| # taz.de -- HIV-Experte über Infektionsschutzgesetz: „Es gibt immer noch Vor… | |
| > Holger Wicht von der Aidshilfe kritisiert geplante Änderungen beim | |
| > Infektionsschutz. Diskriminierung von Menschen mit HIV werde dadurch | |
| > erleichtert. | |
| Bild: Corona und der HI-Virus – eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes b… | |
| taz: Herr Wicht, am Donnerstag hat der Bundestag über Änderungen beim | |
| Infektionsschutzgesetz diskutiert. Nach Plänen der großen Koalition sollen | |
| unter anderem [1][Corona]-Testkapazitäten ausgebaut und die | |
| Gesundheitsämter besser ausgestattet werden. Dennoch sieht die Aidshilfe | |
| Teile der geplanten Regelungen kritisch. Warum? | |
| Holger Wicht: Wir sehen vor allem den Teil kritisch, der Fragen nach | |
| Infektionskrankheiten im Arbeitsleben betrifft. Diese Passage könnte | |
| unbeabsichtigt zu Diskriminierung von HIV-positiven Menschen im | |
| Arbeitsleben führen. Derzeit und auch nach den geplanten Änderungen am | |
| Infektionsschutzgesetz ist es nicht zulässig, Beschäftigte oder | |
| BewerberInnen nach einer HIV-Infektion zu fragen. Das ist auch richtig so, | |
| da HIV im Job keine Rolle spielt – ausgenommen einige chirurgische | |
| Tätigkeiten. Der Gesetzestext in der bisherigen Fassung würde aber | |
| voraussichtlich Fehlinterpretationen nach sich ziehen, die zu der Frage | |
| nach HIV führen könnten. | |
| Was genau ist das Problem an den Plänen der Groko? | |
| Der erste Absatz des entsprechenden Paragrafen besagt, dass Arbeitgeber im | |
| Gesundheitswesen Daten über den Impf- und Serostatus des Beschäftigten | |
| verarbeiten dürfen, um die Übertragung von Krankheiten zu verhindern. Im | |
| zweiten Absatz werden Infektionen ausgenommen, die unter Behandlung sowieso | |
| nicht übertragbar sind. Das Problem ist, dass hier die Frage des | |
| Therapiestatus ins Spiel gebracht wird. Arbeitgeber könnten denken, dass | |
| sie Beschäftige über HIV befragen dürfen oder müssen, um sicherzustellen, | |
| dass gegebenenfalls eine Therapie erfolgt. Das wäre ein Missverständnis. | |
| Denn HIV ist auch ohne Therapie im Arbeitsalltag nicht übertragbar. | |
| Arbeitgeber könnten das nutzen, um HIV-positive Menschen zu diskriminieren? | |
| Schon die Frage ist eine Diskriminierung. Und wir wissen, dass einige | |
| Arbeitgeber im Gesundheitssystem gerne danach fragen würden. Es kommt auch | |
| heute schon vor. ArbeitnehmerInnen haben zwar das Recht auf ihrer Seite, | |
| müssen das aber wissen und gegebenenfalls darauf hinweisen. Sich im | |
| Bewerbungsverfahren gegen die Frage zu wehren, kann schon einem Outing | |
| gleichkommen. Wer für sein Recht kämpfen muss, hat unter Umständen schon | |
| verloren. Ängste und Vorurteile gegenüber Menschen mit HIV sind nach wie | |
| vor weit verbreitet. Fakt ist aber: Menschen mit HIV können in jedem | |
| Bereich arbeiten. Sie sind nicht häufiger krank und es geht keinerlei | |
| Gefahr von ihnen aus. | |
| Wissen Sie, wie viele Personen ungefähr von dieser Diskriminierung | |
| betroffen wären? | |
| Das kann man nicht beziffern. Wir wissen, dass heute die allermeisten | |
| Menschen mit HIV arbeiten. Da sich in diesem Bereich keine repräsentativen | |
| Befragungen durchführen lassen, liegen uns aber keine konkreten Zahlen vor | |
| und wir wissen auch nicht, wie viele Menschen mit HIV in welchen Bereichen | |
| des Arbeitslebens tätig sind. Die Unterschiede zu Menschen ohne HIV dürften | |
