# taz.de -- Olympia-Schwimmer während Corona: Homeoffice im Wasser | |
> Statt für Olympia zu trainieren, hält sich Damian Wierling im Kellerpool | |
> der Eltern fit. Dass dem Schwimmen eine verlorene Generation drohe, sieht | |
> er nicht. | |
Bild: Kann große und kleine Becken: Damian Wierling | |
Es ist Mitte März in San Diego, USA. Damian Wierling besucht seine Kumpels | |
Marius und Jacob. Die meiste Zeit verbringen sie im Pool unter der | |
kalifornischen Sonne. Trotzdem ist es kein normaler Besuch. Es ist ein | |
Trainingslager, ein letztes Schuften vor der Olympiaqualifikation. | |
Wierling, der schnellste Schwimmer Deutschlands, will mit seinen | |
Nationalmannschaftskollegen Marius Kusch und Jacob Heidtmann fit werden für | |
Olympia. | |
Doch [1][Olympia ist mittlerweile verschoben]. Vor der Entscheidung wegen | |
des [2][Coronavirus] blieb das IOC seinen Sportlern lange eine Antwort | |
schuldig. In einem Jahr, in dem alles nach Plan laufen sollte, trainierten | |
die Sportler ins Blaue hinein. „Das fand ich richtig nervig“, erinnert sich | |
Wierling an die Ungewissheit. Irgendwann hoffte er, dass die Spiele | |
verschoben werden, „aber die Finalität der Entscheidung hätte ich gerne | |
schneller gehabt“. | |
Anstatt weiter an seinen Sprints zu feilen, ging es für Wierling in | |
Quarantäne, in der er im Keller seiner Eltern trainierte. „Ich habe dann | |
einfach geguckt, was mir Spaß macht“, erklärt der 24-Jährige. „Ich habe | |
ausgeschlafen und bin joggen gegangen.“ Für Schwimmer eine eher unliebsame | |
Alternative. „Dann war ich noch Rad fahren und habe im Stabilitätsbereich | |
herumexperimentiert.“ | |
Nicht nur da ließ er seiner Kreativität freien Lauf: Im Keller seiner | |
Eltern steht ein etwa fünf Meter langer Pool, in dem Wierling versuchte, in | |
Form zu bleiben. Da es dort für einen 1,96-Meter-Hünen aber schnell eng | |
wird, schnallte er sich ein Gummiseil um. „Mein Bruder hat es gehalten, und | |
wenn er es losließ, bin ich in die Gesamtbewegung übergegangen.“ Kein | |
Vergleich zu normalem Training, aber „für eine Erhaltung nicht schlecht“. | |
## Er kennt diese Zwangspausen | |
Erhaltung statt Fortschritt – so lautet derzeit die Devise. Eigentlich | |
wollte er sich ja sowohl in den Staffeln als auch im Einzel für Tokio | |
qualifizieren, möglichst in neuer Bestzeit. Das hätte einen neuen deutschen | |
Rekord bedeutet. Seit Wierling vor vier Jahren als erster Deutscher die 50 | |
Meter Freistil unter 22 Sekunden kraulte, war keiner schneller. | |
Dieser Traum ist vorerst geplatzt. Trotzdem wirkt er nicht enttäuscht, | |
nicht traurig. Denn er kennt diese Zwangspausen wie kein Zweiter. Vor den | |
Spielen in Rio ist Wierling rund eineinhalb Jahre ausgefallen. Eine | |
Blinddarm-OP, Pfeiffersches Drüsenfieber, eine Herzbeutelentzündung und zu | |
guter Letzt eine chronische Sinusitis hätten die junge Karriere beinahe | |
beendet. | |
Trotzdem kam er zurück, schaffte den Anschluss wieder. „Ich wollte mich | |
schrittweise verbessern. Das ist mein Ansatz, an den Sport ranzugehen“, | |
erklärt er. In seiner Vorbereitung sei nie die Rede von Medaillen gewesen, | |
sondern eher der Fokus darauf, wie er das Beste aus der Situation und sich | |
selbst machen könne. | |
Seit Wochen sind die Schwimmbäder geschlossen, Trainingsmöglichkeiten | |
dahin. Spätestens seit dem beschlossenen Bundesligastart der Fußballer | |
lässt das Diskussionen aufkommen. Denn bei den Schwimmern ist noch nicht | |
klar, wann und wie es weitergeht. | |
## Spreu trennt sich vom Weizen | |
Farshid Shami, Landestrainer aus Baden-Württemberg, sprach in der | |
Stuttgarter Zeitung sogar von einer verlorenen Generation, die dem | |
Deutschen Schwimmverband (DSV) drohe. Für Wierling scheint das | |
unrealistisch: „Das sehe ich nicht so dramatisch. Ich glaube, dass das | |
einen Lerneffekt geben kann. Man muss es aus dem leistungssportlichen | |
Aspekt sehen, dass sich da die Spreu vom Weizen trennt.“ Das sei zwar | |
schade, weil die Basis in Deutschland ohnehin schon nicht groß sei. „Ich | |
bin aber überzeugt davon, dass die, die durchkommen wollen, es auch | |
werden.“ | |
Sein ehemaliger DSV-Kollege Paul Biedermann sieht das auch so: „Niemand hat | |
diese Situation gewollt. Ich vertraue da den Trainern in den Vereinen, die | |
mit Sicherheit Alternativprogramme angeboten haben.“ Auch Biedermann kennt | |
diese Zwangspausen. In der Saison 2008/09 fiel er sechs Wochen lang aus, | |
als bei ihm das Epstein-Barr-Virus festgestellt wurde. Kein halbes Jahr | |
später schwamm er zwei Weltrekorde, die bis heute bestehen. Durch die | |
aktuelle, unfreiwillige Pause ist er gespannt, „wie sich die Leistungen | |
entwickeln, wenn die Schwimmbäder wieder geöffnet werden. Ob dann nicht | |
sogar der eine oder andere besonders gut dasteht.“ | |
## Nichts überstürzen | |
Denn einig sind sich die beiden Freistilspezialisten auch, dass man die | |
Schwimmpause nutzen muss. Zum Auskurieren von Verletzungen und zum Beheben | |
von Defiziten, für die sonst keine Zeit bleibt. „Wer weiß, wie sich das | |
auswirkt? Vielleicht wird man auf lange Sicht davon profitieren, mit mehr | |
Motivation, mehr Einsatzbereitschaft, wenn man plötzlich weiß, dass alles, | |
was bisher selbstverständlich war, schnell umschwenken kann“, so Biedermann | |
weiter. | |
Wichtig sei, jetzt nichts zu überstürzen. „Sport ist ein sehr wichtiger | |
Teil der Gesellschaft, aber momentan gibt es viele andere Bereiche, die | |
stark um ihre Existenz kämpfen. Da muss man das Augenmaß walten lassen“, | |
appelliert Biedermann an die Vernunft der Schwimmer. Und bald wird man | |
hoffentlich wieder schwimmen können. Aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben. | |
12 May 2020 | |
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## AUTOREN | |
Jannik Höntsch | |
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