# taz.de -- Infektionsschutz bei Demos: Auch Behörden tragen Verantwortung | |
> Politiker prangern fehlenden Abstand bei Black-Lives-Matter-Demos an. Ja, | |
> Schutz hat Priorität. Aber gegen Rassismus hilft auch kein Abstand. | |
Bild: Berlin, Alexanderplatz, am 6. Juni | |
Am vergangenen Wochenende demonstrierten Hunderttausende auf der ganzen | |
Welt [1][gegen Rassismus und Polizeigewalt]. Nach dem rassistischen Mord an | |
George Floyd entschieden sich auch viele Menschen in Deutschland dazu, ein | |
Zeichen zu setzen: Black Lives Matter. In Hamburg zählte die Polizei | |
14.000, in Berlin 15.000 und in München 25.000 Demonstrant*innen. Wie | |
passen diese Zahlen in eine Zeit, in der wegen einer weltweiten Pandemie | |
Menschenansammlungen eigentlich gemieden werden sollen? | |
Kritik an den Demos kam prompt, [2][meist von weißen Deutschen]: So zum | |
Beispiel vom SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach. Er sieht in den | |
Demonstrationen „ideale Super-Spreading-Events“. Sie seien „ein Sargnagel | |
für die noch bestehenden Regeln“, [3][sagte Lauterbach dem Tagesspiegel]. | |
Der Sozialdemokrat fürchte die Wirkung der Bilder von Massendemonstrationen | |
auf den Rest der Bevölkerung. | |
„Event“, „Sargnagel“ und „Rest der Bevölkerung“: Verständnis für… | |
validen Belange von nichtweißen Menschen klingt anders. | |
Aus virologischer Sicht gilt noch immer: Abstand halten, Maske tragen, | |
Menschenansammlungen meiden. Das betont auch der ausgebildete Mediziner | |
Karl Lauterbach. Doch Schwarze Menschen und People of Color können sich den | |
Luxus, nur vor Corona Angst zu haben, nicht leisten. Ihr Leben ist | |
zusätzlich durch Rassismus bedroht. Das zeigen Videos von Polizeigewalt, | |
die in den vergangenen Jahren öffentlich geteilt wurden. Die Notwendigkeit | |
der Demonstrationen zu erkennen und sie verantwortungsvoll zu ermöglichen, | |
ist das Mindeste, was Politiker*innen in diesen Tagen leisten sollten. | |
## Per Express zur Super-Spreading-Expertise | |
Die Debatte tobt derweil weiter. Es melden sich plötzlich viele Karl | |
Lauterbachs zu Wort. Diese Deutschen haben in den vergangenen drei Monaten | |
ihr Studium in Epidemiologie abgeschlossen: per Express zur | |
Super-Spreading-Expertise. Einige von ihnen vergleichen die | |
Black-Lives-Matter-Demos mit dem Verlangen junger Menschen nach Partys und | |
Konzerten. Was für eine dumme Parallele ist das denn? Als würden sich von | |
Rassismus betroffene Menschen freuen, mitten in einer Pandemie auf die | |
Straße gehen zu müssen (!), um auf die rassistische Gefahr für ihre Leben | |
aufmerksam zu machen. | |
In zu vielen Tweets, Facebook-Beiträgen und Kommentaren steht nicht der | |
Infektionsschutz im Vordergrund. Unter die berechtigte Corona-Angst mischt | |
sich zu oft eine allgemeine Verachtung gegenüber Minderheiten und die | |
Trivialisierung von Rassismus. Das ist entlarvend und zeigt nur, wie | |
wichtig die erstarkte antirassistische Bewegung ist. | |
Selbstverständlich müssen Regeln zum Schutz von Senior*innen und | |
chronisch Kranken eingehalten werden. Demonstrant*innen ohne Mundschutz, | |
mit Wegbier, Joints zwischen den Fingern, guter Stimmung und positiver | |
Energie sollten deshalb besser daheim bleiben. Sie gefährden bei | |
[4][antirassistischen Demos] nicht nur den Infektionsschutz, sie zeigen mit | |
ihrem Verhalten verletzbaren Minderheiten quasi den Mittelfinger. | |
Verantwortung tragen aber auch Landesregierungen und -behörden, in deren | |
Entscheidungsbereich das Versammlungsrecht fällt und die Konzepte für Demos | |
in Zeiten der Pandemie entwickeln müssen. Die Polizei, die am Ende diese | |
Konzepte umsetzen muss, sollte bei Demonstrationen praktisch reagieren | |
können: Wann wird ein Bereich wie abgesperrt? Wie viel Platz wird für eine | |
Demonstration im öffentlichen Raum eingeräumt? Wie werden Menschenmassen so | |
verteilt, dass der erforderliche Abstand gewahrt werden kann? Am Wochenende | |
stauten sich an polizeilichen Absperrungen in den Innenstädten von Hamburg, | |
Berlin und München Menschentrauben. Das muss sich in naher Zukunft ändern. | |
Sich lediglich um die Corona-Ansteckung Sorgen machen zu müssen, das ist | |
wahrlich ein weißes Privileg. Diese Sorgen werden hoffentlich bald für alle | |
in der Gesellschaft verschwinden, wenn ein Impfstoff gefunden ist. Gegen | |
gelernten, strukturellen und tödlichen Rassismus wird es so ein effektives | |
Gegenmittel leider auf absehbare Zeit nicht geben. Da hilft nur: | |
hartnäckiger, zielstrebiger, besser organisiert, verantwortungsvoller | |
Aktivismus mit klaren Regeln, die ihn auch in Zeiten der Pandemie | |
ermöglichen. | |
9 Jun 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Black-Lives-Matter-Proteste-in-Berlin/!5687710 | |
[2] https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.thomas-strobl-zu-demos-fehlendes-… | |
[3] https://www.tagesspiegel.de/politik/anti-rassismus-demo-in-berlin-es-war-da… | |
[4] /Black-Lives-Matter-Protest-in-Deutschland/!5687873 | |
## AUTOREN | |
Mohamed Amjahid | |
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