| # taz.de -- Prozess zum Lübcke-Mord: „Ich tat es aus eigenem Antrieb“ | |
| > Im Lübcke-Prozess wurde das Geständnis-Video des Angeklagten gezeigt. Er | |
| > räumte die Tat dort ein – widerrief die Aussage später aber. | |
| Bild: Stephan Ernst nimmt sich im Gerichtssaal des Oberlandesgerichts Frankfurt… | |
| Frankfurt taz | Zwei Stunden dauert das [1][juristische Geplänkel] am | |
| Donnerstag vor dem Oberlandesgericht Frankfurt, dann kann Richter Thomas | |
| Sagebiel am zweiten Prozesstag zum [2][Lübcke-Mord] den Startschuss für das | |
| wohl entscheidende Beweismittel geben: der Videovorführung vom Geständnis | |
| des Angeklagten Stephan Ernst. | |
| Die Polizei hatte den Rechtsextremisten zwei Wochen nach dem Mord an dem | |
| Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke aufgrund einer DNA-Spur am | |
| Tatort festgenommen. Dann bot der 46-Jährige den Ermittlern überraschend | |
| ein Geständnis an, auf eigenen Wunsch ohne anwaltliche Begleitung. Die | |
| Vernehmung wurde auf Video festgehalten. | |
| Im Gerichtssaal ist die Spannung greifbar, als dieses Video nun über die | |
| Leinwand flimmert. Ernst sitzt darin im roten T-Shirt an einem weißen | |
| Bürotisch und erläutert zunächst seine Abwege in die rechtsextreme | |
| gewaltbereite Szene, über die NPD, die Kampftruppe Combat 18, die | |
| Kameradschaft Kassel. Er berichtet über seine wiederholten Verurteilungen | |
| wegen gewaltsamer Übergriffe. Nach einer zweiten Haftstrafe habe er sich | |
| aus der rechten Szene gelöst, sagt er. Ernst formuliert klar, erinnert sich | |
| an viele Details und Daten, Kontakte und Aktionen. | |
| Im Gerichtssaal verfolgt der Angeklagte seine eigene Lebensbeichte | |
| mürrisch, ohne erkennbare Rührung. Eigentlich habe er nach der letzten | |
| Haftentlassung neu anfangen wollen, mit „Zweifeln an der rassischen | |
| Überlegenheit“, hört er sich im Video sagen. „Ich habe mich von diesen | |
| Leuten losgesagt, ich wollte ein normales Leben führen, meine Energie in | |
| meine berufliche Laufbahn stecken“. | |
| ## Welche Version stimmt? | |
| Die Kinder von Ernst sind zu diesem Zeitpunkt 15 und 16 Jahre alt. Er habe | |
| ihnen gesagt: „Hört auf eure Lehrer, das, was ich euch nicht vermitteln | |
| kann, können die vielleicht.“ Er sei überzeugt gewesen, „dass diese | |
| Gesellschaft der richtige Weg ist“. Als Ernst diese seine Worte nochmal | |
| hört, bricht er im Gerichtssaal in Tränen aus. Ein Vertreter der | |
| Bundesanwaltschaft hilft ihm mit Taschentüchern aus. Doch eine | |
| Verhandlungspause will der Angeklagte nicht. Er will es hinter sich | |
| bringen. | |
| In der Vernehmung schildert er auch, wie der Ausstieg aus der rechten Szene | |
| misslang. Der wegen Beihilfe mitangeklagte Markus H., ein „Kamerad“ von | |
| früher, fing zufällig als Leiharbeiter in derselben Firma an, in der Ernst | |
| arbeitet. Die beiden schließen sich einem Schützenverein an, üben erst | |
| Bogenschießen, dann mit scharfen Waffen. Sie und zwei weitere Kollegen | |
| tauschen sich politisch aus. „Überfremdung“, „Ausländerkriminalität“… | |
| die Themen. „Das hat die Tür wieder geöffnet,“ sagt Ernst. Man wollte | |
| „etwas“ machen. „Das Mindeste ist, dass wir uns bewaffnen.“ Als | |
| Vorbereitung für den „bevorstehenden Bürgerkrieg“. | |
| Die Einreisen Tausender Flüchtlinge im Jahr 2015 öffnet bei Ernst die | |
| Schleusen. „Merkel will das Land zerstören, Merkel hat das Recht | |
| gebrochen!“, das sei seine Überzeugung gewesen, sagt er den Ermittlern. Die | |
| Versammlung in Lohfelden, auf der im Herbst 2015 Walter Lübcke die | |
| Flüchtlingsaufnahmen verteidigt habe, sei zum Schlüsselerlebnis geworden. | |
| Sein Hass auf den CDU-Politiker sei stetig gewachsen. Zunächst | |
| recherchierte Ernst die Adresse, schließlich spähte er den späteren Tatort | |
| aus. In der Nacht des 2. Juni streckte er Walter Lübcke mit einem | |
| Kopfschuss nieder. | |
| Ernsts Verteidiger Frank Hannig legt Wert darauf, dass Ernst sein | |
| Geständnis später widerrief – und im Januar ein neues vorlegte. Darin | |
| [3][beschuldigte er Markus H. als wahren Mörder], man sei gemeinsam am | |
| Tatort gewesen. Die Bundesanwaltschaft glaubt dieser Version jedoch nicht. | |
| Und auch im Video des ersten aufgezeichneten Geständnisses wirkt Ernst | |
| präzise und klar. Er versucht auch nicht, die Verantwortung auf seinen | |
| früheren Kameraden abzuwälzen: „Das was ich weiter tat, habe ich in eigenem | |
| Antrieb getan,“ bekannte der Angeklagte dort vor den Ermittlern. | |
| 18 Jun 2020 | |
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| Christoph Schmidt-Lunau | |
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