| aber recht gering sein. | |
| Wie könnte man das Diskriminierungspotenzial des Gesetzesentwurfes | |
| abräumen? | |
| Kerngedanke des Paragrafen ist die Immunität gegen das Coronavirus oder | |
| andere Krankheitserreger, die einen Erwerb und damit die Übertragung der | |
| Infektion verhindert. Das muss deutlich werden. Der zweite Abschnitt ist | |
| bereits ein Zusatz, der klärt, dass HIV nicht mitgemeint ist. Er wird aber | |
| in der Praxis nach unseren Erfahrungen zu anderen Auslegungen kommen, es | |
| lauern Fallstricke. Wir hoffen, dass die Formulierung im | |
| Gesetzgebungsprozess noch geschärft wird. Deutlich werden muss: Es geht | |
| darum, ob jemand geimpft oder immun ist. HIV ist damit ausgeschlossen, denn | |
| bei dieser Infektion gibt es keine Impfung und keine ausgeheilten | |
| Infektionen, die Immunität hinterlassen. | |
| Wird die Stimme der Aidshilfe von der Politik denn gehört? | |
| Wir hatten sehr konstruktive Gespräche mit PolitikerInnen und haben uns | |
| gefreut, dass unser Anliegen schon eingeflossen ist. Es geht jetzt um | |
| wichtige Feinheiten. | |
| Angst vor einem gefährlichen Virus, strenge Isolierung von Infizierten – | |
| die Corona-Pandemie weckt Erinnerungen an die [2][Aidskrise]. Sehen Sie | |
| hier auch Parallelen? | |
| Generell sind Menschen mit übertragbaren Krankheiten Stigmatisierungen | |
| ausgesetzt. In der Aids-Krise waren es schwule Männer, bei Corona am Anfang | |
| AsiatInnen. Wir bekommen Epidemien aber nur in den Griff, wenn Menschen | |
| nicht angefeindet, sondern zu PartnerInnen gemacht werden. Wir sind in | |
| Deutschland so erfolgreich gegen HIV, weil wir gegen Stigmatisierung | |
| vorgehen und weil die betroffenen Gruppen auf Augenhöhe in die Prävention | |
| einbezogen sind. | |
| Anders als auf dem Höhepunkt der Aidskrise in den 1980er und 1990er Jahren | |
| bedeutet HIV positiv zu sein heute nicht mehr das Todesurteil. Auch | |
| gesellschaftlich hat sich vieles zum Positiven entwickelt. Welchen Trend | |
| nehmen Sie in den letzten Jahren in Bezug auf die Lage von Menschen mit HIV | |
| wahr? | |
| In den letzten Jahren hat sie sich enorm verbessert, das gesellschaftliche | |
| Bild von Menschen mit HIV hinkt aber hinterher. Wenn HIV rechtzeitig | |
| erkannt und behandelt wird, kann man damit alt werden und leben wie andere | |
| Menschen. Dafür genügt meist eine Pille täglich. HIV ist unter Therapie | |
| auch nicht mehr übertragbar. Doch Stigmatisierung und Diskriminierung | |
| können einem das heute mögliche Leben dann wieder schwermachen. | |
| Kommt es durch Corona gar zu neuer Diskriminierung gegenüber HIV-Positiven? | |
| Es droht vor allem Diskriminierung von Menschen, die sich mit Corona | |
| infiziert haben. Das wird noch ein Thema werden: Werden sie abgestempelt, | |
| wie es HIV-Positive kennen, weil sie sich angeblich „unverantwortlich“ | |
| verhalten haben? Wir erleben auch, wie im aktuellen Diskurs über | |
| Einschränkungen ganz selbstverständlich davon ausgegangen wird, dass | |
| Menschen in Familien oder festen Partnerschaften leben. Die Situation von | |
| Singles oder queeren Lebensweisen wird kaum mitreflektiert. Eine Lehre aus | |
| der Aids-Krise lautet: Stigmatisierung schadet, Akzeptanz von Lebensweisen | |
| und Unterstützung beim Schutzverhalten sind der Schlüssel zum Erfolg. | |
| 8 May 2020 | |
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