| # taz.de -- Essen in der Selbstisolation: Gut genährt durch die Krise | |
| > Täglich German Abendbrot und Nudeln mit Tomatensoße sind auch keine | |
| > Lösung. Unsere AutorInnen berichten, was so auf den Tisch kommt. | |
| Bild: Wer Homecooking und -schooling unter einen Hut kriegen muss, sollte Syner… | |
| ## Haushalt mit Vollpension | |
| Kamen wir – meine Brüder und ich – damals nach Hause, stand unsere Mutter | |
| am Herd, es dampfte (Kartoffeln), es zischte (Bratwurst), es blubberte | |
| (Auflauf). Schule war mittags zu Ende, der Heimweg nicht weit, der Ranzen | |
| kam in die Ecke und wir an den Esstisch, auf dem eine Wachstuchdecke mit | |
| blau-gelbem floralem Muster lag, das wir an einigen Stellen mit | |
| Kugelschreiber noch verfeinert hatten. | |
| Es ist die Geschichte einer westdeutschen Mittelklassefamilie in den frühen | |
| 80ern; Vater verdiente das Geld, Mutter war zu Hause, „für uns da“. Wie | |
| großartig, dass es jeden Tag ein mindestens sättigendes und zumeist auch | |
| leckeres Essen gab – mit Dessert und free refill. Haben wir es je so | |
| gedankt, wie es angemessen gewesen wäre? | |
| Ich frage mich das in diesen Tagen manchmal, in denen wir aus einer | |
| Familie, in der wir zusammen frühstücken und die Kultur des German | |
| Abendbrot pflegen – Brot, Aufschnitt, kleingeschnittenes Gemüse –, zu einem | |
| Haus mit Vollpension geworden sind. Gar nicht so einfach, jeden Tag | |
| verlässlich und einigermaßen pünktlich ein gutes Essen anzurichten, das | |
| einerseits nicht bloß Milchreis, SSK (SpiegeleiSpinatKartoffeln) oder | |
| Pfannkuchen sein soll, andererseits aber auch nicht zu ambitioniert sein | |
| darf, weil wir es dann ohne die Kinder essen müssten (ganze Forelle im | |
| Mandelbett). | |
| Wir kriegen es hin. Manchmal helfen Convenience-Produkte, Fertig-Tortellini | |
| zum Beispiel, die aber erst durch unsere handgerührte Soße zum vollgültigen | |
| Gericht werden. Manchmal sind wir nicht viel besser als die oft beklagte | |
| Hortküche. Manchmal ist es wirklich nur ein Kompromiss. Danke, Kinder, dass | |
| ihr es uns nachseht. Und danke, Mutter, du hast das damals wirklich super | |
| gemacht. Felix Zimmermann | |
| ## Bratkartoffeln mit Vanillesoße | |
| Riechen Sie es? Da im Treppenhaus, dieser Duft nach Reis und angebratenem | |
| Fleisch, das gab es jahrelang nicht mehr. Und auf der Straße, beim Joggen, | |
| zieht plötzlich das Aroma von Bratkartoffeln aus einem offenen Fenster. | |
| Dazu wirklich noch das: Eine Nachbarin kommt vorbei und verteilt Kuchen. | |
| Sie müsse jetzt backen, aber sie könne nicht alles selbst essen. „Müsse“, | |
| sagt sie. Und: „jetzt“. | |
| Auch bei uns wird dieser Tage mehr gekocht, meistens von mir. Ich möchte | |
| meine Freundin glücklich machen, denn wenn ihr düstere Gedanken kommen, | |
| verzweifelt sie schnell. Ein Glück, dass sie auch dann noch genießen kann! | |
| Dankbar. Und weil ich Nahrungsmittel liebe, weil ich mir ausmale, welche | |
| Düfte, welche Geschmacksnoten, welche Farben zusammenpassen, erfinde ich | |
| Gerichte für sie. Die sind zwar meist simpel, aber wir geben ihnen | |
| versponnene Namen. Neulich etwa gab es „Hühnerconsommé mit | |
| Kornelkirscholiven“ und danach einen „Cedrizitronen-Rote-Bete-Salat unter | |
| gekochtem Ei an selbst gebackenem Leinmehl-Linsen-Brot“. Klingt gut, oder? | |
| Sah auch gut aus. Und meine Freundin lächelte. | |
| Klar, ich verstehe, nicht jede hat Kornelkirscholiven. Dabei stehen die in | |
| Parks überall. Es sind diese Sträucher, die schon Ende Februar gelb blühen. | |
| Die Früchte kann man wie Oliven einlegen. In Suppen schmecken sie | |
| himmlisch. Der Salat wiederum, in seiner rot-gelb-weißen Pracht, war ebenso | |
| einfach, wenngleich es natürlich ein Glück war, dass wir noch Esszitronen | |
| hatten. | |
| Und heute? Als wir beim Joggen an Bratkartoffelduftfenstern vorbeiliefen, | |
| war sofort klar: Das wollen wir auch. Vielleicht mit Vanillesoße wie bei | |
| meiner Oma Luise. Die hat die Spanische Grippe überlebt. Waltraud Schwab | |
| ## Suppe mit Buchstaben | |
| Besondere Zeiten erfordern besondere Fraßnahmen. Naiv dachten wir anfangs | |
| noch, dass wir den Kindern weiterhin das gleiche Futter wie immer vorsetzen | |
| können. Doch das wurde uns schnell selbst zu langweilig. Immer nur Nudeln | |
| mit Tomatensoße hält keine Sau aus. | |
| Zum Glück hatte meine Schwester eine gute Idee: In ihrer Familie darf sich | |
| reihum jedes Familienmitglied ein besonderes Essen wünschen – muss es dann | |
| aber auch selbst zubereiten. Ein Plan, den wir sofort nachahmten. Anfangs | |
| mit Erfolg: Voller Begeisterung stürmten die Kinder die Läden, hamsterten | |
| die letzten Nudeln, Wraps und Burgerbrötchen und belegten sie – und das | |
| sogar mit echtem Salat und Gemüse! | |
| Auch wir wurden anspruchsvoller, brieten und kochten, was das Zeug hielt. | |
| Ich durfte sogar den ersten frischen Spargel kaufen, einen aus Holland, der | |
| doppelt so teuer war wie sonst, dafür aber nach nichts schmeckte. Der Sohn | |
| servierte anderntags als Rache Weißwürste – mit Marmelade, denn Senf mag er | |
| nicht. | |
| Sie sehen schon, so langsam lief die Aktion aus dem Ruder, spätestens, als | |
| die Tochter mit drei Tüten vom McDonald’s kam und freudig rief: „Schaut | |
| mal, was ich Leckeres gekocht habe!“ So konnte das nicht weitergehen. Für | |
| das gemeinsame Mittagessen haben wir uns daher erst einmal auf den | |
| kleinsten gemeinsamen, Homeoffice- und [1][Homeschooling-tauglichen] Nenner | |
| geeinigt: leckere Buchstabensuppe. Lukas Wallraff | |
| ## Buchstaben notfalls auch pur | |
| Seit ich gezwungen bin, zu Hause zu bleiben, lese ich krass viel. | |
| Allerdings keine Bücher, da habe ich bisher erst ein halbes geschafft. Was | |
| ich wegsauge wie andere gerade vielleicht Science-Fiction-Siebenteiler, ist | |
| der Text auf Lebensmittelverpackungen. | |
| Ich lese während des Essens, es ist ein Tick, den ich seit meiner Kindheit | |
| habe, der sich aber in den letzten 25 Jahren stark zurückgebildet hatte. | |
| Jetzt ist er wieder da. Kein Wunder. So oft wie in den vergangenen Wochen | |
| hab ich seit Kindertagen nicht mehr in den eigenen vier Wänden gegessen. | |
| Und so wird alles, was auf dem Tisch steht und bedruckt ist, weggelesen. | |
| Meistens fange ich bei den Zutaten an: „Meersalz (44 %), getrocknete | |
| Zwiebeln, Zucker, Dill... Kann Spuren von Sellerie, Milch, Erdnüssen und | |
| Lupinen enthalten.“ Kein Plan, [2][was Lupinen sind] und ob es sie | |
| überhaupt in anderer Form gibt als in Spuren. Aber ich kenne sie inzwischen | |
| sehr gut. | |
| Dann lese ich die Übersetzung hinter „NL“, „UK“, „CZ“ oder „H“… | |
| jedes Mal über „zeezout“ oder „gedroogde uien“. Ich weiß jetzt, dass | |
| „Pfefferoni scharf“ nicht nur in „BIH“, „HR“ und „SRB“, sondern… | |
| „MKD“ „feferoni ljuti“ heißen und in „F“ die Kapern als „Nonpare… | |
| klassifiziert werden, wenn es sich um die kleinste Größenklasse handelt. | |
| Gern kaufe ich Produkte aus der Türkei, dem Balkan oder Asien: nicht nur | |
| zum Essen, sondern zum Lesen. Mein Lieblingspart ist nämlich der, wo die | |
| Importeure angegeben sind. Das ersetzt jeden Atlas der Migration. All die | |
| großartigen italienischen, balkanesischen, bajuwarischen Namen mit Adressen | |
| in Australien, Ohio, Bogotá oder Oslo. Schon lange habe ich den Plan, | |
| einmal alle Importeure zu besuchen, die auf einer Packung Bajadera-Pralinen | |
| aus Kroatien angegeben sind. Das wäre eine Weltreise mit etwa 25 Stationen. | |
| Ich hoffe, ich muss die nicht von meinem Küchentisch aus machen. Doris | |
| Akrap | |
| 13 Apr 2020 | |
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