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# taz.de -- Fußball während der Pandemie 1918/19: Krieg, Kaisersturz und Kick…
> Der DFB wuchs besonders, als die Spanische Grippe in Deutschland
> Hunderttausende tötete. Hatte der Sport gar nichts damit zu tun?
Bild: Bis zu 100 Millionen Menschen starben an der Spanischen Grippe: Krankenha…
Das alles geschah gleichzeitig: In den Jahren 1918 bis 1920 wütete die
Spanische Grippe. In Deutschland kamen mindestens 300.000, wahrscheinlich
über 400.000 Menschen ums Leben, vor allem 15- bis 40-Jährige. Zur selben
Zeit wurden überall in Deutschland Fußballvereine gegründet, der Deutsche
Fußball-Bund konnte seine Mitgliederzahl von 1914 bis 1920 mehr als
verdoppeln, von 189.000 auf 468.000. Im Jahr 1921 waren es sogar 780.000.
In Deutschland wurde der Fußball also genau in dem Zeitraum populär, als
eine schlimme Pandemie herrschte. In drei Wellen kam die Spanische Grippe,
die erste fiel zeitlich noch ins Kaiserreich, das bedeutete fußballerisch:
Da wurde das Gros der Spiele noch für Frontsoldaten ausgerichtet, die nach
Ansicht der Obersten Heeresleitung etwas Abwechslung brauchten – was „eine
Wurzel des Massensports“ war, wie die Historikerin Christiane Eisenberg
schreibt.
Die zweite Welle der Spanischen Grippe im Oktober/November 1918 fiel
zeitlich zusammen mit Kriegsende und Revolution, da war fußballerisch
nichts mehr los. In Norddeutschland musste die Zwischenrunde der
Fußballmeisterschaft, die für den 10. November 1918 angesetzt war,
entfallen – die Endrunde wurde dann sechs Monate später ausgetragen.
Von Berlin berichtet der Fußballhistoriker Hardy Grüne, dass die
Meisterschaft am 25. Mai 1919, also während der dritten Welle, abgebrochen
wurde, „weil die Aktiven körperlich zu geschwächt und die Ernährungslage zu
schlecht war“.
Einen Zusammenhang mit der Spanischen Grippe bedeutet das nicht, zumindest
nicht zwangsläufig. Es gibt etwa auch Berichte vom Ausfall eines Ligaspiels
in Kiel zwischen KSV Holstein und dem Marinesportclub, „weil die
Marine-Kicker lieber zur Revolution gingen“, wie Grüne schreibt. Erwiesen
ist aber, dass die Novemberrevolution mit Errungenschaften wie dem
Achtstundentag dem Sport zum Aufschwung verhalf.
## Massensport und Massensterben
„Wo früher 500 Zuschauer standen, stehen heute 5.000“, hieß es im Juli 19…
in der Deutschen Sport-Zeitung, „Städtespiele werden von 10.000, große
Verbandsspiele von 20.000 und Länderspiele von 50.000 Sportbegeisterten
umlagert.“ Allerdings hatte der DFB, als der Text erschien, erst [1][ein
Nachkriegsländerspiel] absolviert: im Juni 1920 gegen die Schweiz in
Zürich. Das lag aus deutscher Sicht daran, dass der deutsche Sport
international geächtet war.
Aus [2][Schweizer Sicht] aber spielte die Spanische Grippe eine wichtige
Rolle: Während der Pandemie fanden nämlich keine Länderspiele statt, und
während der zweiten Welle ruhte sogar der Ligabetrieb weitgehend: Von 55
angesetzten Erstligapartien fanden im Oktober und November 1918 nur 15
statt. Das erste Nachkriegsländerspiel der Schweiz, gegen Frankreich,
musste bis zum Februar 1920 warten, und das politisch umstrittene Spiel
gegen Deutschland war erst das zweite der Schweiz seit 1916.
In seinem Jahresbericht notierte der Schweizerische Fussball- und
Athletikverband damals: „In der Tat war zu dieser Zeit die Schlussphase des
Ersten Weltkriegs nicht das grösste Problem für den Spielbetrieb in der
höchsten Schweizer Fussballliga“, wichtiger sei etwa die „nicht
vorauszusehende Grippewelle“ gewesen. Spitzensportler wie Nationalspieler
Robert Fischer vom FC Brühl St. Gallen oder René Perrenoud, Torwart des
Meisters Servette Genf, waren an der Pandemie gestorben.
Zu Ende gespielt wurde die Meisterschaft übrigens doch noch. Den Titel
holte Etoile La Chaux-de-Fonds, das sich in der regionalen Vorausscheidung
mit einem sensationellen 11:0-Sieg über den favorisierten Stadtrivalen FC
La Chaux-de-Fonds durchgesetzt hatte – doch dem fehlten sieben erkrankte
Spieler.
Auch der englische und der spanische Fußball waren von der Pandemie
erfasst. In England waren zwar die Liga und der FA-Cup wegen des Weltkriegs
ausgesetzt, aber es wurde weiterhin auf regionaler Ebene gespielt. Im April
1919 gewann Chelsea FC den [3][Victory Cup] der London Combination League
durch ein 3:0 über Fulham, wie CFC-Historiker Rick Glanvill schreibt.
36.000 Zuschauer waren da, und es liefen mit Tom Logan und Harry Ford zwei
infizierte Spieler auf. Die beiden überlebten die Pandemie, andere Größen
des britischen Fußballs hingegen starben – etwa der schottische
Nationalspieler Angus Douglas.
In Spanien wollten die Gesundheitsbehörden das Campionat de Catalunya, die
katalanische Meisterschaft, wegen der Pandemie absagen.
FC-Barcelona-Präsident Joan Gamper setzte sich durch, Barca holte den
Titel, und es begann das erste „Goldene Jahrzehnt“ der Vereinsgeschichte.
Und in Deutschland? Einen Zusammenhang von Spanischer Grippe und
Sportentwicklung hat noch kein Historiker erforscht. Nach dem Weltkrieg,
der Hungersnot des Steckrübenwinters 1916/17, dem Zusammenbruch des
Kaiserreichs und der an allen Ecken und Enden fehlenden Ressourcen lässt
sich vermutlich nichts Substanzielles über eine solche Kausalität sagen.
Und dass wegen einer Revolution Spiele ausfallen, erscheint ja auch
plausibel.
16 May 2020
## LINKS
[1] https://www.dfb.de/datencenter/laenderspiel/1919-1920/saison/2141673
[2] https://regiofussball.ch/2020/03/06/virus-vs-fussball-wie-vor-hundert-jahre…
[3] https://www.chelseafc.com/en/news/2020/03/23/long-read--chelsea-in-the-time…
## AUTOREN
Martin Krauss
## TAGS
Schwerpunkt Sport trotz Corona
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Fußball
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