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# taz.de -- Sozialsenatorin über Jobs in der Krise: „Die Notlage nicht bedac…
> Sozialsenatorin Breitenbach (Linke) glaubt, dass in der Coronakrise noch
> mehr Menschen ihre Arbeit verlieren werden – und hofft auf Hilfe vom
> Bund.
Bild: Elke Breitenbach (Linke), Sozialsenatorin
taz: Frau Breitenbach, die Arbeitslosenquote in Berlin lag im Mai erstmals
seit 2015 wieder bei 10 Prozent. Wie pessimistisch sind Sie, dass die
Zahlen drastisch weiter steigen?
Elke Breitenbach: Ich bin nicht pessimistisch oder optimistisch, ich werde
dafür bezahlt, Lösungen zu suchen. Ich gehe aber davon aus, dass noch mehr
Menschen in die Erwerbslosigkeit kommen werden. Wir müssen ja nicht nur auf
die Zahl der Arbeitslosen gucken, sondern auch auf jene, die derzeit
Kurzarbeitergeld bekommen.
Wie viele Menschen sind das in Berlin?
Jedes dritte Unternehmen hat Kurzarbeit angemeldet, betroffen sind davon
laut Statistik der Bundesagentur im Mai gut 33.000 Menschen. Wie viele
Menschen aber tatsächlich in Kurzarbeit sind, wissen wir erst Ende Juni –
dann wird abgerechnet.
Muss man nicht davon ausgehen, dass Kurzarbeit oft der erste Schritt in die
Arbeitslosigkeit ist?
In der Tat gehe ich nicht davon aus, dass alle wieder zurück auf ihren
Arbeitsplatz kommen. Für dieses Problem müssen wir zusammen mit den
Sozialpartnern, der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit und auf
der Bundesebene um Lösungen ringen.
Was sagen Sie zum neuen Rettungspaket der Bundesregierung? Enthält es nicht
auch gute Ansätze für die Berlinerinnen und Berliner?
(denkt nach) Also für die Familien enthält es einen guten Ansatz mit den
[1][300 Euro, die es pro Kind geben soll]. Es gibt auch den Vorschlag, dass
diejenigen Betriebe, die durch die Krise angeschlagen sind und trotzdem
ausbilden, finanziell unterstützt werden. Das ist ein richtiger Schritt,
den wir uns auch für Berlin überlegt hatten. Was ich aber extrem
enttäuschend finde: dass beim Kurzarbeitergeld nicht an die
Geringverdienenden gedacht wurde. Wir haben in Berlin sehr viele Menschen
mit geringem Arbeitseinkommen. Wenn diese nun in Kurzarbeit sind, dann
bekommen sie erst einmal 60 Prozent, wenn sie Kinder haben, 67 Prozent vom
letzten Einkommen. Diese Menschen haben finanzielle Nöte! Sie geraten in
die Armutsfalle. Das gilt ebenso für jene mit geringem Arbeitslosengeld I
oder mit Hartz IV. Durch die Krise haben sich die Lebenshaltungskosten
erhöht. Gleichzeitig sind Unterstützungsangebote weggefallen wie das
kostenlose Schulessen oder die Tafel mit Lebensmittelspenden. Diese Notlage
aller Geringverdienenden, auch der Arbeitslosen, hat die Bundesregierung
nicht bedacht.
Was hätte sie tun sollen?
Wir hatten eine Bundesratsinitiative eingebracht: Menschen, die
Transferleistungen beziehen, bekommen 100 Euro mehr im Monat, bis die Krise
zu Ende ist. Aber diese Initiative hat der Bundesrat in den Ausschuss
„versenkt“, sprich: auf irgendwann vertagt. Und diese Idee wurde auch im
neuen Hilfspaket der Bundesregierung nicht aufgegriffen. Das heißt: Für
Menschen, die in finanzieller Not sind, gibt es keine finanzielle
Unterstützung, sofern sie keine Kinder haben und von dem Familienbonus
profitieren. Hart trifft es zum Beispiel auch die RentnerInnen in der
Grundsicherung. Das ist bitter, denn all diese Menschen brauchen jetzt
Unterstützung und Hilfe.
Was könnte der Senat hier tun?
Wir waren und sind in Berlin schon vorbildlich, was Schutzschirme und
Ähnliches angeht, um Armut abzufedern. Zudem haben wir – nur um ein
Beispiel zu nennen – auch die Tafeln unterstützt, nicht mit Geld, sondern
mit „realer“ Hilfe, sodass Lebensmittel ausgeliefert werden konnten. Wir
haben auch einen Schutzschirm für die Träger geöffnet, die zum Beispiel
Beratungen und Unterstützung anbieten. Wir zahlen ihnen das Geld weiter,
weil wir davon ausgehen, dass sie den Menschen weiterhin helfen und sie
beraten – wenn auch auf anderem Weg als bislang. Die Träger haben kreative
Lösungen gefunden und die Menschen nicht allein gelassen. Aber bei
Arbeitslosengeld, Grundsicherung und Asylbewerberleistungsgesetz kommen wir
an unsere Grenze – das sind Leistungen des Bundes. Da können wir nur
fordern, die Leistungen zu erhöhen.
Zurück zur Beschäftigungssituation. Könnte der Senat nicht den öffentlichen
Beschäftigungssektor ausbauen, sprich: [2][das Solidarische Grundeinkommen]
– kurz SGE?
Das habe ich in der Tat schon vorgeschlagen, ich komme darauf zurück. Aber
grundsätzlich ist es seit den Hartz-Gesetzen ja so, dass der Bund zuständig
ist für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen. Wir flankieren diese Programme
mit Coaching und Qualifizierungen. Deshalb hoffen wir jetzt sehr, zu
erfahren, ob der Bund neue Programme plant oder nicht. Wir stellen uns
darauf ein, dass es mehr Qualifizierungen geben muss. Denn wenn wir uns die
Struktur der Arbeitslosen ansehen, sind weiterhin jene besonders betroffen,
die keinen Schulabschluss haben – ebenso viele Geflüchtete.
Wieso die?
Wir hatten uns ja sehr gefreut, dass in letzter Zeit viele Geflüchtete
relativ schnell den Weg in Arbeit und Ausbildung gefunden haben. Aber wir
haben festgestellt, dass viele von ihnen mangels Qualifizierung oder
Anerkennung ihrer Berufsabschlüsse im Niedriglohnbereich angekommen sind.
Deswegen hatten wir gerade angefangen, Geflüchtete gezielt zu qualifizieren
– und hier sind wir jetzt in der Tat ein Stück zurückgeworfen worden durch
die Krise. Ich will mir nun genau ansehen, welche Erfahrungen wir mit dem
Solidarischen Grundeinkommen machen – es wird demnächst eine Evaluierung
starten. Wenn sich herausstellt, dass dies tatsächlich ein Weg ist, um
Menschen in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren, dann sollten wir diesen
Weg weitergehen. In einem ersten Schritt sollten wir zum Jahresende sehen,
ob wir das Programm verlängern und dann, ob wir noch mehr Beschäftigte
aufnehmen als die geplanten 1.000.
Bislang sind erst 300 von geplanten 1.000 SGE-Stellen besetzt. Warum?
Erstens müssen alle Anträge von Seiten der ArbeitgeberInnen genau überprüft
werden – das dauert. Zweitens gehen die Stellenangebote an die Jobcenter
und die bieten sie den Arbeitslosen an. Es ist ja kein Zwang, eine
SGE-Stelle zu nehmen, sondern Leute bewerben sich freiwillig. Dann finden
Bewerbungsgespräche statt und die Unternehmen entscheiden, wen sie nehmen.
Wir hatten immer gesagt, dass diese Stellen sukzessive übers Jahr 2020
besetzt werden. Von daher sind wir mit den besetzten 338 Stellen, so der
Stand Ende Mai, zufrieden. Aber, das ist auch klar, die Corona-Epidemie hat
alles verzögert. Die Jobcenter haben erst mal alle verfügbaren Kräfte
eingesetzt, um Leistungen so schnell wie möglich auszuzahlen. Und viele
Betriebe warten wegen der Krise mit Neueinstellungen. Für mich gibt es aber
keinen Grund zu sagen, das Solidarische Grundeinkommen sei ein
Rohrkrepierer. Im Gegenteil.
Wieso im Gegenteil?
Es gibt viele Bewerbungen, die Leute sind interessiert. Die ersten
Rückmeldungen sind ermutigend: Einige Unternehmen haben uns mitgeteilt,
dass sie SGE-Beschäftigte übernehmen wollen.
Thema Ausbildung: Was passiert denn eigentlich mit Azubis, die gerade nicht
arbeiten können, weil ihr Betrieb Kurzarbeit hat?
Wir haben im Mai mit Sozialpartnern und der Regionaldirektion der
Arbeitsagentur eine gemeinsame Erklärung zur Ausbildung veröffentlicht, die
wir jetzt umsetzen, damit die Auszubildenden, die vor ihrem Abschluss
stehen, ihre Prüfungen absolvieren. Das zweite Problem war, dort etwas zu
tun, wo die praktische Ausbildung derzeit nicht stattfinden kann – etwa bei
Köchen im Hotel, die hatten ja erst mal nichts zu tun. Darum haben wir uns
auch gekümmert.
Was heißt das konkret?
Wir warten noch auf die Rückmeldung der Unternehmen, welche Branchen
konkrete Hilfe benötigen. Eine Idee war, Auszubildende in öffentlichen
Ausbildungsstätten, etwa in Lehrküchen, zu beschäftigen. Jetzt geht es aber
vor allem um das neue Ausbildungsjahr: Die SchülerInnen, die im Sommer die
Schule verlassen, suchen schon seit geraumer Zeit einen Ausbildungsplatz.
Aber es gab keine Berufsberatung, auch in den meisten Jugendberufsagenturen
nicht. Doch wir brauchen gerade jetzt diese Unterstützung für die
SchulabgängerInnen und wollen die Arbeit der Jugendberufsagenturen so
schnell wie möglich wieder hochfahren.
Rechnen Sie damit, dass im September noch mehr [3][Jugendliche ohne
Ausbildungsplatz] dastehen als ohnehin jedes Jahr?
Ja, klar. Wir wissen jetzt schon, dass es mehr als 1.200 Ausbildungsplätze
weniger geben wird als in der Vergangenheit. Und da hat es schon nicht
gereicht. Es gibt die Verabredung mit den Kammern und den
Arbeitgeberverbänden, dass wir von ihnen genauere Informationen zu den
einzelnen Branchen bekommen. Die brauchen wir dringend, um zu wissen, in
welchen Bereichen wir am besten zusätzliche außerbetriebliche
Ausbildungsplätze anbieten und finanzieren müssen, weil sich viele Betriebe
dazu erst mal nicht in der Lage sehen.
Wie wollen Sie das machen?
Wir haben das Berliner Ausbildungsprogramm, das sind außerbetriebliche
Plätze, von denen es derzeit 500 gibt. Davon sind aktuell 250 besetzt. Wir
stellen uns darauf ein, bis zu 1.000 Plätze aufzustocken. Das wird ein
echter Kraftakt für die Träger, weil sie die Ressourcen und das Personal
noch nicht haben. Aber wir erwarten auch, dass sich nicht alle Betriebe
zurückziehen und wer kann, auch über seinen Bedarf ausbildet. Gemeinsam mit
dem Regierenden Bürgermeister werde ich zum Beispiel die landeseigenen
Betriebe bitten, dass auch sie deutlich mehr Lehrlinge ausbilden, als sie
brauchen, sodass wir den AbsolventInnen eine berufliche Perspektive bieten
können.
Ihre Parteifreundin Katina Schubert hat am Donnerstag im Abgeordnetenhaus
auch schon die landeseigenen Betriebe und den öffentlichen Dienst gebeten,
jetzt über den Bedarf hinaus auszubilden und Vorbild zu sein. Kann der
Senat da nicht mehr tun als bitten?
Im öffentlichen Dienst müssen wir nicht bitten, hier müssen wir prüfen, wo
wir weitere Kapazitäten haben. Ausbildung braucht ja auch bestimmte
Voraussetzungen wie einen Arbeitsplatz und AusbilderInnen. Die Betriebe mit
Landesbeteiligung bilden in vielen Bereichen aus, und deshalb appellieren
wir auch an sie, ihre soziale Verantwortung wahrzunehmen und mehr
Ausbildungsplätze anzubieten. Diese Betriebe und der öffentliche Dienst
müssen da mit gutem Beispiel vorangehen.
8 Jun 2020
## LINKS
[1] /300-Euro-Soforthilfe-aus-Konjunkturpaket/!5688582&s=konjunkturpaket/
[2] /Solidarisches-Grundeinkommen/!5628724&s=solidarisches+grundeinkommen/
[3] /Ausbildungsplaetze-im-Norden/!5683080&s=ausbildungsplatz/
## AUTOREN
Susanne Memarnia
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