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# taz.de -- Die Wahrheit: Tod für alle, alle für den Tod
> Deutschland nimmt Vernunft an: Endlich dürfen die Alten sterben und die
> Jungen ein kosmetisch hübsches Leben führen.
Bild: Klappe zu, Mensch tot – so einfach ist das in Coronazeiten
„… stellen wir die Ermittlungen gegen Stefan Ernst wegen Verdachts des
Mordes an Walter Lübke ein und ziehen die Anklage zurück“, liest der
Generalbundesanwalt von einem kleinen Zettel ab. Ein Raunen geht durch den
Saal der Pressekonferenz. „Geschieht das in Abstimmung mit dem Gericht?“,
fragt eine junge Journalistin, die weiter hinten sitzt. „Ja“, ergreift
Richter Möller vom Oberlandesgericht in Frankfurt am Main das Wort, er
sitzt zwei Meter vom Generalbundesanwalt entfernt und hat bisher nur
beifällig genickt. „Die Anklage wird fallengelassen. Herr Lübke war zum
Zeitpunkt seiner mutmaßlichen Ermordung 65 Jahre alt – er wäre sicher
sowieso irgendwann gestorben, vielleicht sogar an Covid-19.“
Generell stellen derzeit die Staatsanwaltschaften in ganze Deutschland ihre
Ermittlungen wegen Tötungsdelikten ein, an den Gerichten werden alle
Strafkammern geschlossen. Neben der Aussetzung der Strafverfolgung soll das
gesamte Strafrecht aufgehoben werden. „Sowohl die Täter als auch die Opfer
werden ja mal sterben“, begründet der Sprecher des Bundes deutscher
Staatsanwälte den Schritt.
Seit der grünliberale Boris Erasmus Palmer mit seinem Satz „Wir retten in
Deutschland möglicherweise Menschen, die in einem halben Jahr sowieso tot
wären“ die bisherige Lichtgestalt Christian Heinrich Maria Drosten vom
Thron gestürzt hat, findet in Deutschland ein Paradigmenwechsel statt, der
sich schon seit Wochen angedeutet hat. Palmer hat den Deutschen die eigene
Sterblichkeit wieder bewusst gemacht. 2.000 Jahre nach Jesus, der uns mit
seiner „Wiederauferstehung“ die Mär vom ewigen Leben brachte, predigt
Palmer das Leben im Hier und Jetzt – sowie Einsparungen in Millionenhöhe.
Dafür wird er gefeiert – nicht nur von Liberalen. Tübingen, Deutschlands
Philosophen-Hauptstadt Nummer eins baut schon an einem Denkmal, um ihn in
eine Reihe zu stellen mit Philosophen wie Machiavelli, Nietzsche, Precht;
sie soll vom Tübinger Hauptbahnhof bis zur Uni reichen.
Palmers Lehre verbreitet sich zur Zeit rasend schnell durch alle Schichten
der Gesellschaft. Allem voran im Gesundheitswesen. Viele Ärzte hängen ihre
Masken an den Nagel und gehen in Rente. „Meine Patienten sterben ja sowieso
irgendwann“, sagt ein Hausarzt, der noch nicht genannt werden möchte, „da
verschwende ich noch nicht meine Zeit mit irgendwelchen Wehwehchen.“
## Schnell und schmerzlos verscheiden
Erste Krankenhäuser schließen bereits, Operationen werden abgesagt, die
Patienten nach Hause geschickt. „Wir müssen weg von der lebenserhaltenden
Medizin hin zur einer palliativen Medizin. Die Menschen sterben eh, da ist
es unsere Pflicht, nicht das Leiden unnötig zu verlängern, sondern dafür zu
sorgen, dass sie schnell und schmerzlos von uns scheiden“, so ein Sprecher
der Kassenärztlichen Vereinigung. Auch die Krankenkassen wollen nicht mehr
für jeden Belegungstag zahlen, sondern nur noch für jeden Todesfall.
Einzig die kosmetische Chirurgie expandiert, denn: „Viele Menschen wollen
wenigstens zu Lebzeiten gut aussehen.“ Viele Chirurgen, die bis gestern
noch systemrelevant waren, lassen sich jetzt umschulen, um ihre Miete
zahlen zu können.
Andere Berufe ziehen nach. Das Bildungssystem etwa. „Ich bringe doch den
Gören nicht jahrelang lesen, schreiben und was weiß ich noch alles bei,
wenn die am Schluss doch sterben.“ Bäcker, Fleischer und Friseure denken
mittlerweile ähnlich. „Ich geb’ mir schon gar keine Mühe mehr mit dem
Schneiden“, gibt eine Friseurin zu. „Ja, gut, bei Liberalen, die ordentlich
zahlen, bei denen schon.“
## Bohei ums Begräbnis
Bestattern geht es ähnlich. „Der Kunde ist eh schon tot, da muss ich nicht
mehr so ein Bohei mit dem Begräbnis machen“, sagt ein Bestatter. „Und
wiedergeboren werden wir ja wohl auch nicht. Da kommt auch keiner wieder,
um sich zu beschweren.“
Besonders begeistert von dieser neuen Vanitas-Bewegung sind die Liberalen,
die sich schon immer in der Gegenwart zu Hause fühlten. Sie geben das Geld
mit vollen Händen aus. „Wohin soll ich es auch mitnehmen, wenn ich tot
bin“, sagt ein hohes, frisch gestrafftes und frisiertes AFDP-Mitglied,
„schließlich sterbe ich irgendwann, dank Corona vielleicht sogar noch in
diesem Jahr.“
Kritiker werfen den Palmer-Anhängern Sozialdarwinismus vor, die Starken
überleben, die Schwachen und Kranken müssen sterben. Aber das sei Unsinn,
sagt ein bekannter Mediziner, der hinter seiner Maske nicht zu erkennen
ist. „Bei Darwin geht es um das Überleben der Mittelmäßigen, der
Anpassungsfähigeren. Bei Palmer muss auch der Stärkste einmal sterben, wie
die Schwachen und Kranken. Das ist eher biologischer Kommunismus. Vor dem
Tod sind alle gleich. Aber jetzt entschuldigen Sie mich, ich muss heute
noch drei Nasen operieren.“ Leise „Wir müssen alle sterben“ von Knorkator
pfeifend, verschwindet er hinter der Tür zum OP.
5 May 2020
## AUTOREN
Michael-André Werner
## TAGS
Schwerpunkt Coronavirus
Boris Palmer
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