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# taz.de -- Pendeln aus Berlins Außenbezirken: „Arroganz gegenüber ÖPNV-Nu…
> Jens Wieseke vom Fahrgastverband IGEB findet Berlins extrabreite
> Corona-Radwege eine feine Sache. Aber man vergesse Menschen außerhalb der
> Innenstadt.
Bild: Dank Pop-Up-Radweg immer ein paar Zentimeter Asphalt unter dem Reifen und…
taz: Herr Wieseke, Sie haben die frisch markierten „Pop-up-Bikelanes“ auf
der Charlottenburger Kantstraße kritisiert. Klar, Ihr Verband, die IGEB,
vertritt die Interessen der Fahrgäste im Berliner ÖPNV. Gönnen Sie deshalb
den RadlerInnen nicht das gute Vorankommen?
Jens Wieseke: Das wäre ein Missverständnis. Wir finden die [1][schnellen
Radwege] der Coronakrise ganz toll und die IGEB hatte ja auch entsprechende
Busspuren gefordert. Jeder, der Fahrrad fahren kann, entlastet Bahnen und
Busse. Die neu angelegten oder verbreiterten Radstreifen an der Hochbahn in
Kreuzberg, in der Zossener Straße, sind wunderbar. Und dass auch in der
Kantstraße etwas passieren muss, ist völlig unstrittig. Aber es muss im
Einklang mit dem Nahverkehr geschehen. Wenn dann der Radweg den Expressbus
ausbremst, weil der sich jetzt die letzte verbleibende Fahrspur mit den
Pkws teilen muss, nimmt ihm das ein Stück seiner Legitimation. Denn auf
Expressbusse wie den X49 in der Kantstraße sind vor allem die Menschen in
den Großsiedlungen am Stadtrand angewiesen. Ich könnte jetzt ausnahmsweise
mal ganz zynisch sein.
Seien Sie’s.
Das innerstädtische Bürgertum lässt die Vorortplebs lieber draußen. Aber im
Ernst: Diese Planung ist schlecht gelaufen und schlecht kommuniziert
worden, und daraus spricht schon Arroganz gegenüber den ÖPNV-Nutzern.
Damit meinen Sie auch das Bezirksamt?
Manchen Stadträten scheint nicht bewusst zu sein, dass sie auch
Transitverkehr haben, von Leuten, die in die Innenstadt müssen. Sei es nun
in Friedrichshain-Kreuzberg oder in Charlottenburg-Wilmersdorf. Aber wenn
ich diese Verkehre habe, sollten sie doch im BVG-Bus stattfinden und nicht
im privaten Auto. Und dann muss ich dafür sorgen, dass die Busse auf so
einer Achse auch durchkommen.
Sie haben dann am vergangenen Donnerstag zusammen mit Changing Cities eine
geradezu revolutionäre Forderung aufgestellt: Sie schlagen vor, die
Durchfahrt durch die Kantstraße für Kfz unmöglich zu machen. Das soll dann
funktionieren?
Wir sagen: So machen wir die [2][Verkehrswende in diesem Teil der Stadt]
greifbar und sichtbar. Dass private Kfz über die Kantstraße vom Stadtring
bis zum Breitscheidplatz durchfahren können, dafür gibt es keine
Notwendigkeit, denn parallel gibt es die Riesenschneise
Kaiserdamm/Bismarckstraße, aber auch die Hardenbergstraße. Ein Pkw käme in
der Kantstraße nach unserer Vorstellung eben nur ein, zwei Blöcke weit, bis
er wieder zurückgelenkt wird. Fahrradfahrer und BVG-Busse hätten freie
Fahrt.
Für solche Forderungen gab es monatelang keine richtige Ansprechpartnerin
mehr, seit Ex-BVG-Chefin Sigrid Nikutta zur DB Cargo gewechselt ist. Am 1.
Oktober kommt für sie Eva Kreienkamp von der Mainzer Verkehrsgesellschaft.
Wie bewerten Sie die Personalie?
Was ich über Frau Kreienkamp gelesen habe, stimmt mich durchaus
optimistisch. Vor allem, dass sie straßenbahnaffin ist, das kann Berlin nun
wirklich gebrauchen. Darüber hinaus kenne ich sie einfach noch nicht. Was
ich sagen kann: Sie übernimmt die BVG in einer ungeheuer schwierigen
Situation. Frau Nikutta hat eine Großbaustelle hinterlassen. Das
Unternehmen ist nicht in der Verfassung, in der wir es uns wünschen, und
das ist nicht nur Verantwortung der Politik.
Woran machen Sie das fest?
Nur zwei Punkte: Einmal die Außendarstellung der BVG, da gibt es ja immer
ganz viele Lorbeerkränze …
Sie meinen die Kampagne „Weil wir dich lieben“. Die ist doch oft wirklich
lustig.
Ja, aber allzu oft auch peinlich. Und was bringt das, wenn das
Alltagsgeschäft nicht läuft? Die Fahrgastinformation an den Haltestellen
und im Internet ist schlecht. Als die [3][BVG im Zuge der Coronakrise]
Mitte März ihren Fahrplan erst beim Bus und dann bei der U-Bahn drastisch
herunterfuhr, war die Fahrgastinfo zwei Wochen lange praktisch nicht zu
gebrauchen. Es gab einfach keine zuverlässigen Daten, wann was fährt. Und
das im Jahr 2020! Da helfen mir dann auch keine Ausmalbildchen auf Twitter.
Was stört Sie noch?
Auch bei der internen Arbeitsorganisation muss die BVG nachlegen. Die
Fahrzeugverfügbarkeit muss sich drastisch verbessern. Frau Nikutta hat aus
unserer Sicht den Verwaltungsstab sehr stark aufgebläht. Worauf es ankommt
ist aber, dass am Ende der Große Gelbe in Gatow genauso ankommt wie in der
Rudi-Dutschke-Straße. Das ist das Kerngeschäft.
Die Fahrgastzahlen sind zuletzt drastisch gesunken, viele fahren aus Sorge
vor Ansteckung lieber Rad oder doch wieder mit dem Auto. Wie kann die BVG
das Vertrauen zurückgewinnen?
Zuerst einmal sollte sie nicht verkünden, man wolle ja keine „heiße Luft
durch die Gegend fahren“. Doch, genau das muss sie tun. Nur so wird der
größtmögliche Abstand zwischen den Fahrgästen ermöglicht. Im Übrigen glau…
ich dann doch nicht, dass uns dieses Problem jetzt noch in drei, vier
Jahren begleiten wird. Mich würde aber freuen, wenn ich die Senatorin an
vorderster Front sehen würde, um die BVG attraktiver zu machen, zum
Beispiel mit neuen Busspuren. Da fehlt mir der entscheidende Impuls.
Die Großbestellung neuer U-Bahn-Wagen beim Hersteller Stadler hat das
Kammergericht nun endlich genehmigt. Aber wird es glimpflich abgehen, bis
die geliefert sind?
Die neuen Fahrzeuge stehen frühestens 2024 auf der Schiene. Da gehen wir
noch durch ein tiefes Tal der Tränen, in dem wir nicht den Wagenpark haben,
den wir bräuchten. Im Winter fährt die U5 endlich zum Hauptbahnhof, da
brauchen wir schon ein paar Fahrzeuge mehr. Fünf Jahre volle U-Bahn-Züge
liegen also noch vor uns. 2025 rechne ich frühestens mit einer
signifikanten Entspannung. Berlin hat einfach viel zu lange gewartet. Wir
haben seit vielen Jahren diese Erneuerung gefordert.
Von der Elektrifizierung der Busflotte sind Sie dann aber auch nicht
begeistert.
Das ist richtig. Es gab auch schon Kritik an meiner Aussage, E-Busse seien
ein Luxus, den wir uns zurzeit nicht leisten könnten. Aber das Kernproblem
ist nicht der Antrieb: Es geht darum, wie ich Autofahrer überzeuge, auf den
Bus umzusteigen. Wenn ich es schaffe, 500 oder 1.000 Autofahrer dauerhaft
in den Busverkehr zu bringen, ist das wichtiger, als dass die dafür
benötigten 20 Busse elektrisch fahren. Dass die privaten PKWs stehen
bleiben, das ist der Erfolg! Auch die Verengung auf batteriebetriebene
E-Busse stört massiv. Es gibt auch andere Systeme. Ich sage immer wieder:
Fahren Sie nach Eberswalde, schauen Sie sich den Busbetrieb dort an, der
Batterie und Oberleitung kombiniert.
In Spandau soll das ausprobiert werden.
Eigentlich hätte man dort schon gestern mit der Planung eines eigenen
Straßenbahnnetzes beginnen müssen! Die angedachten Doppelgelenkbusse
brauchen eine Ausnahmegenehmigung und sind ein Symptom für die
Überforderung des Bussystems. Uns wäre der Einstieg mit diesen sogenannten
Duo-Bussen im Süden lieber gewesen, zum Beispiel in Mariendorf. In jedem
Fall muss die Stromversorgung so geplant werden, dass sie später auch von
der Straßenbahn genutzt werden kann.
Was ist an Batteriebussen falsch?
Sie verbrauchen einfach schon einen Gutteil der Ladung auf der Fahrt zum
Einsatzpunkt, ohne einen einzigen Fahrgast zu befördern. Der 300er, der vom
Betriebshof in der Indira-Gandhi-Straße sieben Kilometer bis zum Anfang
seiner Strecke fährt, kann dann rund 150 Kilometer fahren und muss mittags
wieder zum Aufladen zurück. Sprich, wir brauchen für die gleiche Leistung
mindestens zwei Busse und die doppelte Zahl an Betriebsfahrten. Und für
diese zusätzlichen Busse muss man neue innerstädtische Betriebshöfe bauen.
Da wird es Konflikte mit der Senatorin für Stadtentwicklung geben, die
Flächen für den Wohnungsbau braucht.
10 May 2020
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## AUTOREN
Claudius Prößer
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