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# taz.de -- Berliner Mietendeckel und die Folgen: Wolken am Vermieterhimmel
> Das seit Ende Februar geltende Mietendeckel-Gesetz zeigt erste Wirkungen.
> Vermieter versuchen zu tricksen, Investoren sind abgeschreckt.
Bild: Gebaut wird noch, sonst aber ist die Vermieterlage eher grau
Berlin taz | Ein Mietvertrag für eine kleine Zweizimmerwohnung in einem
Altbau in Wedding: Gleich zu Beginn des Textes findet sich der Preis von
450 Euro monatlich, zuzüglich 60 Euro Nebenkosten. Es folgt seitenlang
Kleingedrucktes, ehe im Anhang des Vertrages noch ein entscheidender
Hinweis fällt: „Solange und soweit das Gesetz zur Mietbegrenzung im
Wohnungswesen in Berlin gilt, ist der Mieter zur Zahlung von monatlich 290
Euro verpflichtet.“ Gemeint ist der [1][Mietendeckel], der auch bei
Wiedervermietung Mietobergrenzen gestaffelt nach Baujahr und Ausstattung
einer Wohnung definiert.
Die Mieter, die hier einziehen wollen, haben keine andere Wahl, als einen
Vertrag mit zwei Mietpreisen zu unterzeichnen: zum einen die zulässige und
gültige Miete, zum anderen die Wunschmiete des Vermieters, auch
Schattenmiete genannt. Im vorliegenden Vertrag weist der Vermieter zudem
darauf hin, dass die Differenz nachzuzahlen sei, sollte das
Mietendeckel-Gesetz für verfassungswidrig erklärt werden, wovon aufgrund
der „erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken“ auszugehen sei.
Viele, die seit Inkrafttreten des Mietendeckel-Gesetzes am 23. Februar eine
Wohnung angemietet haben, dürften ähnliche Erfahrungen gemacht haben.
Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, sagt: „Mit dem
Konzept der Schattenmiete arbeitet ein sehr großer Teil der Vermieter.“ Der
Eigentümerverband Haus & Grund hatte genau diese [2][Umgehungsstrategie]
empfohlen.
Ob dieses Vorgehen rechtlich Bestand haben wird, ist umstritten. Während
die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung davon ausgeht, dass es
„grundsätzlich wohl rechtlich zulässig“ sei, wenn eine höhere Miete in d…
Vertrag aufgenommen wird, hält die mietenpolitische Expertin der Linken,
Gaby Gottwald, entsprechende Klauseln für nichtig: Das Gesetz verbiete,
eine Miete zu vereinbaren, die die zulässige Höhe überschreitet, selbst
wenn sie derzeit nicht gefordert wird. Gerichtsurteile, auch zu der Frage,
ob eine Nachforderung der Miete zulässig ist, stehen aus.
## Zu teure Angebote
Laut dem Wohnungsportal Immoscout lagen im April mehr als 90 Prozent aller
angebotenen Mietwohnungen „über den Obergrenzen“ des Mietendeckels.
Möglicherweise, sagt Reiner Wild, werden die Wohnungen schlussendlich doch
zum rechtlich zulässigen Preis vermietet. Der aufgerufene höhere Preis in
den Annoncen diene dann nur dazu, eine Klientel anzuziehen, die auch die
Schattenmiete bezahlen könnte. Das Forschungsinstitut F+B hatte Ende April
vermeldet, dass die Durchschnittsmiete in Berlin im ersten Quartal um 2,4
Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal gesunken sei, und von möglichen
„ersten Auswirkungen des Mietendeckels“ gesprochen.
In den Beratungen des Mietervereins geht es aktuell vor allem um
Mieterhöhungen, die zwischen dem Stichtag 18. Juni und Inkrafttreten des
Gesetzes ausgesprochen wurden. So manche Mieter, die ihre Zustimmung
verweigerten, wurden von ihren Vermietern verklagt. Die Amtsgerichte
hätten, so Wild, in der Mehrzahl den Mietern recht gegeben und entsprechend
der Absicht des Mietendeckel-Gesetzes geurteilt, dass die vertraglich
fixierte Miete zum Stichtag 18. Juni nicht überschritten werden darf. Eine
obergerichtliche Entscheidung des Landgerichts stehe aber aus. Seit
Inkrafttreten des Gesetzes gebe es laut Wild kaum noch Mieterhöhungen: „Das
scheinen die Vermieter zu akzeptieren.“
Für die Überwachung des Mietpreisstopps sind formal die Bezirksämter
zuständig. Doch die Besetzung der Stellen sei wegen Corona ins Stocken
geraten, sagt [3][Peter Weber, der Erfinder des Mietendeckels] aus dem
Bezirksamt Pankow. Anfragen kämen dennoch. Von Vermietern, die mit Verweis
auf eine gute Ausstattung eine höhere Miete fordern, oder von Mietern, die
Mieterhöhungen anfechten. Gegen solche kann das Bezirksamt
Untersagungsverfügungen aussprechen; den zivilrechtlichen Weg müssen die
MieterInnen aber allein gehen.
## Mietsenkungen ab Dezember
Mietsenkungen in bestehenden Verträgen sind ab Dezember möglich. Hier
werden die meisten Streitfälle erwartet. Die Senatsverwaltung für
Stadtentwicklung, die diesen Teil des Gesetzes überwachen soll, will in den
nächsten Wochen erste Bewerbungsgespräche führen, „sodass eine Einstellung
zu Ende November sichergestellt ist“.
Einen großen Effekt hat der Mietendeckel bereits seit Juni, nämlich auf die
Investitionsbereitschaft im Immobilienmarkt. So sagt es zumindest Michael
Plettner, Vorstand der Deutschen Grundstücksauktionen AG, in einem
Interview mit Börse Online. Seitdem sei die Lage „extrem schwierig“; viele
Investoren hätten sich „vom Markt abgewendet“. Sowohl Verkäufer als auch
potentielle Käufer seien von den gefallenen Ertragserwartungen infolge
begrenzter Mieterhöhungsmöglichkeiten abgeschreckt.
„Der klassische Berliner Inhaber eines Mehrfamilienhauses wird zu diesen
Preisen, die der Markt im Moment bereit ist zu bezahlen, kaum verkaufen,
deswegen geht in diesem Markt auch nichts.“ Plettner bezeichnet es als
eigentliches Ziel des Gesetzes, die „Dynamik aus dem Berliner
Investmentmarkt“ zu nehmen: „Das hat der Senat geschafft.“
## Zusammenbruch des Neubaus? Vonwegen.
Ein anderes von der Immobilienlobby ausgebreitetes Szenario ist nicht
eingetreten: Neubau und Neubauplanung sind nicht zum Erliegen gekommen – im
Gegenteil. Wie das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg diese Woche
mitteilte, wurden in den ersten drei Monaten dieses Jahres Baugenehmigungen
für mehr als 5.300 Wohnungen erteilt, 9,8 Prozent mehr als im
Vorjahreszeitraum.
Ob der Mietendeckel Bestand über die nächsten fünf Jahre haben wird, werden
die Gerichte entscheiden. Mitte März hatte das Bundesverfassungsgericht
einen [4][Eilantrag] auf vorläufige Außerkraftsetzung der
Bußgeldvorschriften abgelehnt. Für den Juristen Weber war das entgegen
vieler Unkenrufe ein erster Erfolg: „Offensichtlich verfassungswidrig ist
da schon mal gar nichts.“
Das Bundesverfassungsgericht wird sich aber tiefgreifender mit dem Gesetz
befassen. Das Landgericht Berlin hat ihm schon im März einen Fall
vorgelegt. Vergangene Woche haben die Bundestagsabgeordneten von CDU/CSU
und FDP eine Normenkontrollklage eingereicht. Geprüft werden soll, ob das
Land Berlin überhaupt die Kompetenz hat, das Mietendeckel-Gesetz zu
erlassen. Die Verteidigung übernimmt die Senatsverwaltung für
Stadtentwicklung. Sie lässt sich durch die Rechtsanwaltskanzlei Geulen &
Klinger und den Juraprofessor Florian Rödl von der Freien Universität
vertreten.
14 May 2020
## LINKS
[1] /Mietendeckel/!t5567229/
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[4] /Mietendeckel-in-Berlin/!5671445/
## AUTOREN
Erik Peter
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