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# taz.de -- Reagieren bei Polizeigewalt: Was tun, wenn’s knallt
> Viele wissen nicht, wie sie reagieren sollen, wenn sie Polizeigewalt
> beobachten. Ein kleiner Ratgeber, was Sie tun können und was legal ist.
Bild: Auch bei der Black-Lives-Matter-Demo in Berlin gab es den Vorwurf der Pol…
Sie kommen um die Ecke. Da sehen Sie, wie ein Polizist auf einem Mann sitzt
und ihn festhält. Der Mann liegt auf dem Boden und schreit. Ihnen kommt die
Situation bedenklich vor. Sie denken an Minneapolis, als ein Polizist Ende
Mai den [1][46-jährigen George Floyd tötete], indem er fast neun Minuten
lang sein Knie in dessen Nacken drückte. Sie wollen nicht einfach
weitergehen.
## Was darf die Polizei?
Die Polizei darf Menschen festnehmen, wenn sie auf frischer Tat ertappt
wurden oder wenn gegen sie ein Haftbefehl vorliegt. Bei der Festnahme darf
die Polizei, soweit erforderlich, auch Gewalt anwenden. Die Gewalt muss
aber verhältnismäßig sein, das heißt geeignet, erforderlich und angemessen.
Auch wenn jemand eine Straftat begangen oder Polizisten angegriffen hat,
darf die Polizei nicht machen, was sie will. Unverhältnismäßige Gewalt ist
stets rechtswidrig.
Sie als Passant wissen aber nicht, was in den Minuten vorher passiert ist.
Vielleicht hat der Mann gerade jemanden getötet, vielleicht war er
bewaffnet, vielleicht steht er unter aufputschenden Drogen oder leidet
unter aggressiven Wahnvorstellungen. Es kann viele Gründe geben, warum der
Polizeieinsatz notwendig und rechtmäßig ist. Sie als hinzugekommener
Passant sollten sich bewusst sein, dass Sie nicht wissen, ob die Polizei
hier rechtswidrig oder rechtmäßig handelt.
## Sollten Sie den Polizeieinsatz filmen?
Ja. Einen uneindeutigen Polizeieinsatz zu filmen ist in der Regel sinnvoll.
Heute ist dies auch leicht möglich, fast jeder hat inzwischen ein
Smartphone dabei, das Videoaufnahmen erlaubt.
Wenn die Polizei merkt, dass sie bei einer Festnahme gefilmt wird, erhöht
dies die Wahrscheinlichkeit, dass sie rechtsstaatlich vorgeht. Sollte es
später zu Auseinandersetzungen um die Rechtmäßigkeit der Gewaltanwendung
kommen, ist die Handyaufnahme ein wichtiges Beweismittel. Falschaussagen
von Beteiligten (auch der Polizisten) sind dann deutlich erschwert.
Selbst wenn bereits andere Passanten filmen, sollten auch Sie filmen. Je
mehr Leute aus unterschiedlichen Perspektiven einen fragwürdigen Einsatz
filmen, umso besser kann dieser später bewertet werden. Je mehr Passanten
den Einsatz filmen, umso schwerer ist es auch für die Polizei, das zu
verhindern.
## Dürfen Sie den Polizeieinsatz filmen?
Das ist leider noch umstritten. Es gibt aber kein Gesetz, das das Filmen
von Polizeieinsätzen generell verbietet.
Früher berief sich die Polizei auf das Kunsturhebergesetz, das auch das
Recht am eigenen Bild schützt. Verboten ist dabei aber nur das Verbreiten
von Aufnahmen, die ohne Einwilligung oder sonstige Berechtigung aufgenommen
wurden. Das Bundesverfassungsgericht entschied 2015, dass die Polizei, wenn
sie gefilmt wird, nicht einfach unterstellen darf, dass die Bilder später
verbreitet werden. Es könne ja auch sein, so die Richter, dass die
Aufnahmen nur der Beweissicherung dienen, was legal wäre.
Seitdem beruft sich die Polizei, wenn sie sich gegen Aufnahmen wehren will,
immer wieder auf eine Strafnorm zum Schutz der „Vertraulichkeit des
Wortes“. Es geht dabei also nicht um die Bilder, [2][sondern um die
mitlaufende Tonspur]. Nach dieser Strafnorm ist schon die Aufnahme strafbar
(nicht erst das Verbreiten).
Der Kölner Rechtsanwalt Christian Mertens hat erst im Mai das
Bundesverfassungsgericht in einem entsprechenden Fall angerufen. Er hofft
auf einen Karlsruher Beschluss, dass diese Strafnorm nicht benutzt werden
darf, um die Dokumentation von Polizeieinsätzen zu verhindern. Wie der Fall
aus Minneapolis zeigt, ist gerade auch die Tonaufnahme („I can’t breathe“)
wichtig.
Bisher ist die Rechtsprechung uneinheitlich. [3][Das Landgericht Kassel hat
eine Strafverfolgung von filmenden Passanten abgelehn]t, das Landgericht
München I hat sie erlaubt.
## Darf die Polizei Ihr Smartphone beschlagnahmen?
Solange nicht höchstrichterlich geklärt ist, dass das Filmen von
Polizeieinsätzen erlaubt ist, wird die Polizei immer wieder versuchen, die
zum Filmen benutzten Handys zu beschlagnahmen. Sie wird dann behaupten, es
liege der Anfangsverdacht einer Straftat vor.
Wenn Sie einen Polizeieinsatz filmen, kann es also sein, dass Sie für
einige Wochen oder Monate auf Ihr Smartphone verzichten müssen. Besonders
frappierend ist eine Beschlagnahme, wenn sie bereits während des laufenden
Polizeieinsatzes erfolgt und damit dessen weitere Dokumentation verhindert.
Man stelle sich nur vor, die Polizisten in Minneapolis hätten der
Passantin, die den Polizeieinsatz filmte, schon nach zwei Minuten das
Smartphone weggenommen.
## Was sollten Sie beim Filmen beachten?
Wenn Sie aus einigen Metern Entfernung filmen, ist es für die Polizei
deutlich schwerer, gegen Sie vorzugehen, denn nun sind „vertraulich“
gesprochene Worte offensichtlich nicht mehr zu hören.
Sie sollten beim Filmen auch nicht ankündigen, dass Sie die Aufnahmen im
Internet veröffentlichen werden, da auch dies ein Vorgehen gegen Sie
rechtfertigen könnte. Es genügt, wenn Sie darauf hinweisen, dass Sie den
Einsatz filmen.
Wenn die Polizei das Smartphone beschlagnahmen will, sollten Sie vorher die
Displaysperre (auch Screenlock oder Sperrbildschirm genannt) aktivieren.
Das Gerät kann dann nur durch die PIN oder ein ähnliches Verfahren
entsperrt werden, also nicht ohne Ihre Mitwirkung. So verhindern Sie, dass
ein Polizist das Video des Polizeieinsatzes sofort wieder löscht.
## Wie können Sie sonst intervenieren?
Auf keinen Fall sollten Sie die Polizisten beim Einsatz behindern oder gar
körperlich angehen. Denken Sie daran: Auch wenn der Einsatz beunruhigend
wirkt, könnte er rechtmäßig sein. Ihnen droht dann jedenfalls schnell eine
Strafanzeige wegen eines Angriffs auf Vollstreckungsbeamte oder wegen
versuchter Gefangenenbefreiung.
Aber Sie können Passanten ansprechen und auf die Situation aufmerksam
machen. Vielleicht sind auch sie bereit, die Situation zu filmen. Oder die
Passanten sind bereit, Ihnen das eben Gesehene zu schildern und sich dabei
filmen zu lassen.
Sie können auch Kollegen des Polizisten ansprechen und bitten, die
vermeintlich exzessive Gewalt zu stoppen. Oft haben dabeistehende Beamte
einen ruhigeren Kopf als ein Polizist, der vielleicht eben noch angegriffen
wurde.
Sie können sogar die Polizei anrufen (110) und schildern, was Sie sehen,
dann ist Ihr Anruf in der Einsatzzentrale dokumentiert und kann später auch
ein Beweismittel sein.
## Ist es sinnvoll, Polizisten anzuzeigen?
Wenn Sie nach Abschluss des Polizeieinsatzes den Eindruck haben, die
Polizeigewalt sei unverhältnismäßig gewesen, sollten Sie eine Strafanzeige
in Erwägung ziehen. Viele Betroffene verzichten darauf, Polizisten
anzuzeigen, weil sie das Gefühl haben, dass es ohnehin nichts bringt. Die
Polizei verweist dann aber auf die sehr niedrige Anzahl entsprechender
Ermittlungsverfahren.
Früher mussten Betroffene, die nach einer aggressiv durchgeführten
Festnahme die Polizisten anzeigten, damit rechnen, dass sie postwendend von
den Polizisten wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte ebenfalls
angezeigt wurden. Dies ist heute nicht mehr üblich, weil Polizisten
gehalten sind, Widerstandshandlungen sofort zu dokumentieren und anzuzeigen
(und nicht erst als Reaktion auf ein Vorgehen des Betroffenen).
Passanten, die nach einem Polizeieinsatz eine Strafanzeige stellen, droht
eventuell eine Strafanzeige der Polizisten wegen Verleumdung und falscher
Verdächtigung. Deshalb sollte eine Strafanzeige vor allem dann gestellt
werden, wenn der Einsatz gut dokumentiert ist und es viele Zeugen gibt. Die
Strafanzeige verspricht dann nicht nur mehr Erfolg, sondern ist auch
risikoärmer. Zur Formulierung einer Strafanzeige gegen Polizisten empfiehlt
sich anwaltliche Beratung.
Statt eine Strafanzeige zu stellen, können Sie Ihr Videomaterial auch
Journalisten überlassen, die es dann veröffentlichen und die Polizei und
Staatsanwaltschaft um Stellungnahme bitten können. Auch so können
Ermittlungen ausgelöst werden, ohne dass Sie sich exponieren müssen.
.
15 Jun 2020
## LINKS
[1] /-Nach-dem-Mord-an-George-Floyd-/!5690809
[2] /Prozesse-zu-Bild--und-Tonaufnahmen/!5611087
[3] /Beschluss-des-Landgerichts-Kassel/!5631059
## AUTOREN
Christian Rath
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