# taz.de -- Versammlungsfreiheit in Berlin: Groß-Demos bald wieder erlaubt | |
> Nach dem unübersichtlichen Demo-Wochenende wollen die rot-rot-grünen | |
> Fraktionen die Versammlungsfreiheit wiederherstellen. | |
Bild: Haben keine neue Weltordnung etabliert, sondern gegen die Hygienedemo pro… | |
BERLIN taz | Eigentlich plant Innensenator Andreas Geisel (SPD) eine | |
Lockerung des Demonstrationsrechts erst für Juni. Die dürfte nun aber | |
früher kommen: Die Fraktionen von SPD, Linke und Grünen wollen sich an | |
diesem Montag im Rechtsausschuss für die Wiedereinführung der | |
uneingeschränkte Versammlungsfreiheit in Berlin aussprechen und drängen den | |
Senat damit zu weiteren Lockerungen. Derzeit sind wegen der Coronapandemie | |
nur Versammlungen mit bis zu 50 Personen erlaubt. | |
Die am Montag zur Abstimmung kommende Beschlussempfehlung liegt der taz | |
vor. Darin wird für ein uneingeschränktes Demonstrationsrecht unter freiem | |
Himmel plädiert unter zwei Bedingungen: Zum einen soll zwischen | |
Teilnehmer:innen weiterhin 1,5 Meter Abstand gehalten werden; zum anderen | |
müssen Veranstalter:innen ein Hygienekonzept vorlegen. | |
Der Beschluss ist ein Signal an den Senat, sich den Lockerungen anderer | |
Länder anzuschließen und diese schneller zu beschließen. Die Empfehlung | |
umfasst neben dem Versammlungsrecht auch das Recht auf uneingeschränkte | |
Religionsausübung – wenn die räumlichen Bedingungen auch hier die | |
Einhaltung von Hygieneregeln zulassen. | |
Vor allem das vergangene unübersichtliche Demo-Wochenende mit laut Polizei | |
19 angemeldeten Versammlungen und 7 spontanen Zusammenkünften dürfte der | |
Forderung der rot-rot-grünen Parlamentarier:innen Nachdruck verleihen. | |
Während bei einer Vielzahl friedlicher Proteste die Abstandsregeln und | |
Teilnehmer:innen-Begrenzungen, so gut es ging, eingehalten und diese | |
dennoch von der Polizei gemaßregelt wurden, richteten sich rechtsoffene | |
Menschenansammlungen mit deutlich mehr Teilnehmer:innen vor dem Reichstag | |
und dem Brandenburger Tor kein bisschen danach. | |
## Viel Kritik an der Polizei | |
Darüber hinaus konterkarierte die Polizei selbst Infektionsschutzmaßnahmen, | |
wenn sich etwa am Alexanderplatz Shopping-Publikum und Demonstrant:innen | |
durch viel zu enge Durchgänge quetschen mussten, weil die Einsatzkräfte den | |
restlichen Platz vergattert hatten. Mindesabstand war so jenseits der | |
Demo-Bereiche kaum zu verwirklichen. | |
June Tomiak von den Grünen, die als parlamentarische Beobachterin den | |
ganzen Samstag mit dem Fahrrad unterwegs war, erkannte bei der Polizei | |
zweierlei Maß, wenn sich auf Kundgebungen mehr als 50 Menschen aufhielten: | |
„Beim antifaschistischen Protest im Schendelpark gab es alle paar Minuten | |
eine Durchsage der Polizei. An der Reichstagswiese wurde das nicht so | |
gemacht. Das war problematisch.“ | |
Am Schendelpark wollten nach ihrer Beobachtung viele Leuten unter Achtung | |
eines Mindestabstands den Reden lauschen, nur seien dafür die örtlichen | |
Voraussetzungen in der Nähe des abgesperrten Rosa-Luxemburg-Platzes zu | |
beengt gewesen. Den Verschwörer:innen am Reichstag um den abgedrifteten | |
Koch Attila Hildmann hingegen sei es vorsätzlich wenig um die Einhaltung | |
von Abstand gegangen. Vor allem Teilnehmer:innen rechtsoffener Demos wie am | |
Brandenburger Tor und am Reichstag, wo nicht nur Tomiak einschlägiges | |
Publikum beobachtete, hätten sich nicht für Hygiene-Auflagen interessiert. | |
Teilweise marschierten bis zu 500 Personen vom Brandenburger Tor Richtung | |
Alex – unbehelligt von der Polizei. | |
Gerechtfertigt scheinen dann auch die Beschwerden der Organisator:innen des | |
Protests am Schendelpark: Die Polizei sei rigide vorgegangen, habe bereits | |
vor Beginn der Kundgebung Identitätsfeststellungen und Gewahrsamnahmen | |
durchgeführt. | |
Ähnlich äußerte sich Michael Efler, für die Linke als Beobachter am | |
Schendelpark unterwegs. „Bei der linken Demo war das Vorgehen der Polizei | |
sehr viel härter als bei der sogenannten Hygiene-Demo“, sagt er der taz am | |
Sonntag. „Mehr Fingerspitzengefühl wäre schön gewesen, die Polizei hat von | |
Anfang an Maßnahmen übertrieben durchgesetzt.“ Der Einsatz müsse ein | |
Nachspiel haben. Efler will nun die Maßnahmen noch einmal im Innenausschuss | |
behandelt wissen oder eine Anfrage dazu stellen. | |
Ein ähnliches Bild bot sich am Alexanderplatz bei der linken Kundgebung von | |
Reclaim Club Culture. Dort beschlagnahmte die Polizei bei der friedlichen | |
Veranstaltung plötzlich einen Lautsprecherwagen und drehte die Musik ab, | |
die eigentlich „rechte Folienkartoffeln wegbassen“ sollte. Warum sie all | |
dies tat, ist unklar. Anfragen blieben am Sonntag unbeantwortet. | |
Für Efler zeigt der Samstag vor allem, dass schnell Lockerungen hermüssen: | |
„Die Begrenzung auf 50 Personen ist wirklich Mist. Das ist in der Praxis | |
undurchführbar. Denn welche 50 Personen zählen dazu: Die im klar | |
abgesperrten Bereich der Kundgebung, die sich an die Abstandsregeln halten? | |
Oder auch die außen Umherstehenden?“ Sowohl für Protestierende also auch | |
für die Polizei sei es ungeheuer schwer, das einzuschätzen. Anstatt penibel | |
auf die Teilnehmer:innenzahl zu achten, sollte die Polizei sich darauf | |
konzentrieren, Menschenansammlungen ohne Abstand aufzulösen. | |
Sven Kohlmeier beobachtete für die SPD die Proteste. „Ich möchte, dass auch | |
die Zivilgesellschaft gegen Verschwörungstheoretiker und Nazis auf die | |
Straße gehen kann und sagt: ‚Wir wollen euch Aluhüte und Nazis nicht, die | |
sich nicht an Hygiene-Bestimmungen halten‘.“ Sein Vorschlag: Auf der Straße | |
des 17. Juni sei auch mit Mindestabstand und Hygieneregeln Platz für 5.000 | |
Menschen. | |
17 May 2020 | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
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