| # taz.de -- „Exberliner“ kämpft ums Überleben: Dinner mit der Chefredakte… | |
| > Spendenkampagne soll Berlins englischsprachiges Stadtmagazin über die | |
| > mageren Coronamonate retten. Vorbild ist die queere Zeitschrift | |
| > „Siegessäule“. | |
| Bild: Nadja Vancauwenberghe, Gründerin und Chefredakteurin vom „Exberliner�… | |
| Berlin taz | „Help Exberliner, now!“, fordert die Berliner Szenefigur | |
| Rummelsnuff in einem Video – zwar auf Englisch, aber mit hörbar deutschem | |
| Akzent. Denn seit April ist die Zeitschrift nicht mehr erschienen. Der | |
| Exberliner, Berlins englischsprachiges Stadtmagazin für Kultur, Reportage | |
| und Politik, finanziert sich nämlich maßgeblich über Werbeeinnahmen. Ein | |
| Großteil der Anzeigenkund*innen aus dem Kultur- und Veranstaltungsbereich | |
| ist durch die coronabedingte Schließung von öffentlichen Orten nun | |
| weggebrochen, dem Exberliner fehlen rund 80 Prozent des regulären | |
| Einkommens. | |
| Mit einer Spendenkampagne bittet das Stadtmagazin um finanzielle Hilfe. Als | |
| Dankeschön für Spender*innen hat das Team rund um den Exberliner eine Menge | |
| eigener Talente in den Topf geworfen: Im Angebot ist unter anderem eine | |
| Massage durch die Büroleiterin, die sich in der Not als zertifizierte | |
| Massagetherapeutin zu erkennen gab, ein persönliches Horoskop durch die | |
| ortsansässige Astrologin, eine Bootsfahrt auf der Spree sowie Kunstwerke | |
| von Sophie Iremonger, Jim Avignon und anderen Künstler*innen. Die Redaktion | |
| gibt außerdem Kurse in Journalismus, Social Media und dem Layout-Programm | |
| InDesign. | |
| Einer der Hauptpreise für 500 Euro: Ein französisches Dinner mit der | |
| Chefredakteurin und Geschäftsführerin Nadja Vancauwenberghe | |
| höchstpersönlich. „Ich weiß, das klingt jetzt nicht gerade bescheiden“, | |
| lacht die Journalistin. „Ich habe eine 17-jährige Tochter, und die findet | |
| das ‚voll peinlich‘.“ | |
| Doch das Dinner könnte unterhaltsam werden: Vancauwenberghe ist in Paris | |
| aufgewachsen und hat mehrere Jahre in Moskau gelebt, wo sie für eine | |
| Nachrichtenagentur und als verdeckte Kriegsreporterin gearbeitet hat. Das | |
| Stadtmagazin hat sie 2002 gemeinsam mit zwei Journalist*innen aus Rumänien | |
| und Großbritannien gegründet. Mittlerweile ist der Exberliner das größte | |
| englischsprachige Magazin in Deutschland, der Guardian nannte es „eines der | |
| besten Expat-Magazine in Europa“. Das Stadtmagazin erscheint seit 18 Jahren | |
| monatlich und hat eine Auflage von 20.000 Stück. | |
| ## Die Community zusammenzubringen | |
| Neben der finanziellen Notwendigkeit sieht Vancauwenberghe die | |
| Spendenkampagne als Chance, die Community zusammenzubringen. „Unsere | |
| Leser*innen sind in erster Linie internationale Berliner*innen, die in | |
| Berlin Englisch sprechen“, sagt sie. Natürlich habe man auch eine Menge | |
| englischer Muttersprachler*innen. „Aber im Laufe der Jahre ist uns | |
| aufgefallen, dass das internationale Berlin von heute nicht mehr das Berlin | |
| von vor 15 Jahren ist, als man von der ‚Expat-Blase‘ sprach. Heute gibt es | |
| diese Blase nicht mehr. Das ist einfach Berlin.“ Etwa ein Viertel der | |
| Leser*innenschaft des Exberliner sei deutsch. | |
| Wie viele andere Berliner Unternehmen hat der Exberliner die | |
| [1][Coronasoforthilfe] des Bundes erhalten: „Der Senat war sehr großzügig | |
| mit Selbstunternehmer*innen, freien Künstler*innen und Selbstständigen, das | |
| ist für mich auch typisch Berlin“, sagt Vancauwenberghe. Für den Exberliner | |
| mit seinen acht Beschäftigten und seinen zahlreichen freien | |
| Mitarbeiter*innen hätten die 15.000 Euro jedoch hinten und vorne nicht | |
| gereicht. „Bei einem kleinen Unternehmen wie dem unsrigen sind die in | |
| weniger als einem Monat aufgebraucht. Der Coronazuschuss war eine kleine | |
| Hilfe, aber definitiv nicht genug.“ | |
| „We will survive!“, titelt das [2][Stadtmagazin Siegessäule] unterdessen | |
| dankbar in seiner frisch gedruckten Juni-Ausgabe. Rund 1.700 Menschen haben | |
| im Rahmen einer Startnext-Kampagne für das existenzbedrohte Magazin | |
| gespendet, auf verschiedenen Kanälen kamen innerhalb kürzester Zeit rund | |
| 200.000 Euro zusammen. | |
| „Nach 40 Jahren sind wir mit unserem Heft tief verwurzelt in der Berliner | |
| Community“, erklärt Chefredakteur Jan Noll den Erfolg der Kampagne auf | |
| taz-Anfrage. „Wir haben eine breit aufgestellte, diverse Leser*innenschaft, | |
| die uns unterstützt hat.“ Auch von Anzeigenkunden habe man teilweise große | |
| Solidarität erfahren. Gefreut hätten er und sein Team sich darüber hinaus | |
| über das „emotionale Feedback“ und den „rührenden Support“ der letzten | |
| Wochen: „Freie Mitarbeiter*innen haben auf ihr Honorar verzichtet und | |
| Leser*innen wollten beim Austragen aushelfen.“ | |
| ## Mit Unterstützung durch Wolfgang Tillmans | |
| Den positiven Abschluss ihrer Crowdfunding-Kampagne hat die Siegessäule | |
| nicht unwesentlich der Unterstützung durch den Künstler Wolfgang Tillmans | |
| zu verdanken. Mit seiner Stiftung Between Bridges verteilt Tillmans | |
| kostenlos Kunstposter an existenzbedrohte Kultur- und Musikstätten, | |
| Sozialprojekte, unabhängige Räume und Publikationen, die diese dann für | |
| ihre Crowdfundings benutzen können. Auch den Exberliner unterstützt | |
| Tillmans nun im Rahmen der Aktion „2020Solidarity“ mit einigen | |
| Kunstpostern. Über 35 Spendenkampagnen fördert die Stiftung zurzeit | |
| weltweit, darunter auch eine für das [3][queere WHOLE Festival], das | |
| eigentlich im Juni in Sachsen-Anhalt stattfinden sollte. | |
| Die Siegessäule ist stolz darauf, trotz Corona weiterhin monatlich | |
| erschienen zu sein. Die Kampagne werde das Magazin wahrscheinlich über die | |
| nächsten Monate bringen, sagt Noll. „Ob wir ganz über den Berg sind, muss | |
| sich aber erst noch zeigen.“ Man ist jedoch bereit, für den Erhalt des | |
| 60.000 Stück auflagenstarken Magazins zu kämpfen. „Als Heft, das alle | |
| Buchstaben der LGBTI*-Community anspricht und abbildet und einen queeren | |
| Journalismus umzusetzen versucht, sind wir in dieser Größenordnung quasi | |
| einzigartig“, sagt er. | |
| Das Magazin habe Strahlkraft weit über Berlin hinaus. „Die Siegessäule ist | |
| viel mehr als ein Magazin, sie ist ein Stück LGBTI*-Geschichte, ein Produkt | |
| Berliner Emanzipationsbewegungen.“ Das Stadtmagazin ist Teil des Special | |
| Media Verlags, der außerdem das Branchenbuch „Siegessäule Kompass“ und das | |
| lesbische Magazin L-Mag verlegt. | |
| ## Ab September wieder regulär erscheinen | |
| Vancauwenberghe ist seit Corona mehr denn je davon überzeugt, dass Berlin | |
| eine englischsprachige internationale Plattform mit journalistischem | |
| Standard braucht. Ihr Ziel: erst überleben, dann expandieren. Die | |
| Journalistin ist voller Ideen, wie das Online-Angebot des Exberliner, das | |
| in den vergangenen Wochen verstärkt genutzt wurde, weiter ausgebaut werden | |
| könnte. Doch dazu fehlen zurzeit die Ressourcen. | |
| Dabei ist sich Vancauwenberghe sicher: Es werden weiter viele Menschen nach | |
| Berlin kommen, die kein Deutsch sprechen. „Das kann einen jetzt nerven oder | |
| ärgern oder auch sehr glücklich machen – ich will das gar nicht beurteilen. | |
| Aber Fakt ist, die sprechen kein Deutsch, und sie tun es auch immer | |
| weniger, eben weil es hier so international ist. Das ist auch die Schönheit | |
| von Berlin.“ | |
| Ab September soll der Exberliner wieder regulär erscheinen, noch diesen | |
| Monat will die Redaktion eine Sonderedition mit Interviews herausgeben. Die | |
| Einnahmen sollen den freien Mitarbeiter*innen zugutekommen und die | |
| Druckkosten bezahlen. Ziel ist 20.000 Euro, die Hälfte der Summe ist | |
| mittlerweile erreicht. Die Spendenkampagne läuft noch bis Ende des Monats. | |
| 10 Jun 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Corona-Soforthilfe-in-Berlin/!5688783 | |
| [2] /Medien-in-der-Krise/!5677074 | |
| [3] https://wholefestival.com/ | |
| ## AUTOREN | |
| Henrike Koch | |
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