# taz.de -- Sozialdrama „Aus der Spur“ auf Arte: Mit Zynismus gegen die Sch… | |
> In der französischen Miniserie „Aus der Spur“ wehrt sich ein gedemütigt… | |
> Arbeitsloser gegen die Chefetage. Da schwingt Gelbwesten-Geist mit. | |
Bild: Éric Cantona als rachsüchtiger Loser Alain, nebst Designerlampe | |
In Sachen Rahmenhandlung eine altbewährte Praxis: Ein Mann sitzt im | |
Gefängnis und erzählt, wie er dahin gekommen ist. Der neue deutsche | |
Netflix-Spielfilm „Betonrausch“ funktioniert nach diesem Prinzip. Und auch | |
der Arte-Sechsteiler „Aus der Spur“ beginnt damit. | |
Ein Mann mit Backenbart, geschorenem Kopf, Muscleshirt und Tätowierungen | |
erzählt in die Kamera, wie er da ins Gefängnis gekommen ist: „Nach sechs | |
Jahren Arbeitslosigkeit, zu elenden Jobs und permanenter Erniedrigung | |
verdammt, und der ständigen Bedrohung, die Wohnung zu verlieren, war ich | |
bei kalter Wut angelangt. Manchmal hatte ich Gefühle wie ein Terrorist.“ | |
Dieser Alain Delambre wird gegeben von [1][Éric Cantona.] Der ist, sagen | |
wir: Schauspieler und ehemaliger Fußballprofi bei Manchester United – um | |
nicht „schauspielernder Ex-Fußballer“ zu sagen, denn das würde ihm kaum | |
gerecht. In so vielen Filmen, mit Kollegen wie Cate Blanchett | |
(„Elizabeth“), Mads Mikkelsen und Eva Green („The Salvation“), hat er in | |
den vergangenen 25 Jahren mitgewirkt. Einmal spielte er sich selbst – in so | |
einem typisch sozialrealistisch-humanistischen Kleine-Leute-Ken-Loach-Film: | |
[2][„Looking for Eric“]. | |
In „Aus der Spur“ – im französischen Original: „Dérapages“: Verwerf… | |
Entgleisungen – habe er nun eine Rolle gefunden, die zu ihm passe wie keine | |
andere zuvor, wird Cantona von der dpa zitiert. | |
## Jede Menge Leuchten | |
In der Serie wird seine Figur, zu Anfang noch ein 500-Euro-Jobber, von | |
einem unflätigen Vorarbeiter umgetreten. Und revanchiert sich gleich mit | |
einem Kopfstoß à la Zidane 2006. So wie der brillante Spieler Éric Cantona | |
abseits des Fußballplatzes nicht eben als umgänglich galt, so macht es auch | |
der von Cantona verkörperte langzeitarbeitslose Personaler Delambre mit | |
seiner niedrigen Erregungsschwelle seiner Frau und seinen erwachsenen | |
Töchtern nicht eben leicht. | |
„Wenn die Mädchen zum Essen kamen, brachte die eine den Nachtisch und den | |
Wein mit und die andere den Käse und die Vorspeise. Ich fragte mich, ob | |
nicht eines Tages eine von ihnen diskret einen Geldschein auf die Kommode | |
legen würde. Wie im Bordell.“ Seine Brille ist mit Tesafilm geklebt. Den | |
Unterschied zwischen einer Zahlungserinnerung und einer Mahnung kennt er | |
genau, weil er sich daran gewöhnt hat, Rechnungen niemals sofort zu | |
bezahlen. | |
Die Wohnung, die Alain Delambre zu verlieren fürchtet, ist voller | |
Schimmel. Designerleuchten (von Kastholm & Fabricius) zeugen von besseren | |
Tagen. Überhaupt hat man in einer Serie selten so viele so ausgesuchte | |
Leuchten gesehen (Szenenbild: Françoise Dupertuis). Das Büro eines | |
schnöseligen Konzernchefs mutet an wie ein 1970er-Jahre-Lampenladen. | |
In diesem Büro legt also ein kaum weniger schnöseliger Unternehmensberater | |
eine Pistole auf den Tisch und sagt’s: „Ich schlage eine Geiselnahme vor.“ | |
Er meint eine fingierte Geiselnahme: um den stressresistentesten | |
Top-Manager zu finden, für den Job, innerhalb von sechs Monaten 1.250 Leute | |
zu entlassen. (Top-Managerin 1: „Man wird uns jemanden vorsetzen.“ | |
Top-Managerin 2: „Zweifellos einen Deutschen.“) | |
## Der „Kleine Mann“ ändert die Spielregeln | |
Ganz klar, die Sympathien der Drehbuchautoren (Pierre Lemaitre und Perrine | |
Margaine) und des Regisseurs (der schon einmal Oscar-nominierte Ziad | |
Doueiri) gelten wie bei Ken Loach den kleinen Leuten. Nur dem Humanismus | |
haben sie abgeschworen. | |
In der Selbstmobilisierung des Alain Delombre kann man leicht eine Referenz | |
auf die Selbstermächtigung der Gilets jaunes erkennen. Er soll bei dem | |
bösen – und jenseits der Filmrealität selbstredend hochgradig kriminellen �… | |
Rollenspiel der beiden Schnösel den Recruiter geben. | |
Aber als er erkennen muss, dass die große Chance auf eine Festanstellung | |
nur eine vermeintliche ist – dass auch er nur verladen und einmal mehr | |
gedemütigt werden soll: ändert er die Spielregeln. Macht aus der gespielten | |
eine echte Geiselnahme. Die aber auch nur eine Finte ist. In einem neuen | |
Spiel. Einem, das er selbst abgekartet hat. In dieser clever konstruierten | |
Fiktion. | |
23 Apr 2020 | |
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## AUTOREN | |
Jens Müller | |
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