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# taz.de -- Die Wahrheit: Paare mit Virus
> Heiraten oder nicht heiraten? Das ist die große Frage nach dem
> ultimativen Belastungstest: Vier Wochen Coronapaar in einer Wohnung.
Bild: Da freut sich das Schwein auf die neue sanfte Schlachtung
Ich lerne meine Frau gerade ganz neu kennen. Dabei ist sie gar nicht meine
Frau. Wir sind nicht verheiratet. Das war bislang kein Mangel. Seit Kurzem
kommen aber Stimmen auf: „Wollt ihr nicht doch? Wegen der Versorgung. Oder
gönnt uns wenigstens die Feier!“ Wir haben all das glücklich weggelächelt.
Außerdem lebt sie in einer anderen Stadt. Das war kein Problem, eher eine
Erweiterung. Aber nun bedroht auch uns das Virus, ganz ohne Infektion.
Werden wir uns sehen können, wenn es eine Ausgangssperre gibt, weil wir
zusammen in zwei Städten unverheiratet sind? Und wie soll man mit
Ausgangssperre 10.000 Schritte täglich schaffen? Wir hatten darum
beschlossen, vorsichtshalber beieinander zu bleiben. Seit vier Wochen sind
wir nun unentwegt zusammen. Wir machen Homeoffice nebeneinander.
Wir merkten, wie sich unser Alltag langsam wandelte. Wir streiten sonst
nie, zanken uns nun aber plötzlich – darüber, wer die Spülmaschine
ausräumen darf. Wir sind jetzt froh über Arbeiten, die wir sonst gehasst
haben. Wir spülen alles von Hand und singen bei jedem Teller zweimal „Happy
Birthday“. Wir überbieten uns, wenn es darum geht, den Tisch abzuräumen.
Wir machen „Schnick-Schnack-Schnuck“ um das Privileg, die Wäsche aufhängen
zu dürfen. Müll runterbringen? Das ist der Jackpot, und der Sieger wird in
einem nervenzehrenden Pokerspiel ermittelt.
Ich habe sie noch nie – und mich sowieso nicht – die Teppichfransen ordnen
sehen. Das war „bürgerliche Scheiße, da kannst du ja gleich einen Knick ins
Kissen machen.“ Nun sind die Fransen gerade ausgerichtet, und jedes Kissen
ist geknickt. Täglich bringen wir die Fransen durcheinander, um sie
sorgfältig neu ordnen zu können.
Ich habe in diesen vier Wochen aber auch festgestellt: Meine Frau ist echt
super! Man merkt das im Alltag nicht unbedingt, aber plötzlich wird mir
klar, dass sie genau die Frau ist, die ich sogar heiraten würde, diese
immens attraktive, total schlaue und lustige Frau, die da den ganzen Tag um
mich ist.
Sie allerdings merkt nicht unbedingt, dass auch ich genau der Richtige für
sie bin. Plötzlich entdeckt sie kleine Fehler an mir, in einem Alltag, dem
sie sonst nie begegnen konnte. So wusste sie nicht, dass ich während der
Arbeit Pausen mache, bisweilen sogar ein Stündchen schlafe. Das war ihr
bisher weder bekannt noch ist es ihr verständlich.
Meine Vorratshaltung, die sie sonst eher kritisiert, wird jetzt zwar in
einem neuen, positiven Licht gesehen, allerdings bemerkt sie auch, dass
daraus Zwischenmahlzeiten entstehen. „Isst du schon wieder was?“ Und:
„Wolltest du nicht Intervall-Fasten machen?“ Ich sage: „Jetzt sind gerade
die acht Stunden, in denen ich essen darf!“ – „Seit wann sind acht Stunden
zwölf Stunden lang?“
Ich würde sie gern heiraten. Ich frage aber frühestens, wenn das Virus
besiegt ist und wir wieder auseinander wohnen.
14 Apr 2020
## AUTOREN
Bernd Gieseking
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
Heirat
Beziehung
Clemens Tönnies
Zimmermann
Kolumne Die Wahrheit
Schwerpunkt Coronavirus
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Minden
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