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# taz.de -- Schüler über Polizeigewahrsam: „Kurz vorm Zusammenbrechen“
> Nach der Anti-Rassismus-Demo am vergangenen Wochenende hat die Hamburger
> Polizei Minderjährige in Gewahrsam genommen. Ein Betroffener erzählt.
Bild: Auch Minderjährige dabei: Ingewahrsamnahme am Hauptbahnhof
taz: Ilyas, wie kam es, dass du als 14-Jähriger nach der
Anti-Rassismus-Demo in [1][Polizeigewahrsam] genommen wurdest?
Ilyas Türkoglu*: Ich bin mit vier Freunden etwa eine Stunde vor den
polizeilichen Konflikten auf den Rathausmarkt gekommen. Dann sind die
Polizisten auf einmal ohne Vorwarnung auf die Leute zugestürmt, zumindest
habe ich keine mitbekommen. Wir wurden in die Mönckebergstraße gescheucht,
zurückgedrängt und dann hat sich ein Polizist auf mich geschmissen.
Wie hast du reagiert?
Ich dachte: Wow, das ist ein bisschen gefährlich, und wollte mit meinen
Freunden nur noch die Mönckebergstraße zum Hauptbahnhof hochgehen und nach
Hause fahren. Dann hat die Polizei aber alles abgeriegelt und wir wurden
mit 30, 40 Leuten auf die Brücke neben dem Hauptbahnhof gedrängt. Wir haben
gedacht: Vielleicht haben sie das nur gemacht, um die Menge aufzulösen. Wir
wollten dann weitergehen und über die andere Seite zum Hauptbahnhof gehen.
Hattet ihr etwas davon mitbekommen, dass [2][die Demo] wegen der hohen
TeilnehmerInnenzahl aufgelöst worden war?
Das haben wir zu dem Zeitpunkt tatsächlich noch nicht mitbekommen. Auf dem
Rathausmarkt hatten wir gesehen, dass er sich langsam geleert hat und wir
dachten: Okay, was ist hier los? Dann sind auf einmal die Polizisten
angerückt. Auf der Brücke sind dann drei bis fünf Mannschaftswagen von
hinten gekommen und haben am Ende der Brücke abgebremst.
Und dann?
Die Polizisten sind ausgestiegen und haben sich formiert. Ein paar haben
noch versucht, durchzurennen, ich auch, aber als ich im Sprung war, hat
mich ein Polizist aus der Luft gepackt und auf den Boden geworfen. Dann
haben sie uns an alle an eine Wand geschmissen und wir mussten 20 Minuten
dort stehen. Dann wurden wir kontrolliert, ob wir Drogen oder Waffen dabei
hatten. Wenn wir nichts Verbotenes dabei hatten, durften wir uns umdrehen.
Jeder, der das vorher tat, wurde direkt angeschrien.
Hast du gefragt, warum man euch festgehalten hat?
Wir haben die Polizisten gefragt, was los ist, und es hat den Anschein
gemacht, dass sie selbst nicht die größte Ahnung hatten, was jetzt
passieren würde. Sie meinten, sie warten auf Anweisung. Dann wurden die
Daten aufgenommen, zumindest meine, weil ich meine HVV-Karte genommen habe,
und dann wurden wir noch mal kontrolliert. Wir standen sicher anderthalb
Stunden, viele waren kurz vorm Zusammenbrechen. Dann wurden wir in zwei
Busse gepackt mit ganz vielen anderen Jugendlichen.
Konntet ihr eure Eltern kontaktieren?
Bis dahin nicht. Wir sind dann nach Billstedt gebracht worden, wo wir noch
einmal ein bis eineinhalb Stunden im Bus gesessen haben. Um 23 Uhr durfte
ich meine Eltern anrufen, weil ich gesagt habe, dass ich 14 bin und um 22
Uhr zu Hause sein muss. Die anderen durften ihre Eltern nicht kontaktieren.
Wie alt waren die?
Ich denke 14 bis 16 Jahre. Dabei hat jeder Minderjährige ein Recht darauf,
der in Gewahrsam genommen wird, einen Dritten zu kontaktieren. Wir wurden
in einen Raum gebracht, mussten unterschreiben, dass unsere Sachen vorerst
einkassiert worden waren, ich musste meinen Gürtel abgeben, meine Daten
wurden überprüft, ich musste die Nummer meiner Eltern angeben. Ich wurde in
eine Sammelzelle gebracht, mein Freund, der 15 ist, in eine Einzelzelle.
Irgendwann kam ein Beamter, hat mich nach vorne gebeten, da standen meine
Schwester und ihr Freund und haben mich abgeholt.
Was war offiziell der Grund für deine Ingewahrsamnahme?
Das haben wir nicht so genau mitbekommen. Als der Polizist meine Eltern
anrief, meinte er, es besteht der Verdacht, wir hätten uns einer
linksextremen Gruppierung angeschlossen. Dabei waren wir in der
Mönckebergstraße zusammengedrängt worden. Der Beamte meinte, falls auf den
Videos klar würde, dass wir Blödsinn gemacht haben, Flaschen geworfen oder
randaliert haben, eine Anzeige auf uns zukäme.
Hast du etwas davon getan?
Ich habe nichts gemacht, ich habe auch keinen Grund, etwas zu machen. Was
andere gemacht haben, weiß ich nicht so genau. Ich bin einfach nur die
Straße hochgelaufen. Was haben Minderjährige, die nichts gemacht haben, in
einer Zelle zu suchen?
Die Polizei würde vermutlich sagen, dass sich erst zeigen muss, was sie
getan haben.
Ob da jetzt 14-Jährige Flaschen geworfen haben, weiß ich nicht. Trotzdem
finde ich es widerlich, dass sie Leute auf Falschverdacht einfach
mitgenommen haben. Sie sind auch nicht mit dem Gedanken da heran gegangen:
Hey, der ist minderjährig, vielleicht sollten wir da etwas lockerer
herangehen. Wir wurden nicht wirklich gut behandelt. Was ich ekelhaft fand,
war, dass auch, nachdem sie unsere Daten hatten, sie uns weiter so
behandelt haben. Die meisten, zumindest ich, sind erst um ein Uhr nachts
rausgekommen.
Hast du schon einmal schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht?
Ich war schon vorher auf Demos, wo es polizeiliche Konflikte gab, aber ich
war einfach ein friedlicher Typ, der da war. Und wenn ich auf einer Demo
gegen Rassismus bin, will ich gegen Rassismus protestieren und nicht die
Polizei provozieren.
*Name geändert
13 Jun 2020
## LINKS
[1] /Antirassimus-Demo-in-Hamburg/!5687842
[2] /Black-Lives-Matter-Demonstrationen/!5687715
## AUTOREN
Friederike Gräff
## TAGS
Polizei Hamburg
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Demonstration
Bürgerrechte
Antirassismus
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Antirassismus
Black Lives Matter
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