# taz.de -- Die Wahrheit: Wednesday for Watschn | |
> Der Preis für die beste politisch motivierte Ohrfeige, der Prix de la | |
> Gifle, sucht erneut und verzweifelt nach Preisträgern. | |
Bild: Hat Stil: Haltungsnoten für die Ohrfeige | |
„Wieder nichts“, sagt Konrad Künzel-Koch, legt den Hörer auf und schlägt | |
die Hände vors Gesicht. Dann seufzt er lang und tief. Seit Wochen schon | |
sieht er sich nach einigen wenigstens halbwegs preiswürdigen Kandidaten für | |
den „Klarsfelder Prix de la Gifle“ um. Wenn er niemanden findet, fällt der | |
Preis in diesem Jahr wohl aus. Dabei ist der „Klarsfelder Prix de la Gifle“ | |
einer der ältesten und renommiertesten, wenn auch unbekanntesten | |
politischen Preise in Europa. | |
Vergeben wird er seit 1975, für die herausragendste Ohrfeige, die einem | |
Politiker oder einer Politikerin verabreicht wurde. Anfangs war die | |
Preisverleihung jährlich, berichtet Künzel-Koch bei einer dünnen Tasse | |
Kaffee, später verlieh die Jury den Preis in einem Zwei-Jahres-Rhythmus. | |
„Mittlerweile“, so der diplomierte Bibliothekar, „können wir den Preis n… | |
noch alle fünf Jahre vergeben.“ Grund: Immer weniger Politiker bekommen | |
öffentlich eine Ohrfeige verpasst, so wie etwa 1968 der damalige | |
Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger von der deutsch-französischen | |
Journalistin Beate Klarsfeld. Für Klarsfeld war ein Nazi als Bundeskanzler | |
noch unhaltbar. Sieben Jahre nach dieser Aktion wurde die | |
Linke-Hand-Stiftung gegründet. Sie lobt seither den „Prix de la Gifle“ aus. | |
„In den ersten Jahren lief alles prima“, sagt Vorstandsmitglied Konrad | |
Künzel-Koch. Die späten siebziger und frühen achtziger Jahre seien noch | |
richtig politisch gewesen. „Aber dann kam es zu einem Knick, der Fall der | |
Mauer, da hatten die Leute anderes zu tun, die Neunziger waren unpolitisch, | |
die Nazizeit war weit weg und die paar Neonazis saßen nicht in den | |
deutschen Parlamenten.“ | |
## Symbol Feige | |
Eine Ohrfeige für Politiker? Heißt das nicht, Gewalt in der politischen | |
Auseinandersetzung gutzuheißen? „Nein“, sagt Künzel-Koch entschieden. „… | |
Ohrfeige ist ja nur ein Symbol. Wie der Kniefall Willy Brandts oder der | |
sowjetische Bruderkuss. Die Russen küssen ja nicht, weil sie jemanden | |
lieben, das ist eher so eine Mafia-Paten-Sache. Ähnlich ist es bei der | |
Ohrfeige. Statt jemanden mit einem Messer oder einer Schusswaffe zu | |
verletzen, wird ihm eine runtergehauen, dann kann er seine Meinung | |
gegebenenfalls nochmal überdenken.“ | |
Denn der „Prix de la Gifle“ ist ein Haltungspreis. „Das ist nicht wie beim | |
Mitarbeiter der Woche oder beim Tor des Monats, wir bewerten nicht Fleiß | |
oder Handwerklichkeit. Wichtig ist zunächst, wer geohrfeigt wurde und | |
weshalb. Die reine Ausführung steht im Hintergrund. Den Preis erhält | |
natürlich immer der Ohrfeigende. Also, wenn jetzt ein AfD-Politiker der | |
Frau Wagenknecht … obwohl … aber das sollte dann besser die Jury | |
entscheiden.“ Künzel-Koch lächelt gezwungen. „Auf alle Fälle genügt es | |
nicht, AKK eine runterzuhauen, nur weil man sie irgendwie nicht gut findet. | |
Es muss schon schlüssig begründet sein.“ | |
Der Ton in der politischen Auseinandersetzung wird schärfer, Hatespeech ist | |
an der Tagesordnung, aber Ohrfeigen gegen Politiker werden zusehends | |
weniger. Warum ist das so? „Schwer zu beantworten“, sagt Konrad Künzel-Koch | |
und seine Stimme klingt traurig. „Die politische Ohrfeige ist auf jeden | |
Fall eine aussterbende Gattung.“ An sich ist die Ohrfeige ein Relikt aus | |
alten Zeiten, etwas, was man aus Bud-Spencer-und-Terence-Hill-Filmen kennt. | |
Und seit der antiautoritären Bewegung ist die Ohrfeige als | |
