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# taz.de -- Maßnahmen gegen Coronavirus: Zügige Forschung gefordert
> Die Bundesregierung plant keine wissenschaftliche Evaluation der
> Anti-Corona-Maßnahmen. Dafür wird sie nun heftig von der Opposition
> kritisiert.
Bild: Drive-In-teststation in Lüdenscheid
Berlin taz | Schulschließungen, Ausgangsbeschränkungen, Kontakt- oder
Arbeitsverbote: Die drastischen Maßnahmen, mit denen die Bundesregierung im
Kampf gegen die Corona-Pandemie die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und
Bürger derzeit einschränkt, bedürfen einer begleitenden wissenschaftlichen
Evaluierung. Darüber simd sich Gesundheitspolitikerinnen und -politiker
aller im Bundestag vertretenen Oppositionsfraktionen einig.
Sowohl die erwünschten als auch die unerwünschten Effekte müssten
erforscht, bewertet und ins Verhältnis zueinander gesetzt werden, um die
Sinnhaftigkeit und Fortführung der Maßnahmen abschätzen zu können,
erklärten übereinstimmend die Fachpolitikerinnen und -politiker Detlev
Spangenberg (AfD), Christine Aschenberg-Dugnus (FDP), Achim Kessler (Linke)
sowie Kordula Schulz-Asche und Kirsten Kappert-Gonther (beide Grüne) auf
Anfrage der taz.
Sie reagierten damit [1][auf Aussagen des Bundesgesundheitsministeriums und
des Bundesforschungsministeriums], keine eigene Begleitforschung zu den so
genannten nicht-pharmakologischen Interventionen betreiben bzw. beauftragen
zu wollen.
„Natürlich ist es fragwürdig, wenn eine derartige wissenschaftliche
Evaluierung nicht durchgeführt wird“, sagte der AfD-Abgeordnete Detlev
Spangenberg. Es sei „momentan nicht bekannt, welche Auswirkungen die
Maßnahmen für Wirtschaft, Bildung und Psyche haben“.
Auch die FDP-Politikerin Christine Aschenberg-Dugnus forderte eine
Evaluierung. Alles andere, so die Abgeordnete, sei „äußerst bedenklich“.
Allerdings werde für eine derartige wissenschaftliche Bewertung ein
„quantifizierbarer Zeitraum“ benötigt, weswegen „eine solche Untersuchung
erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen“ könne. Wichtig sei aus Sicht der
FDP, herauszufinden, ob die derzeit [2][etwas abflachende Kurve] der
Corona-Infizierten „auf die Disziplin jedes Einzelnen oder auf die
befristeten Einschränkungen von Bürgerrechten zurückzuführen“ sei.
## Linker will unabhängige Bewertung
Deutschland, so der gesundheitspolitische Sprecher der Linken, Achim
Kessler, sei auf die Epidemie und vor allem auf ihr Ausmaß nicht gut
vorbereitet gewesen. „Schon damit dies nicht noch einmal passiert, müssen
alle Maßnahmen gründlich und unabhängig dokumentiert und bewertet werden.“
Es sei „sowohl epidemiologisch als auch verfassungsrechtlich von großer
Bedeutung, ob die tiefen Grundrechtseinschränkungen tatsächlich zu einem
Erfolg bei der Bekämpfung der Pandemie“ führten.
Das am Mittwoch vom Bundestag beschlossene [3][Gesetz zum
Bevölkerungsschutz] sehe zwar vor, dass die Regierung bis März 2021 einen
Bericht vorlegen solle. „Aber“, schimpfte Kessler, „es ist nicht
vorgesehen, dass auf Grundlage unabhängiger wissenschaftlicher
Einschätzungen berichtet werden soll“.
Seine Fraktion fordere daher die Einsetzung eines unabhängigen
Sachverständigengremiums. Dieses müsse auch eine verfassungsrechtliche
Einschätzung vornehmen und die Kompetenzverteilung zwischen Bund, Ländern
und Kommunen beurteilen.
## Grüne fordert Stichproben
Auch die Gesundheitsexpertin der Grünen, Kordula Schulz-Asche, hält die
gesetzlich beschlossene Evaluation für „unzureichend“. „Wir fordern eine
gründliche Untersuchung auch der nun eingesetzten Maßnahmen“, erklärte sie
gegenüber der taz. Die Regierung müsse ein Interesse daran haben zu
erfahren, „was sich bewährt hat und was nicht“.
Um beurteilen zu können, wie weit sich das Virus bereits in der Bevölkerung
ausgebreitet habe, wer infiziert und wer möglicherweise immun sei, seien
daneben Bevölkerungsstichproben nötig. Wenn die vorhandenen Tests hierfür
noch nicht schnell und genau genug seien, dann müsse sich dies „zügig“
ändern, forderte Schulz-Asche.
Tatsächlich finden so genannte Corona-Screenings, auf die unter anderem
[4][der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach seit mehr als einem Monat
drängt] und die auch Mitglieder des Berufsverbands der Ärzte für
Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie empfehlen, in
Deutschland immer noch nicht statt. Gemeint ist eine Testung von
verschiedenen Kohorten bisher nicht auf das Virus getesteter Personen, die
herausfinden könnte, wie weit das Virus bereits in der Bevölkerung
verbreitet ist.
„Man wüsste dann, ob social distancing überhaupt den gewünschten Effekt
erzielen kann“, sagt der Bioethiker Strech. Und man könnte Antworten auf
die Fragen geben, die sich auch in China stellen: Gibt es dort kaum noch
neue Diagnosen wegen der effektiven nicht-pharmakologischen Interventionen?
Oder vielleicht, weil bereits die Mehrheit der Bevölkerung infiziert ist,
aber keine Symptome zeigt?
## Virologe Drosten widerspricht
Der Chef-Virologe der Berliner Charité, Christian Drosten, der auch die
Regierung berät, [5][widersprach am Donnerstag dem Eindruck der
Untätigkeit]. Die Planungen, solche Kohorten aufzubauen, liefen
„fieberhaft“ und in ganz Deutschland, versicherte Drosten, es gebe ein
hohes Interesse daran, sie durchzuführen; allerdings brauche ihre
Organisation „ein paar Wochen Vorlauf“. Andernfalls generiere man „nur
anekdotische Daten“, warnte Drosten.
Auch warte man auf so genannte Antikörpertests, die aufgrund ihrer höheren
Sensitivität für Kohortenstudien besser geeignet seien als die zurzeit vor
allem verfügbaren Rachenabstrichtests. Aber dann werde es ganz sicher
losgehen. „In der Zeit nach Ostern“, versprach Drosten, dürfe mit vielen
Daten gerechnet werden, auch zur Verbreitung des Virus unter
Krankenhausbeschäftigten sollten dann Forschungsergebnisse vorgelegt
werden, federführend sei hier das Institut für Virologie der Universität
Köln.
Verständnis dafür, dass nicht alle wünschenswerten Daten unmittelbar zur
Verfügung stehen könnten, äußerte die grüne Abgeordnete Kirsten
Kappert-Gonther, mahnte aber zugleich: „Gesundheit ist keine Privatsache.
Wir benötigen dringend mehr Wissen darüber, wie sich diese Maßnahmen auf
den Verlauf der Pandemie, aber auch auf uns als Gesellschaft auswirken.“
Ähnlich argumentierten Abgeordnete der Großen Koalition. Die
SPD-Gesundheitspolitikerin Hilde Mattheis sagte der taz, „es wäre eine
vertane Chance, wenn wir uns bei den Erkenntnissen aus der Krise
ausschließlich auf einen Bericht des Robert-Koch-Instituts beschränken
würden“. Neben virologischen Einschätzungen sei Forschung zu psychosozialen
Folgen wünschenswert. Es komme darauf an, „schnell, qualitätsgesichert und
schlagkräftig zu handeln“, forderte der forschungspolitische Sprecher der
Union, Albert Ruppert. „Forschungspolitisch müssen wir alles daransetzen,
die Prozesse zur Bewältigung der Pandemie so optimal wie möglich zu
steuern.“
27 Mar 2020
## LINKS
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## AUTOREN
Heike Haarhoff
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