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# taz.de -- Nach dem Debakel um Kemmerich-Wahl: Großbaustelle Thüringen-CDU
> Nach monatelangen Turbulenzen ist in Thüringens Politik endlich Ruhe
> eingekehrt. Nur die Christdemokraten streiten sich weiter.
Bild: Bald CDU-Spitzenkandidat in Thüringen? Der ehemalige Ostbeauftragte Chri…
Dresden taz | Mit der Wahl des Linken Bodo Ramelow zum Ministerpräsidenten
Anfang März scheint Thüringen, das [1][nach der Landtagswahl im vergangenen
Herbst] zeitweise unregierbar erschien, erst einmal befriedet. Ruhe kann
insbesondere auch der Wahlverlierer CDU brauchen – und keinen Streit um
Kurs und Führungspersonal.
Nur: Genau solch einer schwelt aktuell. Ein Anfang Juni verschicktes
Schreiben der früheren Ministerpräsidenten Bernhard Vogel und Dieter
Althaus an alle Parteimitglieder offenbart dies. Darin gaben beide, fast
schon wie Pressesprecher, eine wichtige Vorentscheidung des innersten
Parteizirkels bekannt: und zwar, dass sie den stellvertretenden
Landesvorsitzende Christian Hirte als künftigen Parteivorsitzenden
favorisieren. Seinem Konkurrenten Generalsekretär Raymond Walk soll nur der
Vizeposten bleiben.
Dies ist nur eine von mehreren Baustellen der Thüringen-CDU. Bei der
Landtagswahl fielen die früher allein regierenden Christdemokraten auf
historische schlechte 21,7 Prozent zurück. Am 5. Februar wählte ein
Großteil der 21-köpfigen Landtagsfraktion im dritten Wahlgang gemeinsam mit
der AfD den FDP-Kandidaten Thomas Kemmerich zum
Kurzzeit-Ministerpräsidenten. In den danach hochschlagenden Wellen ging der
Landes- und Fraktionsvorsitzende Mike Mohring unter. Sein Lavieren zwischen
den Parteiflügeln und seine vergeblichen Versuche, doch noch eine fiktive
regierungsfähige „bürgerliche Mitte“ zu retten, kosteten ihn die
Spitzenämter.
Gegenwärtig hat die Partei die Quasi-Tolerierung der rot-rot-grünen
Minderheitsregierung auch vor eigenen Mitgliedern zu verteidigen. Sie muss
sich dabei zugleich als „konstruktive Opposition“ profilieren, um bei den
Neuwahlen im April 2021 aus dem Umfragetief herauszufinden. Welches Gesicht
eines Spitzenkandidaten dann von den Wahlplakaten lächeln wird, ist ebenso
offen wie der Posten des Landesvorsitzenden.
## Kleinstaaterei und Partikularinteressen
Erst mit dem früheren Generalsekretär und Professor Mario Voigt an der
Fraktionsspitze und unter dem Eindruck des Kemmerich-Desasters als
geschäftsführend untätige Ein-Mann-Regierung wurde im Februar der in der
Bundesrepublik einmalige „Stabilitätsmechanismus“ möglich. Heißt: Die CDU
bringt sich einerseits konstruktiv in rot-rot-grüne Projekte ein, kann aber
zugleich ihrer Meinung nach ideologiebehaftete Vorhaben der
Minderheitsregierung verhindern.
Auf dieser Basis ermöglichte die CDU durch ihre Enthaltung im dritten
Wahlgang auch die Wiederwahl Bodo Ramelows zum Ministerpräsidenten. Was man
auch einen Burgfrieden vor allem in der Landtagsfraktion nennen könnte,
bezeichnet Mario Voigt als „Mannschaftsspiel, zu dem wir zurückgefunden
haben“.
Doch eine Zerreißprobe um den voraussichtlich im September neu zu wählenden
Landesvorsitzenden ist soeben unter Vermittlung der Altministerpräsidenten
gerade noch abgewendet worden. Eine zweite Sollbruchstelle droht, wenn nach
Verabschiedung des Krisenhaushalts 2021 gegen Jahresende der inhaltliche
Kurs und der Spitzenkandidat für 2021 festzulegen sind.
Denn der Machterhalt als einigendes Band ist in einer sehr heterogenen
Landes-CDU entfallen. Nirgendwo sonst sind die Kleinstaaterei und damit
auch die Partikularinteressen von Provinzfürsten so ausgeprägt wie im
kleinen Thüringen mit seinen 17 Landkreisen. Hinzu kommen die üblichen
Lager und Anhängergruppen gewesener oder künftiger Partei- und
Regierungsspitzen.
## Entschieden hat sich Hirte noch nicht
Einen Tag vor der Landesvorstandssitzung Mitte März tauchte plötzlich ein
Bewerber für den Landesvorsitz auf, der gerade erst einen empfindlichen
Knick in seiner ihm offenkundig sehr wichtigen Karriere hatte hinnehmen
müssen: Christian Hirte. Der Mann also, der zuvor von der Kanzlerin als
Wirtschaftsstaatssekretär und Beauftragter für die Ostländer entlassen
worden war.
Vor allem die SPD hatte darauf gedrängt, nachdem Hirte im Februar Kemmerich
zu seiner Wahl mithilfe der AfD gratuliert hatte. In Thüringen gehörten
Vogel, Althaus und die ehemalige Landtagspräsidentin Birgit Diezel zu
seinen Fürsprechern. Das Virus verhinderte, dass bereits im April auf einem
Parteitag die von Hirte schnell gewünschte Entscheidung fiel.
Jetzt hat Hirte in Raymond Walk, einem ehemaligen Polizeidirektor im
Innenministerium und jetzigen CDU-Generalsekretär, zwar keinen offiziellen
Gegenkandidaten mehr, aber weiterhin einen stillen Gegenspieler. Befriedet
ist die Landespartei nicht wirklich. Hirte sagte zwar im taz-Gespräch,
„dass meine Position im Landesverband eine etwas andere ist als seine“.
Walk aber zweifelt gerade diese breite Unterstützung an. Nebenan in Sachsen
sieht die CDU in ihm auch nicht gerade den großen Thüringer
Hoffnungsträger.
Hirte begrüßt zwar, dass die CDU sich im einmaligen Arrangement mit der
Minderheitskoalition „nicht komplett verweigert“. Aber er weilte in den
entscheidenden Monaten einfach nicht in Thüringen, war am
„Stabilitätsmechanismus“ nicht beteiligt. Vorgeworfen wird ihm auch von
Walk, dass er weiterhin sein komfortables Berliner Bundestagsmandat
behalten will. Erst wenn es um die Spitzenkandidatur zur Landtagswahl 2021
ginge, „braucht es eine klare Entscheidung“, sagt Hirte. Eine solche
Bewerbung haben derzeit weder Fraktionschef Mario Voigt noch
Generalsekretär Walk angemeldet.
## Verbindungen zum Amthor-Skandal
Innerparteiliche Konflikte aber kosten weitere Stimmenprozente. „Keine
Lagerbildung, keine Kampfkandidaturen“, beschwören Hirte wie Walk den
Parteifrieden. Mehr oder weniger zähneknirschend hat Walk, um der Einheit
willen, die Vertröstung mit dem Vizevorsitz geschluckt. „Brücken bauen“,
verkündet Hirte nach seinem vorläufigen Sieg nun – ein Indiz, dass es
weiter gärt.
Inhaltlich haben sich Walk und Hirte noch gar nicht gefetzt und sind auch
nicht klar einem Flügel zuzuordnen. Politisch erscheint Walk Kritikern und
journalistischen Beobachtern eher blass. Dem Generalsekretär gehen
Geschlossenheit und Loyalität über alles. Loyal stand er zu Mike Mohring,
teilte dessen Beschwörungen einer bürgerlichen Mitte. Derselbe Parteichef
Mohring war es aber auch, der dank seiner guten Berlin-Beziehungen
Christian Hirte ins Amt des Staatssekretärs gehievt hatte.
Nicht allein wegen seines peinlichen Beifalls für die Kemmerich-Wahl in
Thüringen kann Hirte als konservativer gelten. Als der ehemalige
Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen in die Kritik geriet, fordert
Hirte für den „mehr Toleranz“ innerhalb der CDU. Und auch in der aktuellen
[2][Lobbyismus-Affäre um die mecklenburgische CDU-Nachwuchshoffnung Philipp
Amthor] fiel der Name Hirte. Ihn, den damaligen Wirtschaftsstaatssekretär,
hatte Amthor 2018 gemeinsam mit Vertretern des New Yorker Unternehmens
Augustus Intelligence besucht.
16 Jun 2020
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-Thueringen/!t5008288
[2] /Korruptionsvorwurf-gegen-Philipp-Amthor/!5689623
## AUTOREN
Michael Bartsch
## TAGS
CDU
Schwerpunkt Thüringen
Thomas Kemmerich
Christian Hirte
Schwerpunkt Anschlag auf Berliner Weihnachtsmarkt
Innenministerkonferenz
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