Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Debatte um Steuern in Coronakrise: Schulden statt Spekulation
> Corona und Finanzen: Wie Steuern, Zinsen, Aktienkurse, Immobilienpreise
> und Staatsschulden zusammenhängen.
Bild: Beim Edelmetall wird in der Corona-Krise ein Lieferengpass vermeldet
Die Coronakrise ist noch nicht vorbei, da wird bereits sorgenvoll gefragt:
Wie sollen die Schulden zurückgezahlt werden, die Deutschland anhäuft? Die
Steuerschätzer kamen am Donnerstag zu dem Ergebnis, dass dem Staat in
diesem Jahr 100 Milliarden Euro fehlen dürften. Gleichzeitig steigen aber
die Ausgaben. Zudem ist unklar, ob alle Betriebe ihre Corona-Notkredite
zurückzahlen können, und ein gigantisches Konjunkturpaket soll es auch noch
geben. Es wäre keine Überraschung, wenn die Coronakrise 1 Billion Euro
kosten würde. Diese enormen Staatsschulden machen schwindelig.
Kanzlerin Merkel hat sich nun im Bundestag relativ klar positioniert. Am
Mittwoch erklärte sie: „Stand heute sind keinerlei Erhöhungen von Abgaben
und Steuern geplant.“ Allerdings ließ sie eine Hintertür offen. Niemand sei
„Zukunftsvorherseher“.
[1][Wie immer man zu Steuern steht] – es würde tatsächlich wenig bringen,
sie zu erhöhen, um die Coronaschulden abzutragen. Beispiel Vermögensteuer:
Es wäre zweifellos gerecht, wenn die Reichen mehr dazu beitragen würden,
das Gemeinwesen zu finanzieren. Trotzdem würde eine Vermögensteuer
wahrscheinlich „nur“ 10 Milliarden Euro im Jahr in die staatlichen Kassen
spülen. Es könnte also bis zu hundert Jahre dauern, die Coronaschulden
abzuzahlen.
Natürlich könnte man auch die Erbschaftssteuer erhöhen, den
Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer anheben und die Steuerflucht
bekämpfen, was vielleicht weitere 40 Milliarden Euro pro Jahr einspielen
würde. Diese Zusatzeinnahmen wären hilfreich – etwa um die Pflegekräfte
besser zu bezahlen. Aber auch dieses Steuerplus würde niemals reichen, um
die Coronaschulden nennenswert abzutragen.
Weltweit verfolgen die Staaten daher eine andere Strategie, um ihre
Schulden abzubauen. Sie werden nicht zurückgezahlt – sondern verlieren an
Bedeutung. Der Trick heißt „finanzielle Repression“. Wenn die Zinsen
weitaus niedriger liegen als das nominale Wachstum, schwinden die Schulden
von selbst, weil sie im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung immer kleiner
werden.
Die Zeit nach der Finanzkrise 2008 war ein Beispiel dafür: Damals stiegen
die Staatsschulden weltweit rasant an, weil Banken und Wirtschaft gerettet
werden mussten. Diese Last war für die Länder finanziell aber mühelos
tragbar, weil gleichzeitig die Zinsen gen null sanken.
Die AfD skandalisiert die Niedrigzinsen gern als „Enteignung der Sparer“.
Dabei schwingt stets mit, dass die „Kleinsparer“ am meisten leiden würden.
Das ist Unsinn. Die Kleinsparer, der Name sagt es, verfügen nicht über die
nötigen Geldsummen, um erhebliche Zinserträge zu erwirtschaften. Die untere
Hälfte der Deutschen kommt auf nur 1,3 Prozent des Volksvermögens. Die
meisten besitzen fast gar nichts, und selbst die reichste Person in dieser
Gruppe der ärmeren 50 Prozent hat ganze 26.000 Euro.
So banal es ist: Niedrige Zinsen sind nur für Menschen lästig, die über
nennenswerte Spareinlagen verfügen. Es trifft die Wohlhabenden. Die AfD
geriert sich zwar als Partei der „Kleinsparer“, wenn sie sich für hohe
Zinsen einsetzt, aber in Wahrheit würden die Kleinsparer mit ihren Steuern
die Renditen der Reichen finanzieren. Es wäre eine Umverteilung von unten
nach oben.
Trotzdem sind niedrige Zinsen nicht folgenlos, wie das Jahrzehnt seit der
Finanzkrise zeigt. Denn die Vermögenden suchen rastlos nach Rendite. Da mit
Geldanlagen nichts zu verdienen ist, sind vor allem Aktien und Immobilien
begehrt.
Der deutsche Aktienindex DAX schoss in abstruse Höhen: Im Februar 2020
erreichte er knapp 14.000 Punkte. Seit der Finanzkrise war er damit um
satte 276 Prozent gestiegen – während die deutsche Wirtschaft in derselben
Zeit nur um 14,5 Prozent gewachsen ist. Die Börsen haben mit der Realität
nichts mehr zu tun.
Erst die Coronakrise holte den DAX kurzzeitig in die Wirklichkeit zurück:
Im März fiel der Index auf 8.441 Punkte. Doch längst geht es wieder
aufwärts, was allein den Coronahilfen der Bundesregierung zu verdanken ist.
Die Börsianer preisen ein, dass der Staat alles tun wird, um die
Unternehmen zu retten.
Ähnlich ist es bei den Immobilien: Seit der Finanzkrise wurden sie in
Deutschland im Schnitt über 90 Prozent teurer. Selbst in der Coronakrise
dürften die Preise kaum sinken, [2][denn mit Mieten ist weiterhin gutes
Geld zu verdienen]. Wieder profitieren die Vermögenden davon, dass der
Staat die Einkommen stabilisiert, indem er etwa ein Kurzarbeitergeld zahlt.
[3][Niedrige Zinsen] setzen also eine seltsame Finanzhydraulik frei, wie
die Dekade seit der Finanzkrise zeigt. Die Renditen fallen – doch die
Vermögenswerte explodieren. Dieser Reichtum ist zwar weitgehend fiktiv, hat
aber reale Konsequenzen. Aktienkurse und Immobilienpreise können nur
ständig steigen, [4][wenn die Dividenden] und Mieten nachziehen. Also wird
versucht, die Löhne zu drücken und die Mieten hochzuschrauben. Verlierer
sind die Normalverdiener, die bei Einkommen und Ausgaben gleich doppelt in
die Zange genommen werden: Nicht selten machen die Mietkosten 40 Prozent
des Nettolohns aus.
Die Coronakrise, so ist zu befürchten, wird diese Trends verstärken und die
Ungleichheit verschärfen. Es ist daher richtig, höhere Steuern für die
Wohlhabenden zu fordern – wenn die Einnahmen dazu dienen, dass der Staat
mehr investiert, Pfleger besser bezahlt oder Hartz-IV-Sätze anhebt. Völlig
sinnlos wäre es, damit die öffentliche Schuldenlast abzutragen. Siehe oben.
Trotzdem greift es zu kurz, nur über Steuern zu debattieren. Mindestens
genauso wichtig wäre es, Mieter besser zu schützen und Lohndumping zu
verhindern. In der Coronakrise war es unvermeidlich, dass der Staat
nebenbei auch die Spekulanten rettet. Das darf aber kein Modell für die
Zukunft sein.
15 May 2020
## LINKS
[1] /Steuereinnahmen-in-Deutschland/!5685734
[2] /Gute-Zahlen-der-Immobilienwirtschaft/!5683241
[3] /Die-Finanzminister-der-Eurozone/!5674824
[4] /Corona-Unterstuetzung-fuer-Unternehmen/!5677108
## AUTOREN
Ulrike Herrmann
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
Schulden
Immobilien
Zinsen
Kolumne Finanzkasino
Schwerpunkt Coronavirus
Steuerschätzung
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus
## ARTIKEL ZUM THEMA
Steuerausfälle durch die Corona-Pandemie: Schutzschirm für Kommunen geplant
Finanzminister Olaf Scholz plant, die Kommunen mit 57 Milliarden Euro zu
entlasten. Kritik an den Plänen kommt aus der CDU.
Steuereinnahmen in Deutschland: Starker Steuerrückgang absehbar
Corona wird teuer für den deutschen Staat. Wie teuer genau, zeigt sich am
Donnerstag, wenn Olaf Scholz die aktualisierte Steuerschätzung vorstellt.
Konjunkturprognose der EU: Europa rutscht ungleich ins Minus
Wo die Pandemie hart zuschlägt, wird auch die Wirtschaft am stärksten
getroffen, sagt die EU-Kommission. Europa steht erneut vor einer
Zerreißprobe.
Die Finanzminister der Eurozone: Deutscher Geiz wird sich rächen
Deutschland ist keine Insel. Uns geht es nur so gut wie unseren Nachbarn.
Es ist erschreckend, dass man diese Binsenweisheiten aufschreiben muss.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.