 Euro wurden außerdem von | |
| Musikern gespendet, die normalerweise dort spielen. | |
| Mittlerweile erholt sich die umgebaute Autowerkstatt so langsam von dem | |
| Schock. Seit dem 2. Mai dürfen Solokünstler und Duos wieder proben. Zwei | |
| Wochen später kommen auch die ersten Bands langsam zurück. | |
| Im Eingangsbereich steht neben dem Holzschreibtisch jetzt auch ein | |
| Kleiderständer. Weiße T-Shirts mit verschiedenen Aufdrucken stehen zum | |
| Verkauf und sollen das Castalian Spring unterstützen. Auch Künstler und | |
| Bands dürfen ihr Merchandise hier anbieten. Viel verdienen sie damit nicht, | |
| aber immerhin etwas. | |
| In einer Holzkiste liegt das neue Album von Kulshas Post-Punk-Band Super | |
| Besse. Die Tour, die er dieses Jahr spielen wollte, wurde verschoben. Ob | |
| die nächsten jetzt für den Herbst geplanten Konzerte stattfinden werden, | |
| kann er nicht mit Sicherheit sagen. Im Gegensatz zu anderen professionellen | |
| Musikern probt er aber trotzdem hin und wieder: „Viele Bands kommen gerade | |
| gar nicht, weil keine Konzerte in Aussicht sind. Im Moment proben eher die | |
| Hobbymusiker und Semiprofessionellen. Diejenigen, die das aus Spaß machen.“ | |
| In der Tat sind die Buchungen für die Räume des Castalian Spring noch nicht | |
| wieder auf dem Niveau der Monate vor der Pandemie. In der Woche kommen | |
| circa 30 bis 40 Künstler. Zuvor waren es bis zu 60, die Abende und | |
| Wochenenden ausgebucht. Kulsha kümmert sich darum, dass die Musiker ihn | |
| ohne Bedenken besuchen können. Jeden Morgen reinigt er alle Räume, das Bad | |
| und den Eingangsbereich, bevor er öffnet. An seinem Tisch kann man neben | |
| Saiten und Plektren jetzt auch Desinfektionsmittel bekommen. In den Studios | |
| gilt eine maximale Personenanzahl, und die gängigen Abstandsregeln greifen | |
| auch hier. Viele der Musiker tragen Maske, auch die Sänger. Manche können | |
| das aber nicht: „Beim Singen kann man damit nur schwer atmen“, sagt Kulsha. | |
| Nach jeder Probe reinigt er das Equipment. Er nimmt sich alles vor, das die | |
| Musiker berühren: Verstärker, Mixer, Stative und Türklinken. „Wir haben | |
| hier Dutzende Mikrofonköpfe herumliegen. Die kann ich nach jeder Probe | |
| auswechseln.“ | |
| Einer der Musiker, die mittlerweile wieder herkommen, ist Victor | |
| Bratslavsky. Er ist froh, wieder proben zu können. Angst hat er dabei | |
| nicht. Im Gegenteil: Seine Band God Owes Me Money durfte gerade eben wieder | |
| live spielen – zum ersten Mal seit März. Beim Wettbewerb „Local Heroes“ | |
| trat sie gegen fünf andere Gruppen an. Eine Jury und das Publikum kürten im | |
| Anschluss den Sieger. Das Novum: Niemand kommt persönlich, um die Band | |
| spielen zu sehen. Niemand klatscht und niemand tanzt, zumindest nicht vor | |
| der Bühne. Das Konzert wurde online übertragen und war live auf dem | |
| Streamingportal Twitch abrufbar. | |
| Nur durch strenge Auflagen konnten die Bands überhaupt auftreten. „Jede | |
| Gruppe bekommt einen eigenen Tisch. Wir dürfen keinen Kontakt zu den | |
| anderen haben“, sagt Victor vor dem Auftritt. Um zu vermeiden, dass die | |
| Musiker zwischendurch zum nächsten Imbiss laufen, wurde sogar Essen | |
| bestellt. | |
| Von den Künstlern, die aktuell im Castalian Spring proben, gibt es nur | |
| wenige, die wissen, wie es weitergehen soll. Auch Onlinekonzerte sind nur | |
| eine Übergangslösung. Livepublikum und Interaktion können sie nicht | |
| ersetzen. Bis Maksim Kulsha wieder auf die Bühne kann, wird wahrscheinlich | |
| noch einige Zeit vergehen. Neuigkeiten vom Booking gibt es nicht. „Wir | |
| vermissen die Auftritte und das Reisen“, sagt er. | |
| Für den Moment heißt es, geduldig weiter zu proben. Im Castalian Spring | |
| kann man das zumindest wieder bei voller Lautstärke. | |
| 28 Jun 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Saladin Salem | |
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