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# taz.de -- Angekündigte Anzeige wegen taz-Kolumne: Seehofer lenkt ab
> Innenminister Horst Seehofer will ein_e taz-Autor_in anzeigen. Viele
> Bundespolitiker*innen finden das unverhältnismäßig.
Bild: Hat es nicht so mit der Pressefreiheit: Horst Seehofer
Berlin/Stuttgart taz | Für den Bundesinnenminister ist die Presse- und
Meinungsfreiheit offenbar eine komplexe Angelegenheit. Horst Seehofer (CSU)
jedenfalls sagt am Montag in Stuttgart auf die Frage, ob er wie angekündigt
[1][Strafanzeige gegen taz-Autor*in Hengameh Yaghoobifarah] stellen werde,
er wolle den Fall noch mal im Ministerium besprechen. Er sehe da eine
„schwierige Schnittstelle zwischen [2][Pressefreiheit und Strafrecht]“.
Seehofer ist nach Baden-Württemberg gekommen, um sich vor Ort über die Lage
nach den Krawallen vom Wochenende zu informieren.
Nur eine knappe Stunde zuvor hatte in Berlin ein Ministeriumssprecher
mehrmals betont, dass noch nichts entschieden sei. In der
Bundespressekonferenz fragten JournalistInnen hartnäckig zu Seehofers
Beweggründen. Der hatte via Bild-Zeitung angekündigt, am Montag „als
Bundesinnenminister Strafanzeige gegen die Kolumnistin wegen des
unsäglichen Artikels in der taz über die Polizei“ zu stellen. Zugleich
stellte er einen Zusammenhang zwischen Yaghoobifarahs Text und den
Gewaltexzessen in Stuttgart her: „Aus Worten folgen immer auch Taten.“
Die Bundeskanzlerin mag das anders bewerten. Regierungssprecher Steffen
Seibert sagte in der Regierungspressekonferenz, Angela Merkel (CDU) sei mit
Horst Seehofer über den Fall „im Gespräch“. Über den Inhalt oder Merkels
Haltung zu der Anzeige wollte Seibert aber keine Auskunft geben.
Viele Bundespolitiker*innen bewerten Seehofers angekündigte Strafanzeige
gegen die Autor*in der taz als unverhältnismäßig. Andere, etwa die
Koalitionspartnerin SPD, halten sich mit Kritik an Seehofer eher zurück.
Man will offenbar nach Stuttgart und der Aufregung um Saskia Eskens
Rassismus-Interview keinen Streit über die Rolle der Polizei. Die
SPD-Spitze verweist lieber auf die SPD-Fraktion im Bundestag.
## Steilvorlage für die AfD?
Am deutlichsten wird dort Uli Grötsch, SPD-Innenexperte und Polizist. „Ich
halte den Inhalt der Kolumne für total daneben“, sagt Grötsch der taz.
„Trotzdem wäre eine Strafanzeige sicherlich der falsche Weg und
kontraproduktiv.“
Die Opposition kritisiert Seehofers Strafanzeige schärfer. Renate Künast,
grüne Bundestagsabgeordnete, sagt der taz, dass Seehofer emotionalisiere,
um die Stimmung aufzuheizen.
Der FDP-Rechtspolitiker Konstantin Kuhle hält Seehofers Anzeige für „sehr
ärgerlich“. „Wir diskutieren nicht mehr über Rassismus oder Gewalt gegen
die Polizei, sondern über diese Strafanzeige“, so der Liberale zur taz. Die
Verbindung zu den Ausschreitungen in Stuttgart, die der Bundesinnenminister
ziehe, sei verquer. „Die Leute haben Polizisten in Stuttgart nicht in den
Rücken getreten, weil in der taz eine satirische Kolumne stand.“ Auch dass
Merkel möglicherweise noch einmal mit Seehofer über eine Strafanzeige reden
könnte, hält Kuhle für fatal. „Jetzt kann die AfD behaupten, dass Merkel
die Strafanzeige verhindert hat, die unsere Polizei schützen sollte.“
Dabei, so Künast und Kuhle einmütig, sei es ohnehin unwahrscheinlich, dass
eine Strafanzeige gegen die taz wegen der Kolumne je vor Gericht verhandelt
werden werde. Diese würde „sich gegen die Pressefreiheit richten und ist
deshalb ein Fehler“, so Kuhle. Doch wegen der Pressefreiheit werde kaum
„ein Staatsanwalt Anklage erheben.“ Die Strafanzeige „würde wahrscheinli…
kein Richter zu Gesicht bekommen“.
## Seehofer gibt den starken Mann
Aber gesagt ist gesagt. Wird Seehofer Anzeige erstatten? In Stuttgart
versucht der Bundesinnenminister am Montagmittag, eindrückliche Bilder der
Stärke herzustellen. Gemeinsam mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann
(Grüne), Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU) und Oberbürgermeister
Fritz Kuhn (Grüne) geht er eng gedrängt durch die Königstraße, wo am
Wochenende die Schaufenster klirrten. Es sind nur ein paar Schritte, die
die vier Politiker in die Kampfzone wagen.
Da die Stuttgarter Müllbeseitigung offenbar ihren schwäbischen Ruf zu
verteidigen hat, sind schon fast alle Schäden beseitigt. Eigens für die
Pressefotos hat man deshalb einen Anhänger mit Bruchglas vorgefahren. Dann
beziehen die Minister Stellung vor dem wahrscheinlich einzigen Sexshop in
dieser Lage und geben ihre Statements ab. Sowohl Seehofer als auch
Kretschmann sprechen direkt die anwesenden Polizeibeamten an. Seehofer
betont: „Wir stehen hinter unserer Polizei. Wir müssen die schützen, die
uns schützen.“ Und er sagt, Verunglimpfungen könnten in so einer
Auseinandersetzung genauso verletzen wie Gewalt.
Polizeibeamte, die in der Nacht dabei waren, können die Geschehnisse und
die Gewalttäter vom Samstag genauer einordnen. Der stellvertretende
Polizeivizepräsident Thomas Berger sagt am Rande, es habe schon an den
letzten Wochenenden ein „Knistern am Eckensee gegeben“. Da habe nur ein
Funke gefehlt.
Dort, am oberen Ende des Schlossgartens, nahe der Einkaufsmeile, kam es
Samstagnacht nach Darstellung der Polizei zu einer Kontrolle wegen
Drogenbesitzes. Im Sommer treffen sich hier Hunderte Jugendliche, mischen
sich mit Partyvolk und Operngängern. Zurück bleiben nachts jene, die noch
zu jung für die Clubs in der Innenstadt sind, und besorgen sich Alkohol aus
Läden und Tankstellen in der Nähe. Am Samstag geriet die Situation außer
Kontrolle. Ein Mob von etwa 400 fast ausschließlich männlichen Jugendlichen
sei dann die Königsstraße hinaufgezogen, habe sich Schlachten mit der
Polizei geliefert und Handyläden und Juweliere geplündert.
Die Festgenommenen seien meist zwischen 14 und 16 Jahren alt gewesen,
berichtet die Polizei. Auch die mit mutmaßlichem Migrationshintergrund
hätten bestens Deutsch gesprochen. „Die meisten von denen waren keine
Unbekannten für uns“, sagt ein Beamter, der mehrere Festnahmen durchgeführt
hat. Ob es Absprachen unter den Tätern gab, wird noch ermittelt. Insgesamt
rechnet die Polizei noch mit weiteren Festnahmen. Bei festgenommenen
Randalierern seien Sturmhauben und Farbbeutel gefunden worden. Berger sagt:
„Aus dem Nichts gibt es das nicht.“
22 Jun 2020
## LINKS
[1] /Innenminister-droht-der-taz-mit-Anzeige/!5696702
[2] /Verteidigung-taz-Kolumne/!5696661
## AUTOREN
Anja Maier
Stefan Reinecke
Benno Stieber
Konrad Litschko
## TAGS
taz.gazete
Schwerpunkt Pressefreiheit
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Horst Seehofer
Schwerpunkt Pressefreiheit
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