Erziehungsmaßnahme verpönt. „Einer der letzten Politiker, der öffentlich | |
geohrfeigt wurde, war Gerhard Schröder – und das ist auch schon fünfzehn | |
Jahre her.“ Der Täter soll ein arbeitsloser Lehrer gewesen sein. | |
## Modischer Eierwurf | |
Ein großes Problem sei, so Künzel-Koch, dass man an die Politiker nicht | |
mehr so nah heran komme wie früher, überall Sicherheitspersonal. Deshalb | |
kamen Ende der siebziger Jahre Eierwürfe in Mode, allerdings nie in einem | |
Ausmaß, dass sie für die Stiftung preiswürdig waren.„Es waren einfach zu | |
wenige“, sagt Künzel-Koch heute. „Selbst der Eierwurf auf den damaligen | |
Bundeskanzler Kohl 1991 in Halle kriegte keinen Preis, obwohl Kohl den | |
Eierwerfer noch selbst greifen und verprügeln wollte. Seitdem habe der | |
Altkanzler „immer ein, zwei rohe Eier in der Jackentasche gehabt“. Und mit | |
dem Eierwurf 1995 auf den damaligen Berliner Bürgermeister Diepgen sei der | |
Eierwurf-Trend bereits wieder zu Ende gegangen. | |
Hat die Linke-Hand-Stiftung darüber nachgedacht, Preiskriterien zu | |
verändern, ja zu erweitern? „Das machen wir schon ständig“, antwortet | |
Künzel-Koch. „Kein ‚Prix de la Gifle‘ gleicht dem anderen. 2002 führten… | |
die Kategorie Tortenwurf ein.“ Die Preisträger warfen Torten auf Pim | |
Fortuyn und Günther Oettinger, auf Jürgen Trittin und Karl-Theodor zu | |
Guttenberg und zuletzt 2012 auf Philipp Rösler. Aber der Tortenwurf, eine | |
Idee aus dem angloamerikanischen Raum, sei in Deutschland nie richtig | |
populär gewesen – 2016 habe man die Kategorie abgeschafft. „Zu tief saß d… | |
Nachkriegstabu“, so Künzel-Koch, „mit Essen nicht zu spielen. Mit der | |
Tortenwurfpreiseinstellung sprang auch einer unserer Hauptsponsoren, die | |
deutsche Konditoren-Innung ab.“ | |
2012 gab es einen Preis, der nur einmal, „als Nachwuchspreis“ vergeben | |
wurde: der Wurfschuh-Preis. Während des Arabischen Frühlings war der | |
Schuhwurf nämlich sehr beliebt, allerdings nur im arabischen Raum. Ein | |
neuer Trend kommt derzeit aus England, das „Milkshaking“. Vor allem rechte | |
Politiker werden von jungen Leuten mit Milchshakes begossen. Eine Aktion, | |
die Konrad Künzel-Koch hoffen lässt. | |
## Richtige Technik | |
„Die Atmosphäre in Deutschland ist deutlich politischer geworden, Menschen | |
gehen auf die Straße, unterschreiben Petitionen, mischen sich ein, ja, die | |
Wahlbeteiligungen steigen“, sagt das Linke-Hand-Vorstandsmitglied. „Jetzt | |
müssen die Menschen nur noch den Politikern mal ordentlich links und rechts | |
eine runterhauen.“ Dazu will die Stiftung in Zukunft politische Schulungen | |
anbieten, Stichwort „Wofür man eine Ohrfeige gibt“. Neben den inhaltlichen | |
Kriterien geht es auch um die richtige Ohrfeigentechnik. Ausholen, zielen … | |
Laut Künzel-Koch kommt es weniger darauf an, dass es richtig klatscht. „Es | |
muss vor allem wehtun.“ Dann müsse das ganze auch medial gut geplant sein: | |
Sind genügend Kameras in der Nähe? Zur Not müsse man eben sein eigenes | |
Kamerateam mitbringen. Ein Selfie machen und gleichzeitig ohrzufeigen, das | |
gelinge allerdings leider nur den wenigsten. | |
Was erhoffen sich Konrad Künzel-Koch und die Linke-Hand-Stiftung für die | |
nahe Zukunft? „Der politische Nachwuchs soll endlich die gute alte | |
Tradition der Ohrfeige für sich entdecken.“ Probleme und Anlässe gäbe es | |
„doch wirklich genug: die Klimapolitik, der Rechtsruck in den Parteien, | |
Altersarmut, steigende Mieten, Sexismus, Rassismus … Da muss doch was | |
möglich sein. Wednesday for Watschn oder so.“ | |
Falls nichts passiere, würde der Preis im nächsten Jahr vielleicht | |
eingestellt. Schade eigentlich. | |
21 Jun 2019 | |
## AUTOREN | |
Michael-André Werner | |